Trauma und so
Was Corona für die Autorin und Regisseurin Felicitas Korn und ihren Debutroman DREI LEBEN LANG bedeutet
„Der Mund des fremden Mannes öffnet und schließt sich wie eine freundliche Auster. Michi folgt jeder seiner Lippenbewegungen, versucht, seine Codes zu entschlüsseln, aber was herauskommt, macht keinen Sinn.“

So beginnt das erste Kapitel meines ersten Romans DREI LEBEN LANG, der seit Ende Februar im Handel ist. Am 28.2. habe ich zum ersten Mal aus meinem Buch gelesen. Die Lesung war glücklicherweise voll. Obwohl es bereits da zahlreiche Absagen geregnet hat, die Menschen Angst hatten vor dem Virus, zurecht. Hätte Corona nicht quergeschlagen, wäre die heimelige Buchhandlung Bookinista in Berlin wahrscheinlich aus allen Nähten geplatzt.
Letzteres ist, was sich jede(r) Autor(in) für den Start und weitere Lesungen des Debutromans wünscht. Nun bin ich bereits seit längerem als Drehbuchautorin und Filmregisseurin tätig und wie alle Kreativen schon viele Jahre gewohnt, wie Dinge hervorragend anlaufen, dann verschoben oder abgesagt werden und mit plötzlichen Leerläufen umgegangen werden muss. Für mich ist auch nicht ungewohnt, aus dem Homeoffice zu arbeiten, mit wenigen direkten Kontakten, vielen Klärungen per Telefon oder Skype. Dennoch hatte ich mir das alles etwas anders vorgestellt: Mein Verlag, der geschätzte Kampa-Verlag, der AutorInnen wie Olga Tokarzcuk, Georges Simenon, F. Scott Fitzgerald, William Boyd, Tessa Hadley verlegt, versteht den Wert seiner Bücher und AutorInnen, behandelt sie dementsprechend, was in der Filmbranche nicht immer selbstverständlich ist, und er entschied sich, DREI LEBEN LANG als deutschsprachigen Spitzentitel des Frühjahrprogramms herauszubringen, und steckte viel Zeit und Man Power in die Strategie für Platzierung und PR. So fieberte ich mit großer Vorfreude auf die Veröffentlichung hin – und allem, was danach kommen würde.
Tja.
Was danach kam, ist die Absage der Leipziger Buchmesse, die Absage deutschlandweiter Lesungen und Veranstaltungen, die Schließung des lokalen Buchhandels, die Überlastung der Presse in Print, Hörfunk und TV, die gerne über das Buch berichten sollten und wollten, aber Corona bestimmt erstmal alles. So rückt DREI LEBEN LANG immer weiter in den Hintergrund, Termine und Events, die der Verlag und ich seit Monaten planten, sind unwiderrufbar verloren – und damit die wichtigsten ersten Chancen auf Aufmerksamkeit für den Roman.
Abgesehen davon, was die aktuelle Lage für den Kampa-Verlag und sämtliche Branchen bedeutet, auch für mich und DREI LEBEN LANG ist dies eine Katastrophe. Das Schreiben meines Debütromans erstreckte sich über den Zeitraum von sechs Jahren, es musste sich u.a. zwischen Aufträgen, die mich finanzierten, unterordnen. Und jetzt, da das Werk existiert, muss es erstmal wahrgenommen werden und dafür als allererstes die Chance auf Wahrnehmung bekommen. Das funktioniert fast ausschließlich über die Berichterstattung, die Messen, Lesungen und den lokalen Buchhandel. Auch letzterer hat sich tatkräftig eingesetzt – zwei Wochen kurz – bis zunächst die KundInnen ausblieben, und dann ein Laden nach dem anderen schließen musste.
Was bleibt nun noch?
Die sozialen Medien. Die BloggerInnen. Die Mundpropaganda.
Wir geben nun in all diesen Bereichen unser Bestes. Aber auch hier will unsere Arbeit geleistet werden, und auch hier sind die Menschen von Corona überflutet, was nochmals mehr Einsatz für eine Chance auf Wahrnehmung bedeutet.

Dies zu bewerkstelligen, ist nicht wenig belastend, wenn parallel so gar nicht mehr klar ist, wann und ob wieder Einnahmen kommen. Denn der Dreh für meinen Film PARTYNATION ist auch erstmal verschoben, für den ich dennoch und zeitgleich zum Marketing von DREI LEBEN LANG weiter vorbereiten und -arbeiten soll. Und damit bin ich bei weitem kein Einzelfall.
„Trauma und so.“
Das klingt mehrmals wieder in Michis Kopf. Einer der drei Hauptfiguren in meinem Roman. Es sind Worte, die die Polizisten nuschelten, als diese Michis Eltern nach einem schweren Autounfall in graue Planen packen. „Wie unter einer Glocke“ fühlt sich Michi seitdem, der versucht, nun allein mit seiner Schwester zurechtzukommen im neuen Leben, das plötzlich ein trauriges ist, ein dunkles, ein einsames. Ein bisschen, oder auch massiv, denke ich, fühlen wir uns alle momentan wie Michi. Und die Frage, was Halt bietet in einer beängstigenden Lebenssituation, die unerwartet über uns hereinbricht und mit der wir nie gerechnet hätten, ist nicht nur für Michi, sondern auch für mich, und für wahrscheinlich uns alle die wichtigste im Moment. Seelisch sind das, für Michi wie für uns wohl alle, zunächst die uns nahen Menschen. Was unsere Liebsten für uns bedeuten, wird vielen derzeit bewusster denn je. Die Selbstverständlichkeit des Draußenseinkönnens, des Atmens an der frischen Luft, die derzeit so frisch ist wie lange nicht mehr, bekommt eine ganz neue Bedeutung. Und der Wert der Solidarität, des Zusammenhalts, den wir derzeit vielerorts erfahren.
Ganz existentiell aber ist die wirtschaftliche Grundsicherung immer noch der wichtigste Pfeiler. Hier kann ich – abgesehen von dem, was die Corona-Krise für den Start von DREI LEBEN LANG bedeutet – nicht sagen, dass sich die Regeln unserer, der Kreativen, beruflichen Situation in Zeiten von Corona finanziell großartig anders verhalten als in den vielen Jahren zuvor. Corona ist hier eher ein massives Vergrößerungsglas, eine Lupe, durch die nun auch Menschen außerhalb der kreativen Branchen genauer auf uns gucken können. Dorthin, wo es wirklich schmerzt. Weil die Zustände für Kreative, die viel in Vorleistung gehen, für einen Staat mit sozial ausgerichteten Werten schon lange nicht mehr vertretbar ist. Und so liegt in der aktuellen Krise auch eine Chance, umzudenken, neu zu strukturieren. Die kürzlich entschiedenen Hilfsmaßnahmen der Regierung sind (nur) ein Anfang, und wenn Ihnen die Decke auf den Kopf fällt, lesen Sie DREI LEBEN LANG. Denn, wie Loosi, die zweite der drei Hauptfiguren sagt: „Nur du allein schaffst es. Aber du schaffst es nicht allein.“
Felicitas Korn ist Autorin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Ihr Roman-Debüt Drei Leben lang erschien gerade beim Kampa Verlag. CulturMag-Co-Herausgeber Alf Mayer ist sie erstmals 2006 aufgefallen, damals war er Direktor der FBW, Deutschlands ältester Filmförderungsinstitution, die die Prädikate „wertvoll“ und „besonders wertvoll“ vergibt. Felicitas Korns Film „Auftauchen“ erhielt das Prädikat „wertvoll“ (oft das Kennzeichen für einen kontrovers diskutierten, aber hochinteressanten Film). In der Begründung hieß es: „Der dokumentarisch geprägte Debütfilm ist vor allem auch die Sternstunde einer jungen, exzessiven und mutigen Schauspielerin: Henriette Heinze als Nadja… Besonders bemerkenswert bei diesem Film ist die Radikalität des Entwurfs. Der Film wirkt ungekünstelt, wirkt echt.“ Beim Brooklyn International Film Festival im Jahr 2007 wurde Felicitas Korn dann mit dem Nachwuchspreis Beste Regie ausgezeichnet.