Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2018, Film/Fernsehen

Film: Avengers – Infinity War

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Nur das halbe Universum

Von Dominique Ott

Mit dem weltweiten Start von Avengers: Infinity War am 27. April brachte Marvel Studios nicht nur den 19. Eintrag in sein ‚Marvel Cinematic Universe‘ (kurz MCU) in die Kinos, sondern seinen längsten, größten und anspruchsvollsten Film bisher. Der Größte, weil er der erste nicht-dokumentarische Film überhaupt ist, der gänzlich mit IMAX-Kameras gedreht wurde, allerdings in einem Breitwandformat von 1.90:1, das nicht dem üblichen 1.43:1 Seitenverhältnis einer IMAX-Leinwand entspricht. Kurz gesagt, eigentlich bräuchte es eine IMAX-Breitwandformat-Leinwand, um den Film in seiner angedachten Größe zu sehen, was nur in einer handvoll Kinos auf der Welt, in Deutschland aber nicht möglich ist. Der bislang anspruchsvollste Beitrag ist es deshalb, weil er den Versuch darstellt, über zwei Dutzend Figuren aus den vorherigen Einträgen in das Universum zusammenzuführen. Für diese Aufgabe wurde der Regisseur der vorherigen beiden Avengers Filme (2012 und 2015) Joss Whedon durch die Russo Brothers ersetzt, denen es mit Captain America: Civil War (2016) zuletzt gelungen war, zumindest ein Dutzend Superhelden in einem einzigen Film nachvollziehbar auszubalancieren.

Vielleicht wird es außerdem der erfolgreichste Film der franchise: Den Weltrekord für das gewinnbringendste erste Wochenende nach Kinostart konnte er bereits brechen, und weltweite Einnahmen von über 1,2 Milliarden US-Dollar nach nur zwei Wochen Spielzeit (und noch vor Start auf dem all-entscheidenden Chinesischen-Markt) sind eine gute Ausgangsposition, um unter die fünf erfolgreichsten Filme aller Zeiten zu gelangen. Ein Marketing-Geniestreich, der maßgeblich zu diesem Erfolg beitragen dürfte, war es, nur drei Monate vor Infinity War gerade Black Panther als vorangehenden Marvel Film in die Kinos zu bringen. Letzterer konnte dank der afro-futuristischen Auslegung seiner Comic-Vorlage den Nerv der Zeit treffen. Das gilt besonders bei einem links-liberalen Publikum, dass sonst ’nie einen Superhelden-Film anschauen würde, aber…‘ sich durch seine Forderungen nach mehr Diversität im Hollywoodkino dann doch guten Gewissens an einer leichtverdaulichen Darbietung unglaublicher schwarzer Körper erfreuen kann. (Dass diese jedoch in Bezug auf koloniale Fragestellungen längst nicht so fortschrittlich ist, wie seine Comic-Vorlage, sollte auf der Hand liegen.) Wer mit Black Panther erstmals die Freuden des Action-Spektakels aus dem Hause Marvel für sich entdecken konnte, dürfte nun ebenfalls dazu verleitet sein, die Rolle von König T’Challa/Black Panther (Chadwick Boseman) in diesem neuen Kollektivabenteuer weiterzuverfolgen. Dessen Beliebtheit dürfte dazu beigetragen haben, dass die entscheidende Schlacht um die Zukunft des Universums auf dem Afrikanischen Kontinent, in seinem ebenso utopischen wie fiktiven Land Wakanda ausgetragen wird. Black Panther selbst ist in diesem Film trotzdem kaum zu sehen.

Infinity War ist nämlich nicht nur das Auserzählen einer Handlung, die bereits vor sechs Jahren am Ende des ersten The Avengers Film angekündigt wurde, als ein grinsender Thanos (der mächtigste Bösewicht, den das Universum je gesehen hat, gespielt von Josh Brolin) kurz sein Gesicht zeigte. Viel eher bietet Infinity War das Zusammenlaufen von Handlungssträngen aus der Hälfte aller MCU Filme, die allesamt auf eines von 6 magischen Artefakten—den sogenannten Infinity Stones—als Handlungstreibendes Element zurückgreifen. Nun hat der letzte Titan Thanos sich zur Aufgabe gemacht, alle Infinity Stones in seinen Besitz zu bringen, um deren kumulative Macht in seiner Faust zu ballen. So geht er auf Konfrontationskurs quer durch das Universum mit eben all den Superhelden, die dieses bevölkern. Oder fast allen: Einige unter den weniger beliebten (wie Ant-Man und Hawk-Eye) wurden einfach rausgeschrieben, während andere Figuren möglichst schnell aufgeopfert werden, um in diesem überrannten Marvel Universum ein wenig Luft zum Atmen zu schaffen. Thanos‘ Lösungsvorschlag einer willkürlichen Auslöschung der Hälfte aller Einwohner des Universums, um eben der Überbevölkerung und Ressourcenknappheit entgegenzusteuern, wirkt auf Anhieb vielleicht etwas radikal, ist in diesem Kontext aber fast nachvollziehbar. Denn trotz der 150 Minuten Laufzeit gibt es hier einfach nicht ausreichend Zeit, damit das gelingt, was in Civil War noch funktioniert hatte: Dass jeder Charakter einen bedeutenden Beitrag leistet oder zumindest einen denkwürdigen Auftritt bekommt. Stattdessen wird für die Zuordnung von und Identifizierung mit Figuren auf Vorwissen aus vorangehenden Filmen gesetzt. Wer nicht schon im MCU versiert ist, verliert hier schnell den Überblick und könnte Schwierigkeiten haben, eine bedeutende Bindung mit auch nur einem der Superhelden einzugehen. Selbst die wenigen Figuren, die auch nur den Ansatz eines Charakterbogens durchlaufen, namentlich Avengers-Mitglied Thor (Chris Hemsworth) und Guardians-of-the-Galaxy-Mitglied Gamora (Zoe Saldana), bleiben hier auffallend einseitig.

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Um den Rest der überwältigenden Heldentruppe auch nur in irgendeine Form von Gleichgewicht zu bringen, wurde sie in verschiedene Grüppchen aufgesprengt, die allesamt versuchen, auf ihre Weise Thanos‘ Pläne zu durchkreuzen. Dabei gelingt es dem Film immer wieder, übliche Konstellationen aufzubrechen und die Figuren in neue Anordnungen zu bringen, was oftmals zu urkomischen Situationen und Dialogen führt. So entsteht in einem Film, in dem es gleichzeitig um interplanetarischen Genozid geht, eine angenehme Leichtigkeit. Besonders gelungen ist hier das Aufeinandertreffen der zwei größten Egos des Universums, Iron Man und Dr. Strange, auch bekannt als Sherlock Holmes aus dem Kino (Robert Downey Jr.) und Sherlock Holmes aus dem Fernsehen (Benedict Cumberbatch). Beide Helden haben es sich wie sonst keiner zur persönlichen Aufgabe gemacht, die Welt zu beschützen, ersterer mit seiner Nanotechnologie, letzterer anhand von Magie. Beide Wege ähneln sich in ihrer filmischen Äußerung als frei manipulierbare computer-generierte Effekte dann doch sehr. Gerade durch ihre Ähnlichkeit wird das Aufeinanderprallen und erzwungene Zusammenarbeiten dieser zwei Figuren umso witziger und herausfordernder. Die Beiden bilden nur eins von zahlreichen Paaren, die inf3irgendwann vor die Frage gestellt werden, ob sie das Leben des Einen opfern oder Thanos einen der heißbegehrten Steine überlassen, also ein einziges Leben gegen das des halben Universums tauschen. Dabei läuft das Erringen eines Steins in letzter Instanz immer auf das Durchdeklinieren dieser Situation des geopfert-werden oder sich aufopfern hinaus, was (gerade weil Helden stets liebend gerne den Weg des Märtyrers gehen, jedoch nie das Leid einer anderen Person mitansehen können) auf Dauer repetitiv und einfallslos wirkt.

Die einzige Figur, die wirklich von vornerein und über die gesamte Dauer des Films hinweg Aufmerksamkeit erhält, ist der super-villain Thanos, der nicht nur die Handlung vorantreibt, sondern zudem die titanische Aufgabe hat, alle Handlungsstränge zusammenzubringen. Und obwohl seine backstory und Antrieb etwas plakativ in einer Expositionsszene knapp zusammengefasst werden, gelingt es hier zumindest eine Figur zu zeichnen, die eine Entwicklung durchgeht. Anstatt wie so oft eine einseitige Personifizierung des Bösen darzustellen, die aus Vergnügen tötet, verfolgt Thanos lediglich mit Überzeugung das, was er als sein Schicksal ansieht. Diese zentrale Stellung des Antagonisten ist vor allem eine Reaktion auf die gängige Kritik, Marvels Schurken seien einseitig und langweilig. Und obwohl es stimmt, dass seit Anbeginn des MCUs vor 10 Jahren eine ganze Reihe an entsprechend entbehrlichen Super-Schurken möglichst schnell abgehandelt und wieder vergessen wurde, kamen besonders in den letzten Jahren doch immer wieder einzelne zum Vorschein, die facettenreicher waren und nachvollziehbare Beweggründe aufwiesen. So beispielsweise Civil Wars Zemo (Daniel Brühl), Spider-Man: Homecomings Vulture (Michael Keaton) oder Black Panthers Kilmonger (Michael B. Jordan), während andere wie Loki (Tom Hiddleston) oder The Winter Soldier (Sebastian Stan) über mehrere Filme hinweg eine Entwicklung durchmachten, die sie zu den spannenderen Charakteren des Universums werden ließ. In diesem Licht erscheint der megalomane und übermächtige Thanos nicht gerade als die langersehnte Antwort auf die Suche nach einem bedeutsamen Antagonisten.

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Letztlich beweist Avengers: Infinity War, dass selbst wenn ein Film die renomiertesten Schauspieler einer Generation vereint, sie in spannenden Konstellationen und mit witzigen Dialogen aufeinandertreffen lässt, zudem ein atemberaubendes Spektakel bietet, dass dem Publikum ein Gefühl von Schwerelosigkeit vermittelt, und es dabei schafft, den roten Faden nicht zu verlieren, er noch lange nicht aufgehen muss. Marvel scheint durch den zunehmend seriellen und verstrickten Charakter seines Universums nun erfolgreich die Struktur des Spielfilms überspannt zu haben: Denn (an dieser Stelle folgt eine Bemerkung, die als ‚Spoiler‘ wahrgenommen werden könnte) Infinity War ist der erste Film im MCU, der nicht nur nicht für sich alleine stehen kann, sondern schier nicht abgeschlossen ist. Durch seine episodenhafte Erzählung fühlt er sich eher an, wie eine halbe Staffel unserer Lieblingsserie. Was sich dann als originelles Ende—da anders als üblich—präsentiert, ist eigentlich ein substansloser Halbzeit-cliffhanger, der pünktlich mit der Erscheinung des nächsten Avenger-Films im nächsten Jahr nicht so sehr auserzählt wie revidiert werden wird. Dadurch sieht sich die gewollte Brisanz dieses Endes von vornerein untergraben. Diese Zweiteilung der Handlung wird darin begründet, dass es nicht möglich sei, eine so lang geplante Geschichte mit dermaßen vielen Akteuren in nur einer Spielfilmlänge auszuerzählen. Tatsächlich ist die Grundlage für eine abgeschlossene Handlung jedoch gegeben und hätte bei einer nur minimalen Abweichung der Schlussszene zu einer durchaus konventionellen, aber auch abegerundeten Auflösung geführt. Stattdessen legt das unerwartete Ende den Grundstein für eine Fortsetzung, die zugegeben Potenzial hat (da die Russo Brothers dann endlich die Zeit haben könnten, die entscheidenden Fraktionen aus ihrem Civil War überhaupt in Kontakt zu bringen), aber ebenso wenig in der Lage sein wird, für sich alleine zu stehen. Auf diese Art trifft Marvel wieder einen gewissen Nerv unserer Zeit, in der Serien mit über Jahre hinweg angelegten Handlungen und unzähligen cliffhangern (allen voran Game of Thrones) beliebter sind als Kinofilme. Die Tatsache, dass sich keiner an dieser Ausdehnungstaktik und ihrer Absage der Spielfilm-Struktur aufhängt, beweist, wie gut Marvels franchising Praktiken funktionieren. Die Fans dürften längst akzeptiert haben, dass ein Film hier primär den nächsten aufbaut, und freuen sich sogar darüber spekulieren zu können, was in der kommenden Episode passiert. Anstatt eines vermeintlich originellen Endes, das doch etwas zu offensichtlich als weitere Werbestrategie funktioniert, hätte man sich auf bildlicher Ebene gerade in den zahlreichen Effektsequenzen einige Abweichungen von den Konventionen erlauben können, um eine innovativere Gestaltung dieses doch so großen und diversen Universums zu fördern.

Dominique Ott

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