Geschrieben am 15. November 2018 von für Crimemag, CrimeMag November 2018

Fotografie & Reallife: Street Scenes – Street Crimes (6)

Liebes CrimeMag-Publikum,

Kriminalliteratur wurde früher gerne als „Asphalt-Literatur“ abgetan. Wir finden, dass das ein Adelstitel ist. Wir mögen Asphalt, wir mögen Großstadt, wir mögen Realität. Deswegen präsentieren wir Ihnen heute zum fünften Mal eine neue Rubrik, die jeden Monat Bilder des Fotografen Carsten Klindt und Texte der Polizistin Nadja Burkhardt kombiniert: Street Scenes und Street Crimes. Aus Realität wird Kunst in Bild und Wort, fragmentarisch und  kaleidoskopisch. Freuen Sie sich mit uns! (Hier Auftritt Nr. 1Nr. 2, Nr. 3Nr.4 und Nr. 5)

 

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NightTown – „Bosna Express“ – 60 cm x 90 cm © Carsten Klindt 2018

 

STREET SCENES

„Street Scenes“ ist eine Serie des Berliner Fotografen Carsten Klindt, aus der wir jeden Monat ein Foto präsentieren. Auf der Website von Carsten Klindt können Sie einzelne Bilder auch käuflich erwerben.

STREET CRIMES

Nadja Burkhardt ist aus Überzeugung Street Cop in Berlin. Und sie hat ein Auge für den alltäglichen Wahnsinn. Denn der ist zwar manchmal kleinteilig und unspektakulär, bildet aber den Zustand unserer Gesellschaft präzise ab. Und Nadja Burkhardt weiß auch, dass vieles sehr, sehr komisch ist. Deswegen ab jetzt bei uns jeden Monat  STREET CRIMES – Miniaturen aus dem Irrsinn ohne Ende, komisch, tragisch, real life …

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Notarzteinsatz in einer Saunaeinrichtung für gleichgeschlechtliche „Liebes“-Akte heißt manchmal eben auch, dass sich einer der Besucher DIREKT neben Dir und dem bewusstlosen Patienten freudig einen runterholt….

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„Ihr Fotzen! Ihr Wichser!“

Und ganz persönlich für mich:
„Was willst Du denn? Mit Dir red ich gar nicht, Du Fotze!“
und:
„Wenn ich Dich alleine sehe, dann fick ich Dich richtig, wirst schon sehen. Obwohl, wahrscheinlich gibt Deine Pussy gar nicht viel her.“
Und als Krönung vor unzähligen Menschen: „Das ist eine zulässige Meinungsäußerung, weil es den Tatsachen entspricht. Ihr könnt mir gar nix.“

Mehrmals vorbestraft, allerdings mit Delikten im unteren Bereich.
Der Richter machte ihm heut ziemlich deutlich, dass sein umfassendes Geständnis und seine Entschuldigung bei mir ihn davor bewahrt haben, dass eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegen ihn verhängt wird.

100 Tagessätze á 15 Euro!
Alter Schalter! Damit haben weder ich noch meine Kollegen gerechnet.
Ich bin sehr glücklich über dieses Urteil.

Und da, wo es ihm keine Punkte mehr brachte, entschuldigte er sich mit sichtlich bedröppeltem Gesichtsausdruck noch einmal ausdrücklich und von mir auch als ehrlich empfunden. Ohne Beisein des Richters und der Staatsanwältin außerhalb des Saals.

Ich hoffe, er kriegt die Kurve. Zeit wirds.

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Wenn Eltern ihren fünfjährigen Jungen mitten in der Nacht aus dem Hotelzimmer vermissen….

…..dann fahren nicht nur die Einsatzkräfte mit Lalülala zum Ort, die die Einsatzleitzentrale beauftragt. Es melden sich auch die Streifen freiwillig an, die nur irgendwie den Einsatzort zeitnah erreichen können.

Es ist ein Kind. Es kann so verdammt viel passieren. In Minuten.

Während sich alle Einsatzkräfte im Haus und im Nahbereich verteilen und auf weitere Informationen warten, schnappen mein Kollege und ich uns den aufgelösten Vater.

Ich: „Bringen Sie uns bitte hoch in Ihr Hotelzimmer. Wir müssen dort nachschauen.“

Vater: „Aber da ist er nicht.“

Ich: „Auf die Idee komme ich auch nur, weil ich das selbst schon bei anderen, solchen Einsätzen erlebt habe. Ich hätte vorher auch nie geglaubt, dass Kinder immer noch in dem Zimmer sind, in dem sie auch sein sollen. Aber man lernt ja nie aus.“

Und tatsächlich: Der Vater findet Linus, schnurpselnd mit offenen Augen im Tiefschlaf unter dem Bett an Wand und Kommode gepresst.

Der Vater: „Entschuldigung wegen der ganzen Aufregung und dass alle hierherfahren mussten.“

Ich: „Sie müssen sich nicht entschuldigen. Genau DAS hier, das ist unser Job, genau DAFÜR sind wir da. Sie waren in Panik.“

Mein Kollege, welcher ebenfalls unter das Bett geguckt hat, nachdem Linus gefunden war: „Machen Sie sich keine Gedanken. Ich habe ihn auch erst auf den zweiten Blick sehen können, so klein und an die Wand gedrückt, wie er da lag.“

Ich: „Und wenn es dann bei der Party zu seinem 18. Geburtstag wieder einen solch riesigen Polizeieinsatz gibt, erzählen Sie ihm, dass er das schon mit fünf Jahren supi drauf hatte.“

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„Thank you! This was the best tackle I ever had!“

Der umgeworfene, weil zuvor geflüchtete Sprayer zu seinem festnehmenden Beamten.

(„Thank you for tackling“ Demnächst auch in einem Kino in Ihrer Nähe…)

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„Könnten Sie bitte so höflich sein und nicht ständig Ihre Sicht der Dinge dazwischenwerfen, während der andere Unfallbeteiligte und ich miteinander sprechen?

„Wenn er sprechen darf, dann darf ich das auch! Das hier ist ein freies Land!“

Oh. Achso. Entschuldigung. Mein Fehler.

 

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Carsten Klindt wuchs an der Nordsee auf und ist ausgebildeter Werbefotograf. Er wohnt seit über 20 Jahren in Berlin, betrieb elf Jahre lang eine Bar in Kreuzberg und arbeitet als freischaffender Fotograf. Der Werbung hat er schon lange den Rücken gekehrt. Neben Fotografie sind Noirs der Filmgeschichte eine Leidenschaft.

 

 

NadjaBurkhardtNadja Burkhardt: „Jahrgang 1978, seit 1996 bei der Berliner Polizei. Nach der Ausbildung 4,5 Jahre Hundertschaftsdienst, seither im Schichtdienst als Zweier-Streife aufm Funkwagen.

Mittlerweile Polizeikommissarin, nicht in Berlin geboren und aufgewachsen, aber definitiv ein Kind dieser Stadt. Mein Job ist gefährlich, nervenaufreibend und stressig. Und ich liebe ihn.“

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