Geschrieben am 1. Juni 2020 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2020

Georg Seeßlen über „Der kleine Herr Tod“

Das richtige Buch für diese Zeiten

Was macht man Mythen? Außer sie im Namen der guten alten Aufklärung zu den Akten legen oder erforschen, bis ihnen die Luft ausgeht, meine ich? Das beste, was man mit Mythen machen kann, ist es, sich einen Spaß mit ihnen zu erlauben. Mit dem Tod zum Beispiel, und allen Göttern, Engeln und Dämonen, die man damit verbindet. Und mit Death Metal, dieser Abart des Metal, die mit ihren tiefer gestimmten Saiten immer so klingt, als würde sich irgendwer nicht entscheiden können zwischen der Lebenssehnsucht eines Toten oder der Todessehnsucht eines Lebenden. Mythen, Death Metal und noch mehr oder weniger ganz normal lebende Menschen kommen in Christian Y. Schmidts zweitem Roman, „Der kleine Herr Tod“ vor, den man mit den wundervollen, teils farbigen (Ganzseiter), teils schwarz-weißen (mitten im Text) Illustrationen von Ulrike Haseloff auch fast wie einen Comic lesen kann. 

Dass der kleine Herr Tod neben Sterbologie auch Death Metal (im Nebenfach) studiert hat, legt nun nahe, dass man sich zur Lektüre mit Musik versorgt, etwa von Sepultura aus Brasilien (die auch zu den Lieblingsbands dieses kleinen Rezensenten im Genre gehören), Pig Destroyer und Napalm Death aus den USA oder Entombed aus Schweden, wo bekanntlich ziemlich viel gedeathmetalled wird, vielleicht aus Lichtmangel, wer weiß.

Besagter kleiner Herr Tod – für seine Freunde auch k.H.T. – hatte leider keine reichen Eltern und musste deswegen auch eher weniger spektakuläre Aufgaben übernehmen, wie etwa das Abholen von Hühnern. Massenhaft Hühnern. Und das trotz eines glänzenden Abschlusszeugnisses und einer Diplomarbeit über das Abholen von menschlichen Volltrotteln. Kein Wunder, dass der kleine Herr Tod unter einem heftigen Burnout leidet und daher von Hades in Urlaub geschickt wird. Den will er in Rio de Janeiro verbringen. Übrigens spielen auch ein Rätsel über den Tod eines antiken Philosophen und eine unglückliche Liebesgeschichte eine Rolle. Hier erlebt k.H.T. unter der Ägide des Taxifahrers Osvaldo Otto die eine oder andere Enttäuschung, bis, ja bis er nun eben auf ein Konzert von Sepultura gelangt. 

Nachdem man ihn dort jedoch als Hühnerkiller desavouiert, gelangt er nach Deutschland für seinen Resturlaub, nun in Begleitung eines kleinen Hundes, findet in dem krebskranken Jungen Stephan alias Bengel einen Deathie-Freund, und die drei gründen eine Band, die Death Bengels, deren Hauptziel es ist, den richtigen Menschen schwer auf die Nerven zu gehen, darunter eine Physio- und Gesprächstherapeutin, die ratzfatz von der Bachblüten-Gläubigen zur Alkoholikerin gemacht wird, ein Journalist namens Schummelius und der Hühnerkönig von Meppen, der gemeinerweise Zuckmayer heißt.  

Christian Y. Schmids Roman, das spürt man durchaus, entstand aus einer Art Selbsttherapie. Sich den Tod zum Freund zu machen, das ist ein alter Trick der Kunst. Man kann das Buch aber auch als Fake-Kinderbuch für Erwachsene ansehen, und dabei geht es vor allem darum, eine Art raffinierter Naivität zu konstruieren, was schon rein handwerklich schwieriger ist, als es sich anhört. Umgekehrt aber kann man es auch als ein Erwachsenenbuch ansehen, das gern von Kindern ausgeliehen wird – und nie zurückgegeben. Jedenfalls entsteht da eine kleine Parallelwelt, in der man es gut aushält. Jedenfalls wenn man ein Faible für growlende Kühe hat. 

Eigentlich ist es eine Heldenreise zu den verschiedenen Arten, wie man mit Krankheit, Leid und Tod anderer umgeht. Und wie man es besser nicht macht, weil man sonst mit Death Metal nicht unter 150 Dezibel bestraft wird (oder geläutert, wie man es nimmt). Und wie es sich für eine Heldenreise gehört, gibt es auch hier Versuchungen, Erkenntnisse und finstere Orte wie zum Beispiel Köln am Rhein, wo es, glaubt man dem kleinen Herrn Tod, schon eine Strafe für sich ist, auch nur ein paar Stunden verbringen zu müssen. Die Köln-Feindlichkeit ist übrigens das einzige, was ich nicht gut und gerne mit dem kleinen Herrn Tod, Stephan und Zottel (dem Chihuahua-Hund und ungelernten Schlagzeuger der Death Bengels) teilen will, ganz im Gegensatz zu schlüssigen Erkenntnissen wie dieser: „Von oben ist die Welt deutlich einfacher“. 

„Der kleine Herr Tod“ ist mit seinen rund 125 luftigen Seiten natürlich eine leichte Lektüre. Aber wie hinter jeder guten Leichtigkeit verbirgt sich auch in diesem Roman hier mal was Tiefsinnigeres, dort eine Anspielung auf Köpfe und Hintern der realen Welt, hier eine literarische Doppeldeutigkeit, dort eine Breitseite auf Scharlatanerie und „Gutgemeintheiten“ in Medizin und Journalismus, im ganzen vor allem aber eine sehr warmherzige Geschichte von der heilenden Kraft von Freundschaft, Musik und Pommesgabeln. Eigentlich ist „Der kleine Herr Tod“ eine literarische Feier des Lebens. Und so was kann man in diesen Zeiten wirklich gut gebrauchen.

  • Christian Y. Schmidt: Der kleine Herr Tod. Mit Illustrationen von Ulrike Haseloff. Rowohlt Berlin, Berlin 2020. Hardcover, 144 Seiten, 16 Euro.

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