All posts by Georg Seesslen

        WIE DAS SYSTEM DURCH DIE RELEVANZ SEINER TEILE GESCHAFFEN WURDE                                Ein Rückblick auf das Jahr 2020 aus der nahen Zukunft                                                                           I Das war schon seltsam, damals. Alles schien sich auf den Kopf zu stellen. Was gerade noch erstrebenswert und trostreich war, wurde jetzt gefährlich: Nähe, Zuneigung, Gemeinsamkeit. Oder auch Geschäftigkeit, Wachstum, Konkurrenzkampf. Eine mitteleuropäische Regierung verbreitete ein Video, in dem Auf-der-Couch-sitzen-und-nichts-tun zum neuen Heroismus erklärt wurde. In der Gesellschaft des Spektakels gab es nun nichts gefährlicheres und bösartigeres als eben dies: das Spektakel. Die „Linken“, die einst Kritik und RebellionRead More

Posted On Dezember 1, 2020By Georg SeesslenIn Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Georg Seeßlen: le biennali invisibli

Passend in diese Zeit, wurde dieses Jahr eine „unsichtbare Biennale“ – Le Biennali Invisibli – ins Leben gerufen. Kuratiert von Alfons Hug und in Auftrag gegeben vom Goethe-Zentrum Baku, untersucht das Projekt elf imaginäre Räume, inspiriert von Italo Calvino und seinen „Unsichtbaren Städte“. Mittlerweile ist die Internetseite des Projekt freigeschaltet: www.lebiennaliinvisibli.org. Wir zeigen daraus einige Screenshot.Read More
Über Found Footage Filme Die Viennale zeigt in ihrer Retrospektive „Recycled Cinema“ die vielfältigen Möglichkeiten, aus alten Filmen neue zu machen.  – Von Gerog Seeßlen      Die Welt ist voller Filme, die ungenutzt herumliegen, in elektronischen Wolken stauben oder am falschen Ort falsche Dinge bedeuten. Filmkultur bedeutet unter vielem anderen, zu retten, was der Rettung wert ist, Bedeutungen zu vermitteln, wo es die Theorien, Gewohnheiten und Archive hergeben, und andererseits das mehr oder weniger würdevolle Vergessen zu organisieren. Natürlich gehen Filmindustrie und Filmkunst noch ganz andere Wege. Denn die Filmgeschichte hat bisher dieRead More
Analyse ohne Illusionen In unserer August-Ausgabe brachten wir bereits von Georg Seeßlen einen spielverderberischen Einwurf zur Systemrelevanz von Kultur. Jetzt im September erscheint das zugehörige, weiterführende Buch. Es nennt sich Coronakontrolle, oder: Nach der Krise ist vor der Katastrophe und dekliniert den Abschied von den Hoffnungen auf eine bessere Post-Krisen-Welt. Diese Hoffnungen gab es zu Beginn der Pandemie: Die Krise würde zu mehr Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlich-solidarischer Einrichtungen führen, zu mehr Wertschätzung für Ärzte und Pflegepersonal, zu mehr Solidarität in den Bevölkerungen. Als kleines Nebenprodukt würde sie die FrageRead More
Rückkehr zur Normalität – Die Rolle von Kunst und Kultur (Ein extrem spielverderberischer Einwurf – von Georg Seeßlen) Zu den Trostbildern in der Corona-Krise gehört es, dass Kultur in der einen oder andere Form trotz des Gebots der sozialen Isolation und der Unmöglichkeit analoger Öffentlichkeit, immer wieder Wege zu den Menschen findet: Virtuelle Filmfestspiele und Opernaufführungen, Lesungen, die statt in der Buchhandlung im Internet stattfinden, digitale Kunst-Galerien für alle, Symposien und Diskursveranstaltungen in netzhaften Verschaltungen, eine kulturelle Sharing- und Danksagungs-Plattform und vieles mehr. Die Gesellschaft und der Staat (von denRead More
Das richtige Buch für diese Zeiten Was macht man Mythen? Außer sie im Namen der guten alten Aufklärung zu den Akten legen oder erforschen, bis ihnen die Luft ausgeht, meine ich? Das beste, was man mit Mythen machen kann, ist es, sich einen Spaß mit ihnen zu erlauben. Mit dem Tod zum Beispiel, und allen Göttern, Engeln und Dämonen, die man damit verbindet. Und mit Death Metal, dieser Abart des Metal, die mit ihren tiefer gestimmten Saiten immer so klingt, als würde sich irgendwer nicht entscheiden können zwischen der LebenssehnsuchtRead More
Eine Musik wie das Universum                           „A voice comes to one in the Dark. Imagine.“ –Samuel Beckett Der Rhein ist ein langer aber nicht wirklich immer ruhiger Fluß, der von der Schweiz bis in die Niederlande so einiges mit sich führt und an etlichen Musik- und Kunst-affinen Städten vorbei führt. Vielleicht weil die genuine Musik, die an den Seiten des Rheins, nicht nur, aber vornehmlich in Deutschland der Brauch ist, von empfindsameren Menschen nicht einmal im Zustand der Volltrunkenheit zu ertragen ist und weil das, was man den „rheinischen Kapitalismus“ nennt, seltenRead More

Posted On August 5, 2019By Georg SeesslenIn Litmag, NATUR Special, News, Specials

Georg Seeßlen über Primzahlen und Zikaden

Der Gesang der Katastrophe Anmerkungen zu Primzahlen, Zikaden und Sprachen an einem langen, schläfrigen Sommernachmittag – von Georg Seeßlen                                                                    I Wenn man lange genug an einem späten Sommernachmittag unter diesem oder jenem Baum sitzt und nachdenkt (wie es ein nicht zu Ende befreiter Sklave gerne tut), gehen Gedanken, jedenfalls einige von ihnen, dorthin, wo noch keiner von ihnen war und wohin sie niemand geschickt hat. Es ist etwas, das einen durchströmt, als hätte man gerade alle Zeit der Welt; und die wiederum sei gerade dabei in sonderbare Einzelteile zu zerfallen. Zahlen und Reihen durchziehen das Wuchernde undRead More
Der kultivierte Cyborg, der unsterbliche Popstar und die lebende Wand des Wallpaper-TV Der Cyborg, das elektronisch­organische Mischwesen aus Mensch und Maschine, ist keine Zukunftsmusik mehr. Er ist auf der Ebene der Mechanik und der Chemie (1) so real wie auf der Ebene von Geist, Wahr­nehmung und Intelligenz. Wir sind die Cyborgs. Aber nicht das ist der Skandal. Aus dem Kino wissen wir, dass man mit dem Cyborg-­Status durchaus leben kann, eine entsprechende Kultur und ein entsprechen­der Auftrag vorausgesetzt. (Denn anders als bei einem »fleischlichen« Menschen, der einfach da ist, gibtRead More
Verlust des Verlustes Eine hauntologische Grille – von Georg Seeßlen                                                                  I Unser Denken entsteht aus Unterscheidungen (Tag/Nacht, Lebendig/Tot, Rau/Glatt, Flüssig/Fest usw.) und unser Leben entsteht aus Trennungen (Mutter/Kind, Ich/Welt, Lust/Pflicht, Realität/Magie usw.). Jede Unterscheidung und jede Trennung ist zugleich Gewinn und Verlust. Etwas muss da immer abhanden kommen, aber wo geht es hin? Verlust ist nur spürbar, weil etwas nicht einfach weg ist. Der Kopf und die Kultur sind voll vom Verlorenen. Der Segen und das Verhängnis des Menschen: Dass er aus dem Verlust eine Produktivkraft gemacht hat.  KulturRead More

Posted On Oktober 16, 2018By Georg SeesslenIn Crimemag, CrimeMag Oktober 2018

Georg Seeßlen über Ingrid Mylo

Winkendes Kind im Kobaltkleid Ingrid Mylos Kunst des lyrischen Flanierens – von Georg Seeßlen  Was sind das für Zeiten, wo die Kunst des Flanierens verschwinden muss, weil im öffentlichen Raum nur noch Werbung, Kontrolle und Bürgerkrieg zu finden ist? Das Flanieren, ein achtsames, auch empfindsames Gehen durch den kultivierten Raum, mit offenen Augen und Ohren, und seine Widerspiegelung in der Kunst, das war einst die zartere praktische Poesie der Aufklärung in der Stadt. Privilegiert, vielleicht, denn Flanieren braucht Zeit, aber auch demokratisch in seiner Offenheit, kritisch in der Genauigkeit desRead More

Posted On Januar 15, 2017By Georg SeesslenIn Bücher, Crimemag, Primärtext

Georg Seeßlen: Trump! POPulismus als Politik

Der Volksheld als Medienfigur – von Georg Seeßlen. Das ist schon immer seine Stärke gewesen, wie Georg Seeßlen die Populärkultur und ihre Bilder, Mythen, Verbiegungen, Träume und Versprechungen zu analysieren und verknüpfen versteht. Gäbe es jemanden, der ihn noch nie gelesen hat, wäre dieses schmale, pralle Buch eine idealtypische Empfehlung. 140 Seiten lesbare, erkenntnisreiche Lektüre – viel mehr muss man über Trump nicht sagen und nicht wissen. (Natürlich doch, wir empfehlen auch ausdrücklich our own Thomas Adcock nebenan.) Georg Seeßlen analysiert in seinem neuen, aktuellen Buch Donald Trump als Produkt derRead More
Vom Wiedergewinnen verlorener Freiheit — Eine Laudatio von Georg Seeßlen auf den Künstler Christoph Schlingensief. Jetzt im Oktober wurde – posthum und fünf Jahre nach seinem Tod – der Konrad-Wolf-Preis 2015 an Christoph Schlingensief und das von ihm begründete Operndorf in Burkina Faso verliehen. Die Begründung lautete: „Konrad Wolf war ein politischer Filmemacher. Für ihn, von einem großen, skeptischen Projekt des Humanismus inspiriert, war es nicht nur wichtig, was Filme zeigen, sondern auch, was sie bewirken. Daher soll der Preis in seiner geistigen Dimension an einen Filmkünstler gehen, der sichRead More