Geschrieben am 10. Dezember 2011 von für Crimemag

Giuliano Belfiore/Aufgezeichnet von Francesco Sbano: Die Ehre des Schweigens

Versemmelt

Giuliano Belfiore: „Die Ehre des Schweigens. Ein Mafiaboss packt aus“, aufgezeichnet von Francesco Sbano und schlecht übersetzt resp. lektoriert. Trotz des spannenden Themas hat sich Susanna Mende geärgert.

Der italienische Fotograf und Journalist Francesco Sbano beschäftigt sich seit den neunziger Jahren mit der ‘Ndrangheta, der kalabrischen Mafia, über die er u. a. in Spiegel, FAZ, Le Monde, Le Nouvel Observateur und The New York Times Fotoreportagen veröffentlich hat. Zwischen 2000 und 2005 brachte er die CD-Trilogie „La musica della Mafia“ heraus und 2009 erschien seine Filmdokumentation „Uomini d’onore/Männer der Ehre“. Mit „Die Ehre des Schweigens. Ein Mafiaboss packt aus“ hat er die zahlreichen Gesprächsaufzeichnungen mit einem Mafiaboss vorgelegt – das allerdings in ungewöhnlicher Form.

Die ‘Ndrangheta, deren Ursprünge bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen, betätigt sich heute vor allem im Bereich Drogenhandel und in der Baubranche zum Zwecke der Geldwäsche, und das weit über Europa hinaus bis nach Nord- und Südamerika und sogar Australien, nachdem zuvor mit Schutzgelderpressung und Entführungen ein so großes Vermögen angehäuft wurde, dass die ‘Ndrangheta sich innerhalb Italiens zu einem mächtigen Staat im Staat entwickeln konnte und auf sämtlichen gesellschaftlichen Ebenen, mit und ohne Gewalt, einen noch immer unterschätzten Einfluss ausübt.

Intention unklar?

Sbano, selbst in Kalabrien geboren und von klein an mit der allgegenwärtigen Präsenz der ‘Ndrangheta konfrontiert, geht als Journalist einen ungewöhnlichen Weg in der Auseinandersetzung mit dem Thema, was ihm, wie sein Kollege Andreas Ulrich im Vorwort zu seinem Buch erwähnt, bereits häufig Kritik eingebracht hat. Die Nähe zur Mafia sei zu groß und seine Absichten somit unklar. Schon im Jahr 2008 wurde Sbano in einem Artikel in der ZEIT Online als Mafiasympathisant bezichtigt, der mit der Herausgabe der CD-Trilogie „La Musica della Mafia“, Zitat, „der ehrenwerten Gesellschaft damit eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung als Folkloretruppe gegeben“ habe.

Mit der nun vorliegenden Aufzeichnung der Bekenntnisse eines noch immer aktiven Anführers der ‘Ndrangheta, die er in die Ich-Form überträgt und unter Pseudonym veröffentlicht, unternimmt Sbano ein ebenso interessantes wie gewagtes Experiment: Er bewegt sich in einer Grauzone zwischen Fakten und Fiktion, wobei die Absicht, die hinter der Wahl dieser Form steht, offensichtlich zu sein scheint: Es geht ihm um Authentizität und Unmittelbarkeit, um ein besseres Einfühlen in eine „Mafiaseele“, die tatsächlich ziemlich freimütig aus dem Nähkästchen plaudert, über den strengen Ehrenkodex, die eine straffe Hierarchie verratenden Aufnahmerituale, eine archaisch anmutende Blut- und Bodenmentalität, Bereitschaft zu grausamer Brutalität und völlige Respektlosigkeit gegenüber Institutionen und der Gesetzgebung eines Staates.

Die Aufzeichnungen beginnen im Frühjahr 1980, als der unter dem Pseudonym Giuliano Belfiore berichtende „Boss“ nach mehreren Jahren aus Deutschland in seinen kalabrischen Heimatort Brancavilla zurückkehrt, um Mitglied der ‘Ndrangheta zu werden. Er scheint die Prüfungen stets mit Bravour zu bestehen, wozu auch ein Gefängnisaufenthalt gehört, und steigt rasch in die „Obere Gesellschaft“ der Region von Brancavilla auf, wo er fünfhundert Mafiosi unter sich hat und sich um die Abwicklung von Drogengeschäften, Versicherungsbetrug im großen Stil und Mordaufträge kümmert.

Geschäfte & Strukturen

Sein Bericht über die Rückkehr nach Hamburg ein paar Jahre später gibt spannende Einblicke in die auch in Deutschland allseits präsente ‘Ndrangheta, deren unbehelligtes Treiben Belfiore folgendermaßen erklärt: „Dank der beneidenswerten sozialen Bedingungen und einer größeren öffentlichen Sicherheit, die von einer Polizei garantiert wird, die anders als bei uns in Kalabrien keine Schutzgelderpressungen und blutigen Fehden duldet, nehmen die Deutschen das Phänomen der organisierten Kriminalität praktisch nicht wahr.“ Nicht Morde, sondern Geschäfte sind das, was Deutschland zu einem lukrativen und angenehmen Spielfeld macht, darunter vor allem Immobilienbeteiligungen zur Geldwäsche und eine große Abnehmerschaft für Drogen.

Zurück in Italien geht es in der lichten Höhe, in der sich Belfiore innerhalb der Hierarchie inzwischen befindet, um Geschäfte von solchem finanziellen Umfang und politischer Tragweite, dass seine Verhandlungspartner Bankdirektoren, Politiker, Richter und Staatsanwälte sind. Angesichts der allgegenwärtigen Bereitschaft zu Korruption, Machterhalt um jeden Preis und Selbstbereicherung hat es beinahe etwas Anrührendes, als Belfiore irgendwann von Gewissenbissen gegenüber seinem Land geplagt zu sein scheint. Und spätestens als ihm klar wird, dass sein Sohn Ercole bereit ist, sein Erbe anzutreten, erinnern wir uns wieder an die düsteren Sätze eines Michael Corleone angesichts eines scheinbar unentrinnbaren Schicksals.

Fakten & Fiktionen?

So erhellend und bereichernd diese Einblicke in die inneren Strukturen der ‘Ndrangheta und die Denkweise eines ihrer Anführer sind, bleibt bei der Lektüre doch die Frage bestehen, wo die Grenzlinie zwischen Fakten und Fiktion verläuft, und inwieweit Sbano den Wahrheitsgehalt dessen, was Belfiore äußert, überprüft und gesichert hat. Es ist die Form der Ich-Erzählung, die diese Angriffsfläche bietet, was Sbano, nach den bereits erfolgten Attacken, jedoch bewusst sein dürfte.

Eine zweite Frage ist, ob ein Mann, der einem Journalisten so freimütig und in weiten Strecken voller Stolz über sein Leben und Wirken als einflussreicher Mafiaboss berichtet, einen besonderen Tonfall anschlägt, getragen von Pathos oder ganz nüchtern oder gar vulgär. Die leider nicht nur von sprachlichen Fehlern strotzende, sondern stilistisch holperige Übersetzung, lässt darüber nur Mutmaßungen zu. Doch gerade weil Sbano die Ich-Form für die Aufzeichnungen gewählt hat, wäre ein besonders sorgfältiger Umgang mit der Ausdrucksweise des Sprechers angebracht gewesen. Vor sich hat der Leser allerdings ein merkwürdiges Kauderwelsch, das streckenweise nur mit Mühe zu lesen – und zu verstehen – ist. Schade für ein ungewöhnliches und im Grunde lesenswertes Buch.

Susanna Mende

Giuliano Belfiore/Aufgezeichnet von Francesco Sbano: Die Ehre des Schweigens. Ein Mafiaboss packt aus. Sachbuch. Deutsch von Magdalena Löwenzahn.  München: Heyne 2011. 318 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zum Interview mit Francesco Sbano.

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