Geschrieben am 25. Juni 2011 von für Crimemag

Guido Rohm: Fußstapfen im Schnee

CrimeMag Primär – heute mit einer neuen Story von Guido Rohm

Fußstapfen im Schnee

– Harald war da. Harald hat mir geholfen. Das ist nicht so einfach. Ein Hof. Die Tiere. Die starben. Zu viele. Lagen am Morgen da. Tot! Und dann kam Harald. Half. Auch meinem hungrigen Körper. Was kann ich denn für den Krieg? Ich sagte nicht zu ihm: Geh! Das war der Führer. Immer mehr wollen. Mehr. Das konnte nur schiefgehen. Da hätte man mich fragen sollen. Eine rasche Hochzeit. Dann der Abzug. Der Einzug. Die Vögel folgten ihm. Die Vögel irrten sich. Im Winter fliegt man in den Süden. Nicht in den Osten. Im Osten wird gestorben. Das musste er erfahren. Er musste es finden. Er hat es gefunden. Ein Schneegrab. Ich träume manchmal von ihm. Ich erzähle es nicht. Harald weiß nichts von meinen Träumen. Ich sehe ihn liegen. Schneeflocken kitzeln sein Gesicht. Kein Lachen. Die Starre des Todes. Ich erwache. Schaue mich um. Neben mir atmet Harald. Sein linkes Bein fehlt. Aber er ist da. Für mich. Lieber ein Mann mit nur einem Bein als gar kein Mann. Harald liebt mich. Er sagt es. Und wenn er käme?, frage ich. Er kommt nicht, sagt Harald. Er ist tot. Ja. Vielleicht. Wenn ein Mann in Lumpen auftaucht, dann zittere ich. Ich verstecke mich. Wie sollte ich ihm die Anwesenheit Haralds erklären. Wieder kommt einer. Harald spricht mit ihm. Das ist er nicht. Das ist er. Harald führt ihn in den Stall. Er erschlägt den Fremden. Harald hat schon viele Fremde erschlagen. Er will mit mir alleine sein. Was machst du mit den Männern, frage ich Harald. Nichts. Das sagt er. Du tötest sie. Nein! Ich töte sie nicht. Du träumst das nur. Ich träume von ihm. Das erzähle ich Harald nicht. Träume vom Schnee. Von einer Hochzeit in Weiß. Er wird kommen. Irgendwann. Er wird mir mein Leben nehmen, weil er sein Leben zurück haben möchte. Das geht nicht. Harald kümmert sich um alles. Harald schlägt die Ankömmlinge tot. Alle. Das träumst du nur, sagt Harald. Sieh mich doch nur an. Nur ein Bein. Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte. Ich bin ein Krüppel. Du träumst das nur. Ich träume nicht. Ich kann ihn in seinem Schneegrab sehen. Er schaufelt den Schnee zur Seite. Seine Augen schlagen das Leben in den Körper. Ein Untoter. Er kehrt zurück. Er will mein Blut. Mein Leben. Ich erzähle es im Dorf. Man glaubt mir nicht, bis Vieh stirbt. Wunden am Hals. Das sei er, erkläre ich allen. Man beäugt den Harald. Sie werden dem Harald auf die Spur kommen. Er rächt sich. Er hat den Marsch von Osten nach Westen bewältigt. Ich habe Schuld auf mich geladen. Sagen die im Dorf. Ja, sage ich. Die Leute sehen mich so seltsam an, sagt Harald. Er kommt zurück, sage ich. Er kommt nicht mehr, sagt Harald. Er ist gestorben. Sie alle sind gestorben. Man hat sie zum Sterben an die Ostfront geschickt. Er ist da. Wo?, fragt Harald. Er saugt dem Vieh der Nachbarn das Blut aus. Legenden, sagt Harald. In der Nacht kann ich sie kommen hören. Sie holen Harald. Meinen einbeinigen Harald. Sie schleppen ihn fort. Sie erschlagen ihn in einem Graben. Sie werfen Erde auf seinen einbeinigen Leib. Ich bin alleine. Besser ist das. Ich warte auf ihn. Er wird kommen. Ich denke nicht an Harald. Das Vieh lebt. Die mysteriösen Übergriffe sind beendet. Ich habe es für uns getan. Harald war ein Fehler. Er musste fort. Er musste aus meinem Kopf. Er musste in einen Graben. Ein Lumpenmann steht vor der Tür. Ein Kriegsheimkehrer. Du bist es nicht. Ich lade ihn ein. Er findet in mein Bett. Wir teilen unsere Gedanken und unsere Körper. Ich frage ihn nach dir. Er will bleiben. Das geht nicht. Du musst gehen, sage ich. Warum?, fragt er. Weil sonst das Vieh sterben wird, sage ich. Er sieht es nicht gern, wenn ich mich mit fremden Männern einlasse. Das ist Ehebruch. Ich weine. Ich versinke mit dem Gesicht im Kissen. Wein doch nicht, sagt er. Er kommt nicht zurück. Da klopft es an der Tür. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf. Ich sehe zum Fenster hin. Dicke Schneeflocken fallen. Das ist er, sage ich. Er ist zurück. Heute. Nein, nein, sagt der Mann in meinem Bett. Ich greife neben das Bett. Da liegt ein Hammer. Man weiß ja nicht, was kommen wird. Ich hebe den Hammer und schlage zu. Ich schicke ihn fort. Das Klopfen hat aufgehört. Nein, schreie ich und stürme. Ich renne hinaus. Fußstapfen im Schnee. Er war hier. Er hat alles gesehen. Er ist gegangen. Es ist zu spät. Er geht in den Osten. Wie damals. Er geht fort. Lässt mich zurück. Ich muss mich um den Hof kümmern. Ich darf keine fremden Männer einlassen. Er wird kommen. Ich werde die Tür öffnen. Er wird sagen: Hier bin ich! Ich werde ihn einlassen. Er wird mir verzeihen. Ich renne zur Straße. Ich kann ihn sehen. Er kommt. Ein Lumpenmann. Ich winke. Er winkt zurück. Ich streife das Nachthemd über meinen Kopf. Ich stehe nackt in der Landschaft. Er verharrt. Ich bin bereit, ihn zu empfangen. Ich habe viele Opfer bringen müssen. Er wird mir verzeihen. Er ist nicht tot. Ich öffne die Arme. Der Lumpenmann kommt näher. Er sieht wie Harald aus. Das kann nicht sein. Harald ist tot. Sein Name sei Manfred, sagt er. Ich lasse ihn ein. Er wird nicht lange bleiben können, denn wenn du kommst, dann wird er gehen müssen. Schon stirbt wieder Vieh in der Umgebung.

Guido Rohm

Guido Rohm wurde 1970 in Fulda geboren, wo er heute auch lebt und arbeitet. Er schreibt u.a. für verschiedene Onlinemagazine. Sein Debüt, der Kurzgeschichtenband „Keine Spuren“, erschien 2009 im Seeling-Verlag (Frankfurt). Der deutsch-französische Schriftsteller und Übersetzer Georges-Arthur Goldschmidt schrieb das Vorwort zu „Keine Spuren“. Sein erster Roman „Blut ist ein Fluss“ erschien im Frühjahr 2010 ebenfalls im Seeling-Verlag. Seine jüngste Veröffentlichung, die Erzählung „Eine kurze Geschichte der Brandstifterei“, wurde im Textem-Verlag (Hamburg) veröffentlicht. 2011 werden der Roman „Blutschneise“ (Seeling-Verlag) und der Kurzgeschichtenband „Die Sorgen der Killer“ (Kulturmaschinen) erscheinen. Bei den Kulturmaschinen erscheint im Frühjahr 2012 außerdem der Roman „Schmutzige Hunde“.

Und demnächst dies!

Tags :