Otto Penzler – Besuch bei einer Legende
Der Mysterious Bookshop, einer der ältesten und größten auf Kriminalliteratur spezialisierten Buchhandlungen der USA, befindet sich in der Warren Street im eher beschaulichen New Yorker Stadtteil TriBeCa (Triangle Below Canalstreet). Zwei große Schaufenster eröffnen den Blick auf einen hohen und tiefen Raum, dessen Wände ringsherum bis unter die Decke mit Regalen bedeckt sind. SUSANNA MENDE war zu Besuch …
Es ist der 26. Mai 2010, kurz vor siebzehn Uhr, als ich die Krimibuchhandlung betrete, wo ich mit deren Eigentümer Otto Penzler zum Gespräch verabredet bin. Otto Penzler ist in der amerikanischen Crimefiction-Szene eine Instanz und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt; vor allem als unermüdlicher Herausgeber wichtiger Krimianthologien und Autor zahlreicher Krimikolumnen- und Kritiken. Zu den jüngsten spannenden Sammelwerken gehören The Lineup – The World’s Greatest Crime Wirters Tell the Inside Story of Their Greatest Detectives von 2009 und Agents of Treachery – Never before pulished Spy Fiction from Today’s most exciting writers, das in diesem Sommer erscheint.
Außerdem wurde in diesem Jahr von den Swann Galleries, einem renommierten New Yorker Auktionshaus, die Otto Penzler Collection of British Espionage and Thriller Fiction versteigert.
Es ist angenehm, in den kühlen, hohen Raum zu treten, dessen Teppich jeden Schritt verschluckt. Neben den Tausenden von Bänden in den Wandregalen gibt es zahlreiche Tische und sogar Vitrinen für wertvolle „Vintages“. Ein Ledersofa in der Mitte des Raums lädt zum Verweilen ein. Der rechte Teil der rückwärtigen Regalwand ist einem einzigen Autor gewidmet: Sir Arthur Conan Doyle, mit dem Otto Penzler, wie er später verrät, das Lesen von Kriminalliteratur begonnen hat, und auf den er noch immer große Stücke hält, wenn es auch Autoren wie Chandler oder Ambler waren, die ihm zum ersten Mal den Eindruck gaben, dass crime fiction große Literatur ist.
Nobodoy shoplifts from a store that knows 3.254 ways to murder someone
Ich melde mich bei Ian an, der vorne rechts an seinem Schreibtisch sitzt. Er ist einer von sieben Mitarbeitern der Buchhandlung, von denen vier ganztägig beschäftigt sind. Er weist mir den Weg in Otto Penzlers Büro. Auf der rechten Seite, ungefähr in der Mitte des Raums, befindet sich eine auf den ersten Blick unscheinbare Metalltür, behängt mit dem berühmten Crime-Scene-Absperrband. Darunter prangt ein rotes Schild mit einem wichtigen Hinweis: „Nobodoy shoplifts from a store that knows 3.254 ways to murder someone.“ Aha!
Ich gehe durch die Tür eine schmale Betontreppe in den Keller hinunter. Als ich um die Ecke komme, steht Otto Penzler vor mir; ein untersetzter Mann mit weißen Haaren und weißem Bart, dessen blaue Augen mich aufmerksam und mit kühler Geschäftsmäßigkeit anschauen; hanseatisch geradezu, denke ich – Otto Penzler wurde 1942 in Hamburg geboren und ist mit seiner Mutter, einer Kriegswitwe, 1947 in die USA emigriert. Auf die Frage, ob es noch familiäre Bindungen nach Deutschland gebe, antwortet er mit einem knappen Kopfschütteln.
Durch einen großen, niedrigen Raum, dessen Wände und ein Teil des Fußbodens ebenfalls mit Büchern bedeckt sind, werde ich vorbei an zwei Mitarbeitern in Ottos Arbeitszimmer geführt. Obwohl ein niedriger Kellerraum, strahlt er etwas von einem englischen Gelehrtenzimmer aus: auf dem Fußboden liegt ein Perserteppich, vor der Regalwand steht ein Holzschreibtisch und davor sind in gesprächsfreundlichem Winkel zwei Ohrensessel mit Tischchen in der Mitte platziert. Ich werde gebeten Platz zu nehmen und erneut darauf hingewiesen, dass seine Zeit begrenzt sei.
Penzler ist, wie er berichtet, gerade bei der Bookexpo America gewesen, die vom 23. – 26. Mai 2010 in New York stattfand. Also sprechen wir erst einmal über Aktuelles. Ein großes Thema ist in diesem Jahr für Buchmacher das E-Book. Bei den großen Verlagshäusern in den USA machen die Verkäufe von E-Books immerhin schon 8 Prozent aus, und es gibt Prognosen, wie ich in der New York Times lesen kann, dass das E-Book in fünf Jahren bereits fünfzig Prozents des Marktes beherrschen soll. Als ich Penzler nach seiner Einschätzung frage, winkt er mit der Bemerkung ungeduldig ab, dass die Prognosen jeden Tag wechselten und ihn das sowieso nicht interessiere, weil er richtige Bücher verkaufe.
Crime Fiction in the USA
Interessieren und beschäftigen tun ihn seit Jahren große Konkurrenten wie Barnes & Noble und Borders und vor allem Amazon. Zur Veranschaulichung nennt er Zahlen: Die Anzahl der unabhängigen Buchhandlungen in den USA ist in den letzten Jahren von 20.000 auf 5.000 geschrumpft. Da hilft es auch nicht viel, dass Kriminalliteratur einen Anteil von 11 Prozent des gesamten Buchmarkts hat. Spezialisierte Buchhändler wie er sind also eine vom Aussterben bedrohte Gattung, was umso bedauerlicher ist, da das in Jahren des neugierigen Selbststudiums erworbene Wissen noch immer gefragt ist. Mit der notwendigen Portion grimmigen Humors berichtet er, das ihn Bekannte und Freunde manchmal beinahe ärgerlich anriefen, wenn sein Newsletter mit ein, zwei Tagen Verspätung erscheine, weil sie, wie sie nicht einmal verschweigen, auf dem Weg zu Barnes & Noble seien und die neuesten Buchtipps bräuchten. Eine weitere Zahl, die er im Vorwort zu The Lineup nennt, klingt ebenfalls bedenklich: Das National Endowment for the Arts hat 2007 ermittelt, das 57 Prozent der Amerikaner in einem Jahr nicht ein einziges Buch gelesen haben.
Man ahnt, dass unter solchen Bedingungen das Betreiben einer spezialisierten Buchhandlung, gerade im teuren Manhattan, einem täglichen Überlebenskampf gleichkommt. Ein Versuch, die Lage zu entspannen, war 2005 der Umzug von der ersten Adresse in der quirligen, vom Geschäftsleben dominierten Midtown, wo Otto Penzler die Buchhandlung am Freitag, dem 13. April 1979 eröffnete, ins ruhigere Downtown. Wirtschaftlich hat es keine nennenswerten Verbesserungen gebracht, weil jedoch viele Familien in der Gegend wohnen, ist nun das Kinder- und Jugendbuchangebot im Laden größer.
Otto Penzler setzt auf Unermüdlichkeit und neue Ideen. So ist der Band The Lineup aus monatlichen Einzelpublikationen entstanden, die von den Kunden jedoch sehr geschätzt und nachgefragt wurden. Und es sind natürlich auch die zahlreichen persönlichen Kontakte zu den Autoren und deren Wertschätzung für Penzlers Arbeit, die diese auch mal auf ein Honorar verzichten lassen. Erfreulich ist ebenfalls, dass sich viele seiner Anthologien auch im Ausland großer Wertschätzung erfreuen; bis auf Deutschland, wo anscheinend keine Short Storys mehr gelesen würden, wie er streng feststellt. Diese Einschätzung muss ich leider bestätigen.
Old Europe?
Wie es mir bei meinem Aufenthalt in New York schon öfter widerfahren ist, spricht auch Penzler, wenn die Rede auf Europa kommt, von Ländern mit einer Art „socialistic system“. Und er hält nicht damit hinter dem Berg, dass er davon gar nichts hält. Ich stutze ein wenig und frage ihn, ob er damit nicht in gewisser Weise auf ideologischem Kollisionskurs mit dem sei, was in crime fiction an Realität verhandelt würde, im Sinne einer gesellschaftlich engagierten Literatur, deren Autoren tendenziell zu linken Überzeugungen neigten. Er zögert keine Sekunde, dem zuzustimmen, macht jedoch deutlich, dass er diese Überzeugungen nun einmal nicht teile. Crime fiction sei Literatur freier Länder, die sich dadurch auszeichneten, dass jeder kritisch seine Meinung über die Zustände zum Ausdruck bringen dürfe – eben auch in Form von Literatur.
Ich frage ihn, was er denn von einer durchaus sozialistisch anmutenden Regelung wie der Buchpreisbindung halte. Er sieht die Falle und lacht; für sein Business wäre das trotzdem eine feine Sache.
Susanna Mende
Fotos: Copyrigt by Peter Klöss