Geschrieben am 1. Mai 2020 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2020

Johann Allacher: Wiener Krimi mit Musik #covid-19

Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen, der Wiener Blues

Zum neuen Buch von Johann Allacher – und der Tonspur mit dazu

Lesen ist die einzige Möglichkeit, ausbrechen zu können, ohne dabei den Raum zu verlassen. Gerade in Zeiten von Corona braucht es die Auseinandersetzung mit Geschriebenem abseits der allgegenwärtigen Krisen-Berichterstattung. Sei es als emotionaler Ausgleich zum Gefangensein in den eigenen vier Wänden, als Ablenkung vom schwer greifbaren Bedrohungsszenario durch das Virus, oder für einen Ausflug in die Welt der Fantasie. Die ungewollte Renaissance der Biedermeier-Epoche eignet sich bestens dazu, alternative Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Bilder von Gesichtern ohne Mundschutzmasken und von Menschen, die ohne „social distancing“-Vorgaben miteinander kommunizieren, sich streiten, sich versöhnen, sich lieben. Oder sich den Schädel einschlagen. Der Wiener Johann Allacher schreibt Krimis. Ein Metier, das um die Schilderung von Handlungen mit tödlichem Ausgang nur schwer herumkommt. Auch ohne Virus. So weit, so bekannt. Dennoch unterscheidet sich das neue Werk des Autors von der Flut an Neuerscheinungen, die jedes Frühjahr den Buchmarkt überschwemmt. Denn zu seinem dritten Krimi rund um den Bummelstudenten Erki Neubauer hat Allacher auch gleich den passenden Soundtrack komponiert. Hier beschreibt er uns das selbst:

„Schon beim Skizzieren der Krimihandlung ist für mich klar gewesen, den der Erzählung zugrundeliegenden Song hörbar machen zu wollenAlso habe ich mich an den alten Bösendorfer-Flügel in meinem Wohnzimmer gesetzt und darauf herum geklimpert. Zielsetzung war es, meine Leser auf einer Zeitreise musikalisch zu begleiten, die sie zurück in die wilden Siebzigerjahre führen sollte. In die Anfangstage österreichischer Rockmusik, mit ihren oft ungelenken und provinziell anmutenden Versuchen, dem von angloamerikanischen Idolen vorgelebten Weg des sex and drugs and rock’n’roll  nachzueifern. Verkörpert wird diese Einstellung von den Velvet Shades, einer jungen Band aus Wien, die ich über München ins Berlin des Jahres 1976 reisen lasse , um dort, im damaligen Zentrum europäischer Popkultur, zu internationalem Ruhm zu gelangen. Das Unterfangen scheitert jedoch an persönlichen Unzulänglichkeiten und was bleibt, ist ein Scherbenhaufen, der Wiener Blues

Für mich als Musiker der ideale Plot, um eigene Erfahrungen mit den familienähnlichen Strukturen innerhalb von Rockbands einzubringen. Es sind das Konstellationen, in denen man sich schnell sehr nahe steht. Der Wunsch, gemeinsam gute Musik zu kreieren, macht es für jeden einzelnen erforderlich, einen Teil seines Innersten preiszugeben. So etwas macht verletzlich. Die meisten Bands haben daher nur eine begrenzte Lebensdauer. Auch die Velvet Shades scheitern an dieser Hürde – doch nicht endgültig.  Mit vierundvierzigjähriger Verspätung findet ihr Song Boogie Street den Weg ins Radio. Das bringt längst verdrängte Konflikte zwischen den ehemaligen Bandkollegen wieder an die Oberfläche und gibt mir dadurch den Stoff für eine Krimihandlung im heutigen Wien. Dieses Spiel mit zwei recht lange auseinanderliegenden Zeitebenen hat mir besonders viel Vergnügen bereitet. Neben der gewohnten Beschäftigung mit aktuellem Geschehen hat es mir ermöglicht, auch alte Erinnerungen an die Siebzigerjahre auszugraben. Verblasste Kindheitserinnerungen an großblumig gemusterte Tapeten, orangefarbene Möbel, das erste Farbfernsehgerät und bunte, vielfältige Rockmusik im Radio. 

Johann Allacher © Egons

Vielleicht ist Wiener Blues dadurch auch mein bislang persönlichstes Buch geworden. Auch wegen des bestimmenden Themas „Musik“. Habe ich mich bei dieser Veröffentlichung doch bemüht, die zwei am stärksten ausgeprägten Seiten meines kreativen Schaffens miteinander zu verknüpfen. Dabei konnte ich viele Parallelen erkennen. Sowohl beim Schreiben als auch beim Musizieren entsteht vieles intuitiv, aus dem Bauch heraus. Trotz unterschiedlicher gestalterischer Mittel ermöglichen beide Tätigkeiten das Erzeugen bestimmter Stimmungen. Hier wie da braucht es einen durchgehenden Spannungsbogen und das Schaffen eines (Erzähl-)Rhythmus. Lediglich die Interaktion mit anderen fällt weg, sobald man als Autor wieder schreibend vor seinem Manuskript hockt. Da kann man sich oft recht einsam fühlen. Daher hab ich mich auch ganz besonders über die Teamarbeit mit befreundeten Musikern bei den Aufnahmen zu Boogie Street gefreut.

Herausgekommen ist dabei ein funky Titel, der ein wenig an die guten alten Tage der Pre-Disco-Ära erinnert, durch seine Aufnahmequalität zugleich aber auch frisch und modern klingt. Gerade so, als ob er für ein „Comeback“ in den aktuellen Hitparaden konzipiert worden wäre. Aufgrund seiner Retro-Ausrichtung rechne ich nicht damit, dass der Song Eingang in die Radio Rotation finden könnte. Andererseits leben wir in verrückten Zeiten. Ich mache Radio-Interviews von zu Hause aus, bei denen ich meine Antworten selbst recorde, und drehe Handy-Videoclips in meinem Arbeitszimmer, die für Beiträge im staatlichen Fernsehen vorgesehen sind. Alles im Zeichen von Corona. Sollte Boogie Street wider Erwarten mehr Erfolg beschieden sein als dem Buch, muss ich eben die Velvet Shades erneut zusammentrommeln und mit den Musikern auf Tour gehen. Am besten über München bis Berlin. So wie damals, 1976, mit sex and drugs and rock’n’roll. Ich müsste vorher nur noch meine Gattin um Erlaubnis fragen…

Wiener Blues ist am 12. März 2020 im Kölner Emons-Verlag erschienen. Den zugehörigen Song gibt es über QR-Code und link im Buch oder über die Homepage des Autors zu hören.  Er ist auch als Download oder limitierte CD erhältlich. 


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