Geschrieben am 16. Januar 2010 von für Crimemag, Vermischtes

KDD-Kriminaldauerdienst

Das Beste (des Besten) kommt zum Schluss

Seit Dienstag verramscht das ZDF das Tafelsilber seiner Zukunftsfähigkeit: Die dritte Staffel von KDD-Kriminaldauerdienst wird in wöchentlicher Folge vorab bei arte präsentiert (Dienstags, 22.15 Uhr), bevor sie ab März auch im Zweiten zu sehen sein soll. Nach den acht neuen Folgen ist Schluss: Die beste, bedeutendste Serie des deutschen Fernsehens wird sang- und klanglos eingestellt. Ein paar Gedanken dazu von Ulrich Noller.

Manchmal sind es die kleinen Gesten, die im Nachhinein symbolhaft für ein größeres Ganzes stehen. So zum Beispiel eine schnelle, instinktive Bewegung, die dem Moderator einer Veranstaltung des Krimifestivals „Tatort Eifel“ im vergangenen Herbst passierte: Nach der erfolgreichen Präsentation der neuen dänischen, vom ZDF co-produzierten Krimiserie „The Protectors“ im Kinopalast Vulkaneifel in Daun bat der Medienjournalist den Produzenten um eine Karte. Kann ja nie schaden, entgegnete der Däne und zuckte leicht genervt eine Visitenpappe – woraufhin der Moderator, immerhin Mitarbeiter einer linksalternativen Tageszeitung mit kritischem Gestus, sich artig bedankte, indem er einen Knicks vollführte …

Eingeknickst?

Was nicht heißen soll, dass der Journalist irgendwie eingeknickt wäre; die Veranstaltung war professionell und kundig, wenn auch nicht sonderlich kritisch moderiert. Würde ja auch keiner erwarten bei solch einer Präsentation, bei der die Veranstalter vor allem anderen sich selbst feiern. An einer Stelle hätte man sich allerdings ein Nachhaken ohne Knicks gewünscht: Warum auf dem prominenten Sonntagabendkrimisendeplatz gegen 22.00 Uhr vorwiegend skandinavische Serien gezeigt würden, wurde Klaus Bassiner, verantwortlicher ZDF-Redaktionsleiter, da gefragt. Na, weil deutsche Drehbuchautoren so gute Stoffe so gut dramatisiert nicht liefern würden, lautete Bassiners Antwort, die von den anwesenden Drehbuchautoren (es handelte sich um eine Veranstaltung im Rahmen des Fachprogrammes) mit raunendem Staunen quittiert wurde: Ein Klopper, diese Bemerkung, ein Schlag ins Gesicht, vor allem für die Damen und Herren Drehbuchautoren, die das Scheitern ambitionierter Ideen an öffentlich-rechtlichen Untiefen zwischen trottigen Redaktionskadern und pampigen Produktionseinheiten fast schon als Teil ihres Berufsbildes betrachten.

Hübsch übrigens, und das nur am Rande, die Information, die zwei der anwesenden Drehbuchautoren dem dänischen „Protectors“-Produzenten entlocken konnte: Die ganzen Luftaufnahmen, mit denen auch diese skandinavische Krimiserie glänzt, wurden dem Vernehmen nach erst im Nachhinein einmontiert – auf Wunsch der Co-Produzenten vom Zweiten Deutschen Fernsehen, die natürlich genau wissen, welch beflügelnde Wirkung auf die Einschaltquoten in deutschen Wohnzimmern solche Überblickssequenzen über die (letztlich ja dann doch wieder) wohlgeordneten Verhältnisse der Länder des dritten Weges haben. Ganz abgesehen von den Weltmarktverkäufen, an denen ZDF Enterprises mitverdient. Die beiden Drehbuchautoren jedenfalls lächelten eher gequält, als sie ihre Rechercheergebnisse im Kollegenkreis weiterverbreiteten; vermutlich hatten sie kurz zuvor wieder einmal den typischen Kurzvortrag eines öffentlich-rechtlichen Krimi-Produzenten über sich ergehen lassen, der sie beknetete, doch bloß weniger Statisten und Komparsen einzubauen, mehr als ein Dutzend seien für einen „Tatort“ bei der derzeitigen Finanzlage einfach nicht drin …

KDD – eine Achterbahnfahrt durchs Leben

Jedenfalls läuft jetzt die dritte Staffel der ZDF-Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“ an, und das hat mit den geschilderten Eindrücken mehr zu tun, als man zunächst vermuten könnte. KDD, erfunden von dem Kölner Drehbuchautor Ortun Erkener, ist so ziemlich das Beste, was man an Fernsehen aus Deutschland derzeit geboten bekommt: Die Serie erzählt von der Arbeit und von den Privatleben einer Schicht des Kreuzberger Dauerdienstes, also der Abteilung, die Verbrechen zuallererst begutachtet und bearbeitet, um die Fälle dann an die zuständigen Abteilungen weiter zu verweisen. Soap-Elemente verbinden sich mit solchen der Krimiserie; entscheidend ist das Wie der extrem packenden, dramaturgisch ausgefuchsten Umsetzung: KDD erzählt die Realität (oder besser: die Realitäten) schnell, komplex, vielschichtig, immer wieder überraschend. Die Schauspieler agieren grandios, die Kameraführung nimmt einen mit auf eine Achterbahnfahrt durchs Leben, die Themen setzen genau da an, wo die Realität weh tut – oder (mitunter) auch verzaubert. Ein Höhepunkt jagt den nächsten; im Grunde besteht die Serie aus einer stets kulminierenden Folge von Höhepunkten.

Das Resultat ist nicht nur Fernsehen auf höchstem internationalen Niveau, sondern Top-notch-Kulturproduktion: Es ist ja sowieso fraglich, ob man narrative Veranstaltungen wie Fernseh-Filme/-Serien etc. und Literatur isoliert betrachten kann; gerade im Bereich des Krimis made in Germany sind die gegenseitige Einflüsse und Wechselwirkungen unverkennbar.

Seit KDD hat Krimikultur aus Deutschland einen neuen Maßstab: Um diese Serie (deren erste Staffeln übrigens günstig als DVD-Boxen zu erhalten sind) kommt niemand mehr herum, der sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, wie zeitgemäße deutsche Krimikultur auszusehen hat – egal ob man das extrem hohe Erzähltempo nun gut findet oder nicht. Und eines ist klar: Luftaufnahmen braucht KDD, braucht Ortun Erkener nicht, um mit seiner narration auch den Blick von oben drüber hinzubekommen: KDD ist ganz nahe dran an der alltäglichen, an der kleinen Realität; nahe dran wie nichts sonst im deutschen Kulturbetrieb – aber eben zugleich auch souverän genug, immer die Perspektive aufs große Ganze zu behalten.

Das Beste vom Besten und der Schluss

Ortun Erkner

Und die neue Staffel? Wird die letzte sein, denn das ZDF hat sich entschieden, KDD nicht weiter zu produzieren. Weshalb Ortun Erkener, der von sich sagt, er habe auch Ideen für vier oder fünf Staffeln, sein Feuerwerk an kleinen Dramen, schnellen Persiflagen, gekonnten Verweisen, raschen Showdowns, mitreißenden Lebensläufen ein letztes Mal zünden darf, um mit den Strängen und Geschichten zu jonglieren wie ein Gott im Kosmos der Geschicht(n); ein Gott, der zwar auch nicht alles richtig macht, der aber ziemlich viel ziemlich perfekt hin bekommt: Grandios, wie er es schafft, bis kurz vor Schluss auf die gewohnte Weise weiter immer neue Erzählverläufe aufzumachen – und am Ende doch die entscheidenden Punkte abzuschließen – nicht ohne das eine oder andere Hintertürchen offen zu lassen für den Fall, dass KDD wider Erwarten doch noch irgendwann einmal fortgesetzt werden sollte. Staffel Drei ist eine Demonstration: Chefautor Erkener kann das Beste am Ende doch noch steigern, es zum Besten vom Besten machen, und er könnte, das ist völlig klar, auch da noch einen draufsetzen. Mannomann!

Die Quote von KDD sei zu schlecht, heißt es im ZDF zur Begründung der Absetzung; Kritiker des Senders argumentieren, dass die Zahlen an dem betulichen Freitagabendkrimisendeplatz gar nicht besser sein könnten. Und man fragt sich, was KDD bewirkt hätte, mit oder ohne Luftaufnahmen, wenn das Zweite die Serie auf den Sonntagabendsendeplatz programmiert hätte, für den deutsche Drehbuchautoren nach Ansicht der ZDF-Verantwortlichen weniger qualifiziert sind als britische oder skandinavische. Eines jedenfalls ist klar: Ein schulmädchenhafter Knicks reicht nicht aus, um Ortun Erkener für dieses Werk die Referenz zu erweisen, da braucht es schon mehr: Eine von Herzen kommende, respektvolle, tiefe Verbeugung …

Ulruch Noller