KickAss – Bloody Splinters aus dem täglichen Branchenwahnsinn
– Vermutlich hat der Diogenes Verlag bei Dick Francis damit angefangen, mit den Einworttiteln (und folgte damit der Logik der Originale), aber das ist nur für Philologen wirklich wichtig und man wird sicher auch frühere Einzelfälle finden, die nicht unbedingt verwerflich sind. Verwerflich ist allerdings der inflationäre Unfug, der damit zurzeit getrieben wird – vor allem, wenn wenig Inspiration zu spüren ist. Das ist uns durchaus ein KickAss wert – Ulrich Baron über:
Einworttitel
Also noch mal ganz langsam, damit selbst die deutschen Titelgestalter es endlich mitbekommen. Die schwedischen Originaltitel von Stieg Larssons Millennium-Trilogie lauten in der Reihenfolge ihres Erscheinens:
„Män som hatar kvinnor“ (2005)
„Flickan som lekte med elden“ (2006)
„Luftslottet som sprängdes“ (2007)
Wenn ich mir das mit meinen kaum vorhandenen Schwedisch-Kenntnissen richtig übersetzt habe, geht es dabei um Männer, die Frauen hassen, um ein Mädchen, das mit dem Feuer spielte, und um ein gesprengtes Luftschloss. Nicht um „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ wie bei Heyne. Und die englischen Originaltitel von Tana French lauten:
„In the Woods“ (2007)
„The Likeness“ (2008)
„Faithful Place“ (2010)
„Broken Harbour“ (2012),
aber nicht „Grabesgrün“, „Totengleich“, „Sterbenskalt“ oder „Schattenstill“, wie bei Scherz, auch nicht annähernd.
Hier eskaliert, was in Deutschland bei Larsson, nein schon bei Mankells „Mittsommermord“ über den Kriminalroman gekommen ist – der Drang zum schwachsinnigen deutschen Einworttitel. Ob das auf Goethe („Faust“) zurückgeht, weiß ich nicht. Wolf Wondratschek („Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will“) immerhin scheidet als Verdächtiger aus. Überhaupt scheint es hier nicht um eine literarische Tradition zu gehen, sondern um die Erzeugung von Ähnlichkeit. Außer neu soll das nächste Buch von John oder Jane D. möglichst genau so sein wie das vorige, das die Leserschaft millionenfach gekauft hat.
Mehr als eine Trilogie
Bei der Millenium-Trilogie habe ich zudem den Verdacht, dass hinter deren schwachsinnigen deutschen Einworttiteln besonders perfides Kalkül steckt. So hatte ich zeitweise fünf Bände dieser Trilogie, obwohl Trilogien, wie der Name schon sagt, nicht mehr und nicht weniger als drei Bände haben sollten. Deren schwachsinnige deutsche Einworttitel waren so nichtssagend, dass ich nie sicher war, ob ich wirklich schon alle drei hatte, was bedeuten würde, dass der deutsche Verlag pro Leser durchschnittlich 1,67 Millennium-Trilogien verkaufen könnte, sofern ich irgendwie repräsentativ sein sollte.
Aber der bewusst irreführende schwachsinnige deutsche Einworttitel hat auch einen Pferdefuß, und wieder bin ich der Hauptbelastungszeuge: Zeitweilig nämlich meinte ich, meiner Schwester schon alle drei Bände der Trilogie gegeben zu haben. Hatte ich aber nicht, was das erstrebte Umsatzplus in ein tiefrotes Minus verwandeln würde, wenn ich denn repräsentativ sein sollte.
Ich vermute deshalb, dass hinter den irreführenden schwachsinnigen deutschen Einworttiteln noch mehr stecken muss. Es geht wohl auch um Anmutung, die im Falle der Bücher von Tana French durch Komposita erreicht werden soll, die alle ein wenig vom Todeshauch vermitteln wollen. Allerdings ist mir das erst durch intensives Nachdenken klar geworden. Prima vista wirkte „Totengleich“ auf mich nur wie ein schwachsinniges Wortspiel mit dem Vorbild „totenbleich“, wo man doch ohne Weiteres „Die Ähnlichkeit“ hätte titeln können. Darum geht es ja schließlich im Buch.
Bergtot
Man mag sich gar nicht ausmalen, welches Unheil die schwachsinnigen deutschen Einworttitel hätten anrichten können, wenn sie schon zu Zeiten eines Raymond Chandler im Schwange gewesen wären: „Bergtot“ („No Crime in the Mountains“), „Todesschlummer“ („The Big Sleep“) oder „Tschüß 1 & 2“ („Farewell, My Lovely“ und „The Long Good-Bye“) hätten dem Genre nicht zur Ehre gereicht, aber damals waren eben noch kongeniale Macher am Werk, die deutsche Titel wie „Drury Lane’s letzter Fall“ oder „Mord im Orient-Express“ schufen.
Cut … no end
Doch es gibt Hoffnung. Möglicherweise werden die schwachsinnigen deutschen Einworttitel bald das Zeitliche segnen – nach einer heftigen Kollision, die das deutsche Verlagswesen mit seinem unseligen Drang, sich Buchtitel zurechtzuschnippeln und zu schneidern, selbst zugefügt hat. Aus Amanda Kyle Williams aufgebrezeltem Debüt „The Stranger You Seek“ wurde bei Wunderlich der Titel „Cut“. Wunderlich fürwahr! Das hatte, wie auch der Schnitt, der auf dem Cover durch den blutroten Titel fährt, durchaus etwas mit dem Inhalt zu tun, wurde nach einigen Seiten Lektüre aber auch zum (leider unerhörten) Stoßseufzer des Rezensenten. Doch das Ganze geriet dann rasch in Vergessenheit.
Zum Glück, wie ich meinte, bis mir unlängst Marc Raabes „Schnitt“ (Ullstein) in die Hände fiel. Noch ein „Cut“, und sogar korrekt ins Deutsche übersetzt, aber nein, das Buch ist ja auf Deutsch geschrieben. Nur so richtig originell sind weder Titel noch Titelbild, auch wenn aus dem Schnitt diesmal nicht nur ein Messer ragt, sondern auch Blut fließt, echtes Blut, wenn man dem Cover trauen kann.
Eben nicht. Immerhin weckt die mysteriöse Dopplung Hoffnung, weil die Zahl möglicher schwachsinniger Einworttitel offenkundig endlich ist. Und siehe da. Gleich nach Raabes „Schnitt“ folgt bei Bastei-Lübbe Veit Etzolds „Final Cut“, bei dem die Schnitte echt durchs Cover gehen, auch wenn es keine echten Schnitte sind. Der Titel „Final Cut“ spricht nicht nur schonungslos aus, dass jetzt aber mal Schluss ist mit so was, sondern besteht unübersehbar aus zwei Wörtern, was einer Steigerung um hundert Prozent gleichkommt. Doch bevor wir einander jubelnd in die Arme fallen, muss leider gesagt werden, dass es zwei englische Wörter sind, obwohl es sich um eine deutsche Originalausgabe handelt. Wo sich der Schwachsinn einmal eingenistet hat …
Ulrich Baron