Seit Eric Ambler wissen wir, dass „Steuervermeidung“ zu den Grundtugenden des kompetenten Kriminellen gehört … Wie schön, wenn eine große deutsche Zeitung dazu moralische Begleitmusik liefert – Stichwort: „Wirtschaftsethik“ oder, anders formuliert: Kick Ass!
Wie kann ein Hoeneß sich erwischen lassen?
Oder: Warum ein Bankräuber seinen Schweißbrenner von der Steuer absetzen kann?, eine kleine Expedition zum Rechtsempfinden der FAZ.
Wie sie sich jetzt winden, die sich dumm stellenden Köpfe hinter der FAZ. Es ist ein kleines Sittenbild der höheren – eigentlich, ich bitte Sie, der normalen Strafverfolgung und dem normalen Rechtsempfinden enthobenen ‒ Kriminalität feinerer Stände, was sich in diesen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mehr oder weniger unbewusst Bahn bricht.
Ein Karl Kraus hätte seine Freude daran gehabt. „Die mutmaßliche Steuerhinterziehung des Münchner Fußball-Präsidenten wäre nie ans Licht der Öffentlichkeit gekommen, wenn SPD und Grüne nicht im Bundesrat das Abkommen mit der Schweiz hätten scheitern lassen“, bedauert
Wirtschaftsteil der FAZ am 23. April ganz sachlich. Ins gleiche Horn stößt am gleichen Tag Experte Karsten Randt in seinem Beitrag für den FAZ-Zeitungsteil „Finanzmärkte und Geldanlage“. Gleich in der Überschrift betont der Rechtsanwalt: „Bei der Selbstanzeige gilt das Steuergeheimnis“, und leitet aus dem advokatischen Winkel einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Saarlouis von 2003 her, dass eine Berichterstattung in solchen Fällen grundsätzlich rechtswidrig sei.
Konkreter Fall: „Die Staatsanwaltschaft hatte zur Anklageerhebung in einem Steuerstrafverfahren unter namentlicher Bezeichnung des Beschuldigten konkrete Angaben über im Ausland geführte Konten, die Höhe des angeblich hinterzogenen Betrages und die Dauer der angeblichen Hinterziehungsdelikte veröffentlicht.“ Denn „bei einer Selbstanzeige ist der Schutz des Steuergeheimnisses BESONDERS ausgeprägt“. Schließlich wolle der Gesetzgeber einen „besonderen Anreiz dafür geben, die Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren“. Eine Art Bonussystem also für Gesetzesbrecher der schwerkalibrigen Art. Solcher Anreize würden sich vermutlich gerne auch Hartz-IV-Empfänger bedienen, wenn sie sich mal bei einer Angabe um 20 Cent geirrt haben. Aber leben wir im Sozialismus? Nee.
„Auf welches ‚gesunde‘ Rechtsempfinden die Opposition dabei baut, schert niemanden. Immerhin kommt ein Fall wie der des Bayern-Präsidenten nur deshalb zustande, weil Politiker zu Denunziation und Datendiebstahl animieren.“ (Leitkommentar am 23. April 2013). Uli Hoeneß hat jetzt plötzlich Steuerschulden von vermutlich zehn bis fünfzehn Millionen Euro, weil böse Politiker Daten-CDs kaufen und ein Journalisten-Netzwerk an Offshore-Steuerparadiesen kratzt? Aha. Den Zusammenhang hatte ich noch gar nicht gesehen.
Anwalt Karsten Randt hilft unserem nicht auf FAZ-Niveau befindlichen Rechtsempfinden auf die Sprünge. So eine Selbstanzeige meint er, sei „steuerrechtlich nichts anderes als die Nachholung einer versäumten steuerlichen Pflicht“, eine Fristenlösung für Reiche sozusagen, deshalb greife „insoweit auch das Steuergeheimnis“. „Das mag verwundern“, räumt er ein, aber „auch der ‚normale Straftäter‘ ist verpflichtet, seine Einnahmen zu versteuern. So müsste auch der gewerbliche Tresorknacker die Beute dem Finanzamt gegenüber offenbaren und die Einkünfte zum Zwecke der Besteuerung mitteilen. Er kann dann natürlich auch seinen Schweißbrenner als mindernde Betriebsausgabe absetzen, so jedenfalls die Abgabenordnung.“ Neue brave Welten tun sich auf, wenn man die richtige Art von Rechtsbestand hat.
Dass der CDU-Wirtschafsrat ausgerechnet in diesen Tagen „mehr Vorbilder“ fordert und an die Führungskräfte der Unternehmen appelliert, ihrer Verantwortung besser gerecht zu werten, wird eher verschämt und kleinlaut berichtet. Klarer Fall von schlechtem Timing. Klare Worte finden sich in der FAZ derzeit nur im Sportteil. „Das Ende des Patriarchen“ las man da, oder: „Servus, Saubermann.“ Und weiter: „Wie dreist muss einer sein, öffentlich zu fordern, man müsse das Geld der ‚Reichen‘ im Lande halten – während er sein eigenes längst ins Ausland geschafft hatte?“
Und dann aber wieder, oh heilige Dialektik: „Den anderen, denen moralische Doppelbödigkeit egal ist (wirklich, da steht: denen das egal ist – Anm. AM), bleibt die technische Frage: Wie kann der Mann, der den finanzstärksten Klub Europas formte und sich den Ruf erwarb, man könne ihm in finanziellen Dingen nichts vormachen, wie kann ein Hoeneß sich in einer solchen Sache erwischen lassen wie ein naiver, knickriger Kleinunternehmer, der seine Kröten über den Grenze geschafft hat?“ – Und dann, conclusio: „Wohl jeder hatte ihm mehr zugetraut. Mehr Ehrlichkeit. Oder mehr Cleverness.“
Wer bitte will schon Ehrlichkeit, wenn Cleverness besser ist? Den Werteverlust der Gesellschaft, den sie so gerne beklagen, die konservativen feinen Herren, den besorgen sie selbst. „Als Geschäftsmodell taugt Steuerhinterziehung immer weniger. Die Gefahr der Entdeckung lauert überall, und sie wächst beständig“, beklagt der Leitartikel im FAZ-Wirtschaftsteil vom 25. April. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, das Geschäftsmodell.
P.S. Den FAZ-Beitrag von Karsten Randt „Bei der Selbstanzeige gilt das Steuergeheimnis“ (23.4.2013, Seite 18) illustrierte eine bemerkenswerte Karikatur. Ein Panzerknacker mit dickem Beute-Sack auf dem Rücken steht da am Schreibtisch eines Finanzberaters und fragt: „Soll ich es jetzt gleich versteuern oder besser später eine Selbstanzeige machen?“
Zu verbuchen in der Rubrik „Bizarre Geschichten, die das Leben schreibt“ auch folgendes Detail: Zwar gibt das ZDF über 50 Millionen Euro Fernsehgebühren pro Saison für die Champions League aus, das Spiel Bayern-Barcelona aber gab es beim Bezahlsender Sky, sonst nur im Radio, etwa bei „B5 aktuell“. Am Ende der Übertragung hieß es dort: „Diese Sendung wurde Ihnen präsentiert von der Lohnsteuer-Hilfe Bayern e.V.“
Alf Mayer
Foto Hoeneß: wikimedia commons, Senfacy, Александр Корчик.