Schneewestern #1
– Regisseur Iñárritu leistet sich nach seinem Megaerfolg Birdman – einem Film voller Ironie, doppelter Böden, voller Theater auf dem Theater und voller surrealer Momente – den Luxus, etwas vollkommen anderes zu machen: einen historischen Western, der auf den Überlieferungen des Trappers Hugh Glass basiert. Von Christopher Werth.
The Revenant ist ein Western, der echt sein will, der alles theatralische, maskenbildnerische und kulissenhafte ausblendet und nur mit natürlichen, 100% echten Zutaten arbeitet. Als hätte die von Edward Norton gespielte Birdman Figur Mike Shiner die Regie übernommen: Jener Schauspieler, der auf der Bühne alles echt haben will, echte Gefühle, echten Schnaps und sogar echte Erektionen.
Allein schon das Eröffnungsbild des Films ist beeindruckend. Da stapfen Pelzjäger hochkonzentriert mit angelegten Gewehren durch einen Fluss, der mitten durch einen Wald strömt. Angeleitet von Fährtenleser Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) legen sie auf einen Hirsch an. Sekunden später werden sie aber selbst zu Gejagten. Wir werden Zeuge von einem perfekt orchestrierten Indianerüberfall. Es folgt eine irrwitzige Schlacht, Beschuss und Geschrei von allen Seiten, sogar aus den Bäumen feuern die Ureinwohner. Panik und totale Orientierungslosigkeit der Pelzjäger werden perfekt inszeniert. Dabei wird die zweite Hauptfigur vorgestellt, John Fitzgerald (Tom Hardy). Er ist der einzige, der unbeeindruckt von aller Kriegskunst einen klaren Kopf behält, stoisch einen Indianer nach dem anderen absticht und darauf achtet, dass ihm keiner seine in einer ganzen Saison hart erarbeiteten Pelze klaut.
Mit einer kleinen Gruppe schafft er es schließlich mit einem Boot zu fliehen. Drei Charaktere bestimmen die Gruppe. Der Chef, der rothaarige Ire (Domhnall Gleeson), Fitzgerald, der skrupellose Pelzjäger und Glass mit seinem Indianersohn im Teeniealter. Der ist bei ihm, weil seine Frau, eine Indianerin, schon verstorben ist. Sein Job ist die Navigation, das Fährtenlesen. Er ist der einzige, der sich auskennt – mit der feindlichen Natur und mit den feindlichen Indianern, die sich zur Zeit des Films noch nicht wirklich mit ihrer Ausrottung abgefunden haben. Das ergibt natürlich die entscheidenden Konflikte – der Haudrauf Pelzjäger Fitzgerald hat kein Verständnis für die Feinheiten und Gefahren der Gegend – aber der rothaarige Chef vertraut auf Glass. Die Gruppe kämpft sich durch die Wildnis, der Winter bricht ein und dann kommt die jetzt schon legendäre Szene mit dem Bären. Ein digital erzeugter Bär – aber so real, dass er sich perfekt in das Ganze einfügt. Glass wird übel zugerichtet, Fitzgerald soll mit Glass‘ Sohn und einem weiteren Greenhorn auf ihn aufpassen – aber stellt hier mit seinem Messer unschöne Dinge an, die den halbtoten, halb begrabenen Hugh Glass aus Zorn nicht sterben lassen und ihn schließlich zu einem übermenschlichen Rachefeldzug durch die mörderische Natur befähigen, immer mal wieder unterbrochen von Traumsequenzen, in denen sich christliche und indianische Mythologie miteinander vermischen.

Der andere Gegner: die Natur

Alles echt: Regisseur Alejandro González Iñárritu (links) bei Aufnahmen unter realen Lichtbedingungen am Set
Während Tarantino sein Teatro-Tarantino vor Schneekulissen macht, lässt Iñárritu hier die Natur für sich sprechen, macht Natur-Theater. Weitestgehend ohne künstliche Farb- und Aromastoffe, Effekte, Netze und doppelte Böden. Authentische Aufnahmen sprechen für sich. Die Menschen wirken klein und machtlos, werden gequält von der Natur. Keine Zeile wirkt hier auswendig aufgesagt oder theatralisch, Iñárritu hat sich und die Schauspieler am Set echt gequält, um einen echten gequälten Ausdruck zu erreichen. Ein endloser Trip durch das Treiben der Natur, als Rahmen für einen der vielleicht stärksten Triebe der menschlichen Natur: die Rache. Das überträgt sich, macht auch den Film zu einem Trip, den man im Kino durchleiden muss. Aber der Weg lohnt sich. Kino als physisches Naturerlebnis. Ein Erlebnis, nachdem einem viele andere Filme als das vorkommen, was sie nun mal wirklich sind: einfach unter hohem Zeitdruck im Studio vor Kulissenbauten oder einem Greenscreen runtergedreht.
Christopher Werth
Regie: Alejandro G. Iñárritu. Drehbuch: Mark L. Smith, Alejandro G. Iñárritu. Musik: Bryce Dessner, Alva Noto, Ryūichi Sakamoto. Kamera: Emmanuel Lubezki. Schnitt: Stephen Mirrione