Geschrieben am 7. November 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Klassiker-Check: Carol O`Connell

Mallorys Moral

Kann eine Serienfigur, die sich als empathiefreier Soziopath den Weg frei schießt und am Ende auch noch damit durchkommt, erfolgreich sein? Und ob! Lena Blaudez hat sich die Romane der immer arg unterschätzten Autorin Carol O’Connell noch einmal genauer angeschaut.

Kathy Mallory ist die faszinierende Serienheldin von Carol O’Connell in mittlerweile neun Romanen, von denen bisher sechs auf Deutsch erschienen sind. Mallory (wir nennen sie nicht beim Vornamen, weil sie sich das stets verbittet) ist eine elegante Person von außergewöhnlicher Schönheit. Groß, schlank, blond und grünäugig, immer perfekt maßgeschneidert gekleidet, geht sie auf langen Beinen ihren eigenen Weg, ohne sich je reinreden zulassen. Und sie legt gern den langen rotlackierten Fingernagel mitten aufs Schlimme. Sie ist eine begnadete Hackerin, treffsichere Schützin und mit einem feinen Spürsinn ausgestattet.

Die Ordnungsfanatikerin und Pünktlichkeitsfetischistin, die sich nur in einem unterkühlten büroähnlichen Ambiente wohlfühlt, lässt niemanden näher als auf Schussdistanz an sich heran. Keine Person also, bei der einem sogleich warm ums Herz wird. So wird Mallory auch allseits gefürchtet, ihr eisiger Blick lässt selbst alten Haudegen das Herz in die Hose rutschen. Trotzdem wird sie inniglich geliebt. Nicht nur von einer Handvoll Freunde ihres Ziehvaters, die sich – in ihrer Abwesenheit selbstverständlich – über ihre unglaublichen Eigenheiten mokieren und dabei doch nur alles dransetzen, sie zu beschützen. Auch wenn sie vermuten, dass sie nachts wie eine Fledermaus kopfüber im Schrank hängt, denn menschliche Schwächen wie etwa die Sehnsucht nach einem warmen Bett scheinen ihr fremd zu sein.

Ultracool …

Natürlich ist Mallory weder eine Soziopathin noch empathiefrei, wurde aber als Kind psychologisch genau als das eingestuft. Mallory ist zutiefst verletzt – doch in ihre Seele gewährt sie niemandem Einblick. Nachdem sie mit ansehen musste, wie ihre Mutter blutig hingemetzelt wurde, floh sie nach New York, wo sie sich bis zu ihrem zehnten Lebensjahr als Straßenkind durchschlug, nur hin und wieder in der Obhut einiger Prostituierter – im Tausch gegen Geschichten aus einem Groschenwestern. Aber wir wollen nicht zu viel verraten. Auch dem Leser wächst die scheinbar eiskalte Lady schnell ans Herz. Man muss sie unbedingt kennenlernen und kommt nicht mehr von ihr los.

In ihrem ersten, extrem rasanten Abenteuer Mallory’s Orakel ist sie auf der Jagd nach dem Mörder ihres Ziehvaters, dem Polizisten Louis Markowitz, der Mallory zusammen mit seiner liebevollen Frau Helen aufzog. Auch Mallory ging in den Polizeidienst und ist mit 25 Jahren bereits Detectiv Sergeant. Übrigens führt der Selbstmord eines Hundes zu einer Spur …

Packende Psychothriller vom Feinsten

Spannend bis zur letzten Seite ist es praktisch unmöglich, das Buch – und ebenso alle folgenden – aus der Hand zulegen. Die exzentrische Kathy Mallory gehört ganz klar in die erste Reihe der Detektivgestalten und Serienheldinnen. Doch nicht nur sie besticht, sondern das Beziehungsgeflecht um sie herum hält uns auch fest im Griff. So der wunderbare und geniale Charles Butler, der sie unsterblich liebt, ihr Kollege und Freund Sergeanten Riker, immer auf der Kippe, weil er vom Alkohol nicht loskommt und Charles Vater, ein berühmter Magier, wodurch die Zauberkunst immer wieder eine Rolle spielt.

Sie alle und noch ein paar wunderbar schräge Typen mehr werden in Mallory’s Orakel eingeführt und bleiben festes Figurenensemble, sie bekommen – ob noch am Leben oder nicht – von Buch zu Buch mehr Tiefe und Vergangenheit. Nebenher werden andere skurrile Leute vorgestellt, alte Ladies, die an der Börse spekulieren, seltsame Jugendliche, knallharte Künstler und viele hervorragend gezeichnete Gestalten mehr. Das Ganze ist mit viel Witz und leichter Hand geschrieben und bietet ein genaues und kritisches Sozialbild der Stadt New York, die wir auch immer besser kennenlernen. Eine große New-York-Reihe also, man meint ausgiebig in der Stadt herumspaziert zu sein und grüßt schon den Zeitungsmann an der Ecke.

Im Februar 2010 wird endlich ein weiterer Mallory-Roman auf Deutsch erscheinen. Such mich!.

Gemeinerweise fehlen dazwischen zwei Folgen, die 2003 und 2004 in New York erschienen sind. Vermutlich weiß mal wieder der eigene Verlag nicht, was er an der Autorin hat.

Mit Judaskind hat Carol O’Conell den bisher einzigen Roman außerhalb der Mallory-Reihe geschrieben. Auch das ein ausgezeichneter Thriller, der so ganz nebenbei die großen Menschheitsfragen nach Schuld und Sühne, Liebe, Tragik und Leidenschaft anspricht.

Eins ist allen durchweg brillanten Romanen Carol O’Conells eigen: Mit gefälligen Moralvorstellungen haben sie nichts am Hut. Die Bücher leben – neben dem manchmal ganz schön verzwickten aber immer ungeheuer spannenden Plot – von einem wachen ironischen Blick auf die Welt.

Die Amerikanerin Carol O’Connell, geboren 1947, lebte bis weit über 40 von dem Verkauf ihrer surrealen Gemälde und von diversen Jobs. Mit Mallorys Orakel, das sie dem englischen Verleger Hutchinson anbot, weil sie glaubte als Debütantin in England eher angenommen zu werden, wurde sie schlagartig berühmt. Erst nach Frankreich, Holland und Deutschland sicherte sich der US-Verleger Putnam die Rechte an ihrem Werk – wie die Legende sagt für mehr als $ 800.000.

Lena Blaudez

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