Geschrieben am 15. September 2016 von für Crimemag, Kolumne

Kolumne: Frank Göhre – Gelesen. Gehört. Gesehen (10)

Frank-Göhre-_FotoReisenotizen Island – von Frank Göhre.

Der Kommissar hat Familie und ein stark schmerzendes Knie.
Doch er muss einen Mord aufklären. Da gibt’s kein Pardon.
So ist das nun mal in den leserfreundlichen Krimis aus deutschen Landen und auch anderswo.

Die Queen Elisabeth nimmt Kurs gen Norden, Richtung Skagen. Danach geht es weiter nach Norwegen und Island. Ich stimme mich mit einigen Krimis isländischer Autoren auf das Land ein. Die Temperatur liegt bei 25 Grad. Es ist sonnig, bei wolkenlosem Himmel.

Die Bordzeitung dieses und der nächsten Tagen meldet:
Gabriel glaubt nicht.
Gabriel weiß nicht.
Gabriel ist verärgert.
Gabriel vermeidet.
Gabriel bestreitet.
Gabriel will gesagt haben.
Gabriel sagt.
Gabriel lässt offen.

Ein Moment des Entsetzens: Sigmar Gabriel in knielangen Shorts und gestreiftem Polohemd am üppigen Buffet des Bordrestaurants. Doch dann ist es doch nur ein Brite aus Birmingham.

Der knielahme Kommissar ist Protagonist des ersten Romans der Isländerin Sólveig Pálsdóttir . Der Originaltitel ist Leikarinn (Der Schauspieler). Doch das „funktioniert“ im deutschen Verlagsunwesen natürlich nicht. Von daher wird nach vermutlich tiefschürfenden Debatten von Lektorat und Vertrieb über Island = kalt und Krimi = Tod (durch Gift) Eiskaltes Gift (Aufbau Verlag, 319 Seiten, 9.99 €).

Es ist eine klischeebeladene Story von einem Schauspieler, der Opfer seiner perversen Gelüste wird und einer Requisiteurin, deren Gedanken mitunter „an der zart gehäkelten Gardinenkante“ hängen bleiben. Ansonsten murmelt, flüstert, zischt, faucht und stöhnt sie aus sich heraus, räkelt sich lustvoll und fragt hastig und fordernd. Eine der üblichen Verdächtigen also, die sich – als Täterin überführt – mit einer nahezu unübertroffen bescheuerten Einsicht stellt: „Zu spät, mein Liebling, du hast es mich zu weit treiben lassen.“

1200px-hamilton_bermuda_queen_elizabeth_arriving_port_of_tallinn_10_june_2012An Bord gibt es abends Dixieland Jazz im Golden Lion Pub im Wechsel mit einem unverwüstlichen Barpianisten. Es gibt Hollywood Nächte, den Starlight Ball und Rockabilly, Jive und kubanische Beats von jungen Royal Cunard Tänzern und Sängern.

Im Queens Room, Deck 2, Die ABBA Nacht.
Eine kompakte Blondine solo unter graumelierten Paaren auf dem Parkett. Sie kennt sämtliche ABBA Songs. Sie singt sie mit. Sie unterstreicht ihren Gesang mit weit ausholenden Gesten. In den Augen aller ist sie die Göttin der Nacht. Am nächsten Morgen begegne ich ihr auf einem der Flure. Sie trägt ein Frühstückstablett und die Dienstkleidung des Roomservice.

Nach dem ersten Flop in Sachen Island-Krimi ein weiterer Versuch, sich auf Land und Leute einzustimmen. Und wieder verheißt der deutsche Titel Kälte: In einer kalten Winternacht. Der Autor Ævar Örn Jósepsson erzählt auf 480 Seiten (btb Verlag, 9.99 €) eine nicht gerade ungewöhnliche aber durchaus spannende Geschichte. Die Jurastudentin Erla wird ermordet aufgefunden. Sie war politische Aktivistin und schon vorher Objekt sexueller Gewalt. Eine mit ihrer Familie eng befreundete Kommissarin verbeißt sich in den Fall, während ihre Kollegen vermeintlich größeren Verbrechen auf der Spur sind. Unter ihnen ist ein Ermittler, der für mich – als Leser – angenehm aus der Rolle fällt: „Wahlen und eine neue Regierung? Wozu denn? Kennst du nicht das geflügelte Wort, ich glaube, von Konfuzius oder von diesem schwulen Griechen Sokrates oder wer weiß ich: New arseholes, same old shit.“ Er flucht, er pöbelt und fährt im Suff seinen Wagen zu Schrott. Ich hab ihn lieb gewonnen.

Darüber hinaus aber bekommt man Einblick in die Zeit der großen isländischen Staatspleite und was das für die Bevölkerung hieß. Man musste Miete einsparen, in kleinere Wohnungen ziehen, zwei bis drei Nebenjobs annehmen, Autos abmelden und Restaurant- und Kneipenbesuche weitgehend streichen.

51ezjhaeyl-_sx314_bo1204203200_Jósepsson beschreibt das Alltagsleben seines Personals völlig unprätentiös, flechtet Fakten wie beiläufig in Dialogpassagen ein und wird nie belehrend. Der Roman macht Lust, mehr von diesem Autor zu lesen. Er vermittelt auf jeden Fall ein realistisches Bild des Landes.

In Island hat laut Statistik jeder 4. Einwohner in Laufe seines Lebens ein Buch geschrieben und veröffentlicht.
Für die Post nach Island braucht es lediglich den Namen des Empfängers und eine grobe Skizze, auf der angekreuzt ist, wo in etwa die Person wohnt, im Norden, Süden, Westen oder Osten.
Das reicht.

In Island duzt man sich mit jedem. Und jeder ist mit jedem irgendwie verwandt. Zwangsläufig sind viele Kriminalromane zugleich Familienromane. Und Sex spielt eine große Rolle

An Bord, beim Frühstück. Der Mann am Nebentisch redet laut mit sich selbst und verstummt abrupt, als seine Frau sich zu ihm setzt.

Von den Passagieren der „Queen Elisabeth“ sind auf dieser Nordland-Route gut dreiviertel Briten, Amerikaner und Australier. Das restliche Viertel setzt sich aus Indern, Asiaten und Deutschen zusammen. Egal ob junge oder ältere Reisende es gibt immer einige, die sich am Buffet nicht entscheiden können. Sie versperren mit ihrem Tablett den Weg und stellen an das Servicepersonal merkwürdige Fragen. Ich muss an eine Frau aus der Hamburger Nachbarschaft denken. Sie sprach ebenso kryptisch mit dem Fleischverkäufer in unserem Lebensmittelladen. Der fragte: „Gnädige Frau, sind Sie aus dem Harz?“ – „Bitte?“ – „Sie sprechen so in Brocken.“

Der grauhaarige japanische Brillenträger sitzt nachmittags in der Schiffssauna und singt abends beim Karaoke I didn’t my way. Er singt so perfekt, dass alle anderen Teilnehmer dagegen abstinken. Nach seiner Darbietung setzt er sich zu seinen Landsleuten an den Tisch. Sie verhalten sich ihm gegenüber ehrerbietig. Neigen den Kopf, bestellen ihm ein frisches Getränk. Sobald das Karaoke beendet ist, verlassen sie wie auf Kommando in geschlossener Formation den Pub.

Gleich nebenan auf der Tanzfläche ist noch ein älterer pomadisierter Stenz mit Fliege und herausgedrücktem Arsch aktiv. Er schiebt, dreht und wendet beim Tango eine groß gewachsene Japanerin mit sich herum. Seine Schritte sind exakt eingeübt. Es ist zu sehen, dass er flüsternd mitzählt. Aber, würde Let´s Dance Juror Llambi sagen, außer den Füßen bewegt sich nichts an dem Mann.

41seoxbroml-_sx332_bo1204203200_Und noch einmal die gern beschworene Kälte: Eiskalte Stille von Jón Hallur Stefánsson (List Verlag, 320 Seiten, 8.95 €). Ein japanischer Killer kommt nach Island: „Die Hauptattraktionen hatte er bereits abgeklappert: den Gullfoss, den großen Geysir und natürlich den Nationalpark Þingvellir … Der Gullfoss hatte ihn beeindruckt, er hatte eine Schwäche für Wasserfälle. Einmal war er sogar einer Frau dabei behilflich gewesen, in einen Wasserfall zu springen … Heiße Quellen als solche hatte er in diesem Zusammenhang noch nicht näher in Erwägung gezogen.“ Doch er muss gar nicht erst tätig werden, denn nur am Rande geht es in diesem Krimi um japanische Finanzinvestoren, die sich mit Geldmacht und Mafia ein Sportanlagen-Projekt sichern wollen. Die eigentliche Story ist die eines tot aufgefundenen Architekten und seines Sohnes, eine Liebes- und Eifersuchtsgeschichte mit einem absolut überraschenden Ende. Ein schlau strukturierter Roman. Der erste mit dem Ermittler Valdimar-Eggertsson.

Von dem isländischen Krimi-Star Arnaldur Indridason ist inzwischen der 16. oder 17. Kommissar Erlendur Roman erschienen. Ich komme da schon seit Jahren nicht mehr nach. (Irgendwann wurde es langweilig. Real gibt das Land auch wenig an Gewaltkriminalität her. Polizisten beispielsweise dürfen keine Waffe tragen.)

In guter Erinnerung aber ist mir Nordermoor (Bastei Lübbe, 320 Seiten, 7.90 €) geblieben, ein Gen-Datenbank Thriller. 2006 wurde er unter dem Titel Der Tote aus Nordermoor von Baltasar Kormákur als isländisch-dänisch-deutsche Co-Produktion verfilmt. Ein in mehrfacher Hinsicht berührender Film mit überzeugenden Darstellern. Es sind eindringliche Aufnahmen aus dem Randbezirk der Hauptstadt Reykjavik. Verfallene Häuser auf sumpfigen Boden. Man glaubt, den Gestank zu riechen, den Hauch des Todes. Und der Kommissar bevorzugt ein alles andere als appetitlich aussehendes Fischgericht. Er fährt hinaus aufs Land, in die unendliche Weite, in eine stimmungsvoll fotografierte Landschaft.

So ist es dann auch bei unserer ersten Tour zu Vulkanen, Geysiren und Wasserfällen, im Naturpark und links und rechts neben den schmalen Straßen. Klare Sicht, eine Luft, die man zu trinken glaubt, kühl und erfrischend, Seen und grünes Land. – Keine Kälte.

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Gullfoss

Der Nordermoor Film wurde bei uns zuletzt am Sonntag (!), dem 8. 11.2015, 02:15 bis 03:45 Uhr (!!!) im NDR ausgestrahlt. Es ist immer wieder neu überraschend, wie öffentlich-rechtliche Programmdirektoren es verstehen, hervorragende Filme auf einen Sendeplatz zu verbannen, an dem jede/r Berufstätige längst zu Bett gegangen ist. Das hat Methode.
Demnächst dann auch wieder mehr über den mittlerweile alltäglichen Wahnsinn der Sender.

Frank Göhre

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