Was ist Krimi? Bei der Beantwortung dieser Frage hat man sich schnell blamiert. Man kann sich aber Lösungen ex negativo vorstellen. Deswegen heute unsere Kurzgeschichte …
Das ist kein Krimi
von Guido Rohm
Sie haben gesagt, er soll das lassen. Das sei ein Klischee. In Krimis würden sie ständig trinken. Aber nicht hier. Das sei das wahre Leben. Das sei ihm doch klar.
Er hat genickt. Nur kurz und knapp. Hat sich nach einem Drink gesehnt. Klischee hin. Klischee her.
Das ist mein Leben, hat er gedacht. Und in diesem Leben trinke ich.
Der Boss hat ihm gedroht. Man müsste eh einsparen. Wenn er die Sauferei nicht lassen würde, dann wär er dran.
Was meinen Sie damit?
Der Boss hat den Kopf geschüttelt, sich über ihn gebeugt und geflüstert: Wir stehen im Wettbewerb. Ich muss so oder so Leute los werden. Die Kosten fressen mich allmählich auf. Und die Konkurrenz schläft nicht. Wir leben in einer globalen Welt. Die Russen. Jetzt drängen die Chinesen auf den Markt. Da muss man Strategien finden.
Sein Boss erklärt ihm: Ich habe jetzt einen Controller an Bord. Der wird alles auf den Prüfstand stellen.
Und jetzt sitzt er hier und starrt auf den Dreck unter seinen Fingernägeln.
Er ist ein harter Arbeiter. Einer der alten Schule. Da kann ihm keiner etwas vorwerfen. Macht alles, was sie ihm sagen.
Grab ein Loch!
Brech dem und dem die Hand!
Und er gehorcht. Will ja seinen Job nicht verlieren. Die Zeiten sind hart. Und wer würde einen wie ihn schon nehmen?
Was können Sie denn?
Ich kann foltern. Ich bekomme jedes Geständnis, das Sie haben wollen.
Das ist doch keine Grundlage für die Zukunft. Am Ende würde er noch in einer Fabrik landen. Er muss in der Firma bleiben. Also muss er sich die Sauferei abgewöhnen.
Der Dreck.
Er kann sich erinnern. Vor zwei Nächten war er mit den Brüdern draußen im Wald. Sie haben eine Leiche entsorgt. Und dann ist er auf Sauftour.
Das ist kein Krimi. Das ist das wahre Leben.
Schwachköpfe. Alle zusammen. Irgendwann … Ja, irgendwann … Unsinn. Er redet sich da nur etwas ein. Spinnt rum. Träumt am helllichten Tag.
Er wird der bleiben, der er ist. Ein kleiner Angestellter im Imperium des Herrn Straußberg.
Er hasst Straußberg. Verdient sich eine goldene Nase, während er sich um die Drecksarbeit kümmern muss.
Dreck.
Er kann ihn sehen. Der Dreck klebt unter seinen Fingernägeln.
Sie müssten sich organisieren. Eine Gewerkschaft gründen. Und dann? Demonstrieren natürlich. Den Bossen den Arsch aufreißen. Etwas riskieren.
Wenn man eine Veränderung will, dann muss man sich dafür einsetzen.
Neben ihm setzt ein Stöhnen ein. Stimmt ja. Er ist an der Arbeit. Hat Pause. Fantasiert. Sehnt sich nach einem Drink.
Das Leben ist kein Krimi. Die saufen nur im Fernsehen oder in den Romanen.
Nein, hier tun sie das auch.
Ich bin der lebende Beweis.
Wem hat er das nur gesagt? Er blickt auf den Boden. Da steht ja noch die Brotbüchse. Er hat wieder nichts gegessen. Das wird Ärger geben.
Für wen mache ich denn das ganze Brot?
Ich hatte zu tun. Wir machen momentan eine Menge Überstunden. Der Boss hat einen eingestellt, der uns alle überprüft. Wir brauchen für alles zu lange. Sagt der. Wir sollen schneller quälen, schneller Geld eintreiben.
Schneller Töten!
Der Boss hat uns eine faule Bande genannt.
Lass dir das nicht gefallen!
Du hast leicht reden.
Otto steht neben ihm. Sieht ihn mit leeren Augen an. Sagt: Lass es uns zu Ende bringen. Wir könnten noch auf ein Bier in die Kneipe gehen.
Ja. Das ist eine gute Idee.
Also legt er die Zeitung neben die Butterbrotdose und greift nach dem Brecheisen.
Butterbrotdose und Brecheisen. Mehr gibt es in seinem Leben nicht.
Was für ein Leben!
Du willst es uns also nicht sagen?
Das Ding auf dem Stuhl erinnert an einen Klumpen rohes Fleisch. Wie soll der noch etwas sagen können? Das ist doch alles sinnlos, was sie hier tun.
Aber er braucht das Geld. Sein Junge soll es mal besser haben.
Hast du die Hausaufgaben schon gemacht?
Keine Antwort. Stattdessen laute Musik. Mit dem Jungen wird es ein böses Ende nehmen.
Wo er jetzt wohl gerade ist? Er schwänzt die Schule. Bestimmt. Er hat ihn schon mehrmals draußen an den Hallen erwischt. Bei den Hallen treiben sich die rum, mit denen es nicht gut gehen kann.
Loser.
Gangster.
Arbeitslose, wenn sich die Lage nicht bald entspannt.
Er wird auch für Straußberg arbeiten. Irgendwann.
Du weißt ja, bei mir bekommen alle Söhne meiner Mitarbeiter einen Job.
Das hat Straußberg gesagt. Das war früher. Heute ist heute. Die Zeiten sind schlechter geworden.
Andere Syndikate haben auch schon Leute gefeuert. Eine Menge Fachkräfte. Killer und Geldeintreiber. Die sitzen jetzt auf der Straße. Drehen Däumchen. Kommen am Ende nur auf dumme Gedanken. Machen sich selbstständig. Überfallen Banken. Werden von Straußbergs verbliebenen Leuten oder der Polizei erschossen. Zum Glück gehen den auch die Leute aus. Einsparungsmaßnahmen. Das sind beschissene Zeiten. Für alle.
Weil sie endlich Feierabend machen wollen, geben sie dem Bündel auf dem Stuhl den Rest.
Und die Leiche?
Die Überstunden bezahlt uns niemand.
Dann bringen wir ihn morgen fort?
Ja!
Er sieht sich die Schwärze unter seinen Fingernägeln an. Er wird auf ein oder zwei Bier in die Kneipe gehen.
Duschen wird er erst übermorgen. Vorher macht das keinen Sinn. Sie werden in den Wald fahren. Graben. Die Leiche entsorgen.
Er hätte etwas vernünftiges lernen sollen. Das hat sein Vater ihm stets gepredigt. Der hat auch schon für Straußberg gearbeitet.
Er schüttelt den Kopf. Otto klopft ihm auf die Schulter.
Komm jetzt!
Das Leben ist kein Krimi.
Dreck. Er wird den Dreck unter seinen Fingernägeln einfach nicht los.
Guido Rohm
zu Guido Rohms crime stories: „Die Sorgen der Killer“ geht’s hier.