
Neues von Lucky Kid
Rezension von Markus Pohlmeyer
„Volle Fahrt voraus“[1], das bedeutet neue Abenteuer von Lucky Kid, dem jungen (späteren) Lucky Luke. So träumt der kleine Supercowboy in einer Episode davon, wie er durch Sturm und Regen reitet, wie er einen Pfeilhagel von Indianern besteht, wie er einen Bären besiegt und einen Revolverhelden und wie er kämpfen will „[…] gegen die größten Diebe der Vereinigten Staaten … der gesamten westlichen Welt!“[2] Auf dem Bild zu sehen: ein gefesselter Schurke, um ihn herum Dollarscheine. Es könnte vielleicht und möglicherweise und eventuell sein, dass gewisse Ähnlichkeiten dieses Schurken mit einem gewissen Politikstar/einer gewissen Politikkatastrophe der westlichen Welt assoziativ bestünden, denn so unvergleichlich das Gesicht, so einzigartig die Frisur. „Halt still, Schurke!“[3]
Einfach wunderbar die Szene aus Lucky Kids Schulklasse zum Thema lebensweltlich orientierter Grammatikunterricht und als Beispiel einer gelungenen hermeneutischen Horizontverschmelzung, die in ironischer Brechung dekonstruktiv … ach halt, es sollen hier besser die Kinder zu Wort kommen: „Lisette, das Perfekt mit dem Verb ‚nehmen‘? „Gestern hat der Doc einen Drink im Saloon genommen.“ „Joannie, bilde bitte einen Konditionalsatz.“ „Ich würde gerne mit Calamity Jane Tee trinken.“ „Billy Bad,[4] nenne zwei Beispiele für einen Imperativ.“ „Leih mir fünf Dollar, Jack. Rück den Zaster raus, Kojote!“ Und nun Dopey mit einem irrealen Konjunktiv: „Ohne die Hilfe des Sheriffs hätte der steckbrieflich gesuchte Thick Bill nie den Weg zum Friedhof gefunden.“[5]
Und wie könnte ein Held der Zukunft aussehen? Iron Man-mäßig oder einem Captain America ähnlich? Oder ein geheimnisvoller, muskelprotzender Soldat inklusive Superschild? Zwei Minicowboys philosophieren darüber in einem geradezu platonisch zu klassifizierenden Dialog, der mythopoetisch die Idee ‚postmoderner-popkultureller Heros‘ auslotet. Lucky Kid: „Boah… So’nen Helden kann’s gar nicht geben.“ Dopey: „Yeah! Ein Held in Strumpfhosen sieht aus wie ‘ne Tänzerin im Saloon … Warum nicht gleich ein Spinnenmenschen, wenn wir schon dabei sind… ?“[6]
Und wunderbar melancholisch und Wild West-romantisch die letzte Seite: eine Variation (in unterschiedlichen Farben) des in den Sonnenuntergang ziehenden Lucky Luke („I’m a poor lonesome cowboy and a long way from home!“).[7]Das letzte Bild, in einem Indianerzelt – Kleiner Kaktus: „Großer Medizinmann sieht deine Zukunft. Du werden armer, einsamer Sänger, der immer nachts nach Westen reitet!“ Lucky Kid: „Schluck!“[8] Wir wissen, dass jener zukünftige, einsame Sänger ein (popkultureller) Held sein, der nach bestandenem Abenteuer und wiederhergestellter Gerechtigkeit in den wohlverdienten Sonnenuntergang reitet – mit seinem genialen Pferd. Ein Held ohne Spinnenbiß, Superschild, Hightech, ohne genetische Aufrüstung und sonstige Hilfsmittel. Lucky Luke/Kid ist für mich einer der menschlichsten aller Helden: „Das Land gehört den Indianern. Die waren so großzügig, uns hier wohnen zu lassen … Wir sind nur Gäste in dieser unberührten, wilden und herrlichen Prärie.“[9]
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg
[1] Lucky Luke, Band 98: Volle Fahrt voraus, übers. v. K. Jöken, Berlin 2020.
[2] Lucky Luke (s. Anm. 1), 9. Schriftbild in allen Zitaten von mir geändert.
[3] Lucky Luke (s. Anm. 1), 9.
[4] Billy Budd, Melville?
[5] Alle Zitate aus der Episode von Lucky Luke (s. Anm. 1), 13.
[6] Lucky Luke (s. Anm. 1), 15.
[7] Siehe dazu beispielsweise Andy Warhol: „Marilyn“.
[8] Diese Zitate aus Lucky Luke (s. Anm. 1), 46.
[9] Lucky Luke (s. Anm. 1), 22. Unter dieser Episode folgende Anmerkung: „Seit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika haben die Weißen mit den Indianervölkern mehrere Dutzend Verträge unterschrieben und alle gebrochen. Erst 1924 erhielten die Indianer den Status amerikanischer Staatsbürger.“