Heute: Stuart MacBride
von Marcus Müntefering
Muss man eigentlich 2017 noch etwas sagen zu Stuart MacBride aus Aberdeen? Inzwischen sollte doch jeder anglophile Krimileser seine Reihe um den aufgrund einer Mehr-als-Nahtod-Erfahrung Lazarus genannten Polizisten Logan McRae und seine Vorgesetzte Roberta Steel, die dauerfluchende Lesbe mit zweifelhaften Ernährungsgewohnheiten, kennen. Sollte. Irgendwie wird MacBride gern übersehen, bekommt in Deutschland kaum einen Fuß auf die Erde – Rankin hat die Hardcover und die besseren Übersetzer, bekommt mehr Rezensionen und taucht wenigstens gelegentlich mal in der Krimi-Bestenliste der “FAS” auf (an mir liegt’s nicht!). Dabei sind MacBrides Romane inzwischen deutlich interessanter, als die seines geschätzten Kollegen aus Edinburgh, der in den letzten Rebus-Büchern sehr auf Nummer sicher gegangen ist, wenn auch auf hohem Niveau. MacBride hingegen lehnt sich auch mit seinem neuen Roman “Totenkalt” wieder weit aus dem Fenster. Witzig, böse und hoch emotional erzählt er von der Aufklärung zweier Morde (werden noch mehr, klar), die wahrscheinlich irgendwie zusammenhängen. Ist aber auch gar nicht so wichtig, wer wann und warum gestorben ist. Den wahren bösen Spaß macht es, Logan, der weiterhin aus Aberdeen in das Küstennest Banff verbannt ist, dabei zuzusehen, wie er trotz widriger Umstände (die Polizei in Schottland ist seit einigen Jahren so umorganisiert, dass zumeist Task Forces aus anderen Städten die Ermittlungen führen und die lokale Polizei nur beraten darf – völlig absurd) mit großer Verbissenheit an der Lösung des Falls arbeitet. Als den Prototyp des geknechteten modernen Menschen könnte man Logan sehen, der trotzdem nie den Glauben verliert, etwas bewirken zu können. Und am Ende meist Recht hat. Nur: Der Preis, den er zahlt, ist immens hoch. Jeder Fall kostet ihn Wunden.
Falls ihr mehr über MacBride wissen wollt, habe ich hier (bei CrimeMag) mein Treffen mit ihm vor drei Jahren aufgeschrieben.
Aber erst einmal: Viel Spaß mit der 25. Ausgabe der Bloody Questions!
1 Haben Sie je darüber nachgedacht, ein Verbrechen zu begehen oder gar schon mal eines begangen?
Also, zwar ist es nicht illegal, über Verbrechen nachzudenken, aber es ist nicht sehr schlau, anderen davon zu erzählen. Dadurch wird es deutlich wahrscheinlicher, dass du erwischt wirst. Ich bin ein zutiefst ehrlicher Mensch, und es gibt keinen Grund für die Behörden, mich zu untersuchen. Ehrlich …
2 Wer ist der schlimmste Schurke (oder der beste Bösewicht) der Literaturgeschichte?
Für mich ist das Mrs Lovett aus „Sweeney Todd“. Alle konzentrieren sich immer auf Todd und seine dämonischen Haarschnitte, aber Lovett scheint mir viel interessanter. Todd tötet aus Trauer und Wahnsinn und Rache. Mrs Lovett hingegen schaut sich eine Leiche an und denkt: „Andere mögen das schrecklich finden, aber ich werde sie zerteilen, kochen und als Pie servieren.“ Das ist psychologisch hoch interessant.
3 Erinnern Sie sich an Ihren ersten literarischen Mord?
Aber ja, es war ein mieser Richter in Edinburgh und ich habe etwas … sehr schlimmes mit ihm angestellt. Es war mein erster Versuch, einen Roman zu schreiben, und, obwohl ich viel Spaß dabei hatte, war es ein schreckliches, wirklich schreckliches Buch. Es wird nie wieder das Licht des Tages sehen.
4 Die Beatles-oder-Stones-Frage: Chandler oder Hammett?
Ich spiele definitiv in Team Hammett. Als ich als kleiner Junge mit den Hardy Boys (in Großbritannien äußerst populäre Krimis für Jugendliche, d. Red.) durch war, versuchte ich es mit Hammetts „Rote Ernte“. War nicht ganz dasselbe, aber ich war sofort gefangen.
5 Haben Sie schon mal einen Toten gesehen? Wenn ja, wie hat dies Ihr Leben verändert?
Einige. Die erste Tote war meine Großmutter, und ich erinnere mich, wie es mich fertig gemacht hat, darüber nachzudenken, wie meine Mutter leidet. Wenn ich mit dem Tod konfrontiert bin, ist es das erste, was mir in den Sinn kommt, dass jemand in Trauer sein wird. Das versuche ich auch in meinen Romanen zu transportieren: Was auch immer wir tun, es hat eine Zeit in unserem Leben gegeben, in der jemand uns geliebt hat.
6 Wurden Sie jemals Zeuge eines Verbrechens?
Ja.
7 Gibt es irgendjemanden auf der Welt, dem Sie den Tod wünschen?
Ach, nicht gleich den Tod. Aber vielleicht gibt es den einen oder anderen, dem ich wünsche, dass er gleichzeitig schlimmen Schluckauf und grässlichen Durchfall bekommt.
8 Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben leben konnten?
Ich hatte sehr, sehr viele verschiedene Jobs. Ich habe auf Ölplattformen gearbeitet, als Caterer, Layouter, Programmierer, Werber, Projektmanager … Das war immer Teamarbeit, weshalb es sich manchmal immer noch seltsam anfühlt, 99 Prozent meiner Zeit allein zu arbeiten.
9 Wären Sie nicht Schriftsteller – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
Wie die meisten Krimiautoren wäre ich gern Rockstar. Das viele Reisen wäre nicht so toll, aber der Rest …
10 Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
Als ich in Großraumbüros gearbeitet habe, waren Kopfhörer die einzige Möglichkeit, das nie endende Gelärme auszuschließen und etwas zu schaffen. Auch heute noch läuft immer Musik, wenn ich arbeite. Deshalb kann ich schreiben, wo immer ich gerade bin – Züge, Flugzeuge, Flughäfen, Hotels, sogar im Taxi –, solange ich meine Kopfhörer dabei habe und Musik hören kann.
Was ich höre hängt davon ab, was ich gerade schreibe. Actionszenen verlangen einen treibenden Beat, die Foo Fighters, Muse oder Marilyn Manson. Bei den ruhigeren Szenen höre ich viel Frightened Rabbit (hierzulande nicht besonders bekannte schottische Indie-Band, d. Red.). Manchmal passen nur Mozart, Beethoven oder Purcell.
11 Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
Ja. Alles davon.
12 Was machen Sie, wenn Sie mal nichts Vernünftiges zu Papier bringen?
Ich schreibe jeden Tag. Ich habe zu viele Deadlines, um es mir leisten zu können, auf meinem Hintern zu sitzen, Däumchen zu drehen und darüber nachzudenken, warum die Muse mich gerade nicht küsst. Egal wie beschissen es mir geht oder wie schwierig es ist – neue Wörter müssen geschrieben werden. Und zwar von mir.
13 Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
Du kommst ins Leichenschauhaus und jemand entscheidet, ob du obduziert wirst oder nicht. Wenn es so sein sollte, musst du hoffen, dass du wirklich tot bist, denn das ist eine mächtig invasive Prozedur, und du willst nicht am Leben sein währenddessen. Am Ende, wenn sie dich halbwegs wieder zusammengeflickt haben, wirst du entweder in ein tiefes Loch gesteckt, wo du verfaulst, oder du wirst zu grobkörniger Asche verbrannt. Wenn das Leben gerecht wäre, würden wir alle als verwöhnte Hauskatzen wiedergeboren.
14 Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?
Als Abschreckung funktioniert die Todesstrafe nicht, das sollte allen klar sein. In den USA warten unfassbar viele Menschen auf ihre Hinrichtung, trotzdem werden immer mehr Verbrechen verübt. Möglicherweise fühlen sich einige Menschen besser durch die Todesstrafe, aber sie hilft nicht dabei, die Probleme einer Gesellschaft zu lösen. Ich habe ein Roman darüber geschrieben, in „Halfhead“ (bislang nicht ins Deutsche übersetzter Sci-Fi-Thriller, d. Red.) geht es um andere Methoden der Bestrafung und Abschreckung.
15 Ihr Kommentar zu dem Bert-Brecht-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
So kann man das natürlich sehen, ich teile diese Idee aber nicht. Nur weil einige Banker unmoralische, diebische, egoistische Wichser sind, heißt das nicht, dass wir keine Banken brauchen. Und eine Bank zu überfallen ist nicht das moralische Äquivalent zum Diebstahl eines Laib Brots, weil deine Familie hungert.
16 Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
Hier liegt Stuart – nicht. Er liegt gemütlich zusammengerollt in der Sonne, verwöhnt und flauschig, und träumt davon, Mäuse zu fangen.
Zum Buch: Stuart McBride. Totenkalt. Goldmann 2017, Übers.: Andreas Jäger, 640 Seiten, 9,99 Euro
Die Bloody Questions auf CrimeMag
Steve Hamilton, Tana French, Garry Disher, Jerome Charyn, Friedrich Ani, Mark Billingham, Adrian McKinty, Robert Wilson (2 Teile), Simone Buchholz, Lawrence Block, Karin Slaughter, Val McDermid, Joe R. Lansdale, Bill Moody finden Sie hier. Nicht (mehr) zugänglich sind zur Zeit die „Bloody Questions“ mit Wallace Stroby (8)Lauren Beukes , (7, Teil 1) und Lauren Beukes (6, Teil 2) Richard Lange (5), Zoë Beck (4), Sam Millar, (3)Declan Burke, (2)James Lee Burke, (1)