Der Vatikan im Widerstand?
Von Bodo V. Hechelhammer
Wer gerne ein spannendes Buch zu einem Geheimdienstthema lesen möchte, der wird sich über »Die Spione des Papstes« zunächst einmal vom Titel her freuen. Denn die Themen Spionage und Vatikan versprechen besondere Einsichten in eine ganz speziell verschlossene Welt voller Geheimnisse. Der Untertitel »Der Vatikan im Kampf gegen Hitler« ordnet das Thema zeitlich näher ein und überrascht damit sogleich, denn Papst Pius XII. (1876-1958) ist bis heute eher für sein Schweigen zum Holocaust und seine Passivität gegenüber dem Nationalsozialismus bekannt. Nun verspricht der Autor dem neugierigen Leser päpstliche Spione, die gegen Hitler gekämpft haben. Doch leider führt der Titel ein wenig in die Irre, da es eigentlich gar nicht um im klassischen Sinn Spione oder gar um ein wirkliches »kirchliches Spionagenetzwerk« geht, sondern vielmehr um Widerstandskämpfer und deren geheime Beziehungen zum Vatikan sowie um die politische und moralische Haltung des Papstes dazu. Es geht um den schwierigen Versuch einer historischen Neubewertung der Rolle des Vatikans im Widerstand gegen Adolf Hitler.
Der Autor dieser Neueinordnung ist Mark Riebling, ein amerikanischer Essayist und Dozent. Er war bereits als Forschungsdirektor am New Yorker »Center for Policing Terrorism« (CPT) tätig und unterrichtete am »Center for Jewish Civilization« (CJC) an der Georgetown-Universität in Washington und an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Seine Themenschwerpunkte sind vor allem Terrorismus, Geheimdienste und internationale Beziehungen. Riebling veröffentlichte zuvor »Wedge: The Secret War between the FBI and CIA« und beschrieb darin die behördliche Rivalität zwischen FBI und CIA anhand nationaler amerikanischer Traumata wie der Kennedy-Ermordung, der Watergate-Affäre oder dem Terroranschlag von 9/11. Das vorliegende Buch verlässt den amerikanischen Fokus und erschien bereits zwei Jahre zuvor auf Englisch unter dem Titel »Church of Spies. The Pope´s Secret War against Hitler«.

Mark Riebling
Der Autor skizziert die Position von Papst Pius XII. gegenüber Adolf Hitler und Nazi-Deutschland im Spannungsbogen zwischen religiöser Überzeugung und politischem Pragmatismus. In 26 teils sehr lebhaft geschriebenen Kapiteln entfaltet er die verschiedenen Verbindungsstränge des Vatikans zu einzelnen bekannten Personen des Widerstandes gegen Hitler, gerade zur Militäropposition. Dabei geht Riebling besonders auf die Rolle des Münchner Rechtsanwalts Josef Müller ein, dem nach dem Krieg als »Ochsensepp« bekannt gewordenen Mitbegründer der »Christlich-Sozialen Union« (CSU). Denn der streng gläubige Katholik Müller pflegte zu vielen Seiten gute Beziehungen, widerstand offen Heinrich Himmler und unterhielt enge Kontakte zur Spionageabwehr um Wilhelm Canaris und eben auch nach Rom.
Schnell entwickelt sich beim Leser das Bild, dass der Autor in seinen mitunter zeitlich versetzt geschriebenen Episoden, die historische Rolle des Papstes im »Kampf gegen Hitler« stellenweise überbewertet, ebenso wie die seiner Handlungsmöglichkeiten. Einzelne Geschichten erscheinen in ihrer Deutung hierbei einfach überzogen. Beispielsweise deutet Riebling doch recht eigenwillig und monokausal eine Erkrankung Hitlers damit, dass dieser darunter gelitten habe, als er erfahren musste, dass der Papst Anschlagspläne gegen ihn befürworte:
»Am Morgen des 27. September weigerte sich Hitler, das Bett zu verlassen. Er verschmähte das Essen und zeigte keinerlei Interesse am Krieg. Seine alarmierten Adjutanten hatten ihn noch nie so lustlos erlebt.« (Seite 306).
Aber immer wieder werden auch interessante Episoden und Zusammenhänge neu geschildert. So wie in dem kurzen Kapitel »Baupläne für Siegfried«. Darin werden kurz Anschlagsplanungen von bayrischen Jesuiten gegen Hitler skizziert, die zur Ausführung im Führerhauptquartier Siegfried in Pullach geplant gewesen sein sollen. Ausgerechnet Pullach, auf dem Gelände der elitären Wohnsiedlung der NSDAP-Funktionäre unter Martin Bormann, das nach dem Krieg Sitz der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) wurde. Aber auf diese durchaus interessanten Bedeutungsstränge geht der Autor leider nicht ein.
Besonders ist der Schreibstil Rieblings hervorzuheben, der oftmals sehr bildreich historischen Begebenheiten umzeichnet, was der Lesbarkeit und Spannung zu Gute kommt, manchmal dennoch überzeichnet und stellenweise fehlplatziert wirkt. So wie die Beschreibung einer Szene um Hitler nach dem Attentat am 20. Juli:
»Der Regen prasselte gegen die Scheiben der Teestube im Führerhauptquartier. Hitler saß auf seinem Lieblingsstuhl, gekleidet in einen Anzug, bandagiert, den Arm in einer Schlinge, aber glücklich. Dr. Morell kniete und fühlte seinen Puls. Die Sekretärinnen schluchzten alle gerührt. Zu Morells Erstaunen war Hitlers Puls normal.« (Seite 293).
Am Ende versucht Riebling das öffentliche Schweigen des Papstes zu Hitler, zum millionenfachen Morden der Nazis, mit seinen geheimen Verbindungen zum deutschen Widerstand zu entschulden. Eine bewusst vorgespielte Neutralität von Pius XII, um im Geheimen umso besser agieren und den Widerstand unterstützen zu können. Effektiv war dies, so lehrt die Geschichte, jedoch nicht. Der Autor will hierbei dennoch die Politik eines starken Papstes erkennen, der sich nicht hat provozieren lassen, etwa zu unüberlegten Äußerungen oder Aktionen gegen die Nationalsozialisten. Eine Interpretation, die in ihrer intendierten Dimension nicht ganz nachvollziehbar ist. So fällt es am Ende schwer, trotz der vorgebrachten Argumentationen, Papst Pius XII quasi als geheimer Anführer des Widerstandes gegen Hitler begreifen zu wollen:
»Hier kam der Papst ins Spiel. Niemand konnte Hitlers innere und äußere Gegner diskreter und glaubwürdiger zusammenbringen als Pius. Als die wohl angesehenste Figur in Europa, die über den streitenden Parteien stand, hatte er den denkbar größten Vorteil eines Souveräns: Inmitten von Mächten, denen niemand trauen konnte, war er die einzige vertrauenswürdige Instanz« (Seite 79).
Unabhängig davon hat Mark Riebling ohne Frage dennoch ein gut lesbares, verständliches und vor allem spannendes Buch geschrieben, welches sich mitunter wie ein Thriller liest. Auch wenn man den Ausgang der Geschichte schon kennt.
Bodo V. Hechelhammer
Mark Riebling: Die Spione des Papstes. Der Vatikan im Kampf gegen Hitler. Piper Verlag, München 2017. 493 Seiten, 26 Euro.
Seine Texte bei CrimeMag hier. „Geheimdienst ist besonders spannend unter kulturhistorischer Sicht“, Ein Interview von Alf Mayer über das Buch „Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956″ hier. Bodo V. Hechelhammer ist Chefhistoriker des BND.