Zum Beispiel das Sqweegeli
Ekelbatzige Scheußlichkeiten einerseits und oft aufgeblasener Wille zur Hohen Literatur andererseits sind die beiden Extreme des momentanen Krimi-Booms. Thomas Wörtche hat sich ein besonders ekliges Ekelbätzchen exemplarisch angeschaut. Und diskutiert eine Tendenz …
Über das Walten und Treiben des in ein Ganzkörperkondom gezwängten, serialkillenden Unholds namens Sqweegel in einem Roman plus interaktiven Schnittstellen namens „Level 26“ von Anthony E. Zuiker und Duane Swierczynski gäbe es eigentlich wenig zu sagen. Auch wenn wir Zeuge werden, wie das Monster sich das letzte Härchen am Gesäß entfernt, wenn wir staunend lernen, dass es sich ganz, ganz klitzeklein zusammenfalten kann und selbst wenn wir gar einlässlich zuschauen müssen, wie es, einem gynäkologisch versierten mad scientist gleich, Frauen detailreich schlachtet. So was halten vielleicht ein paar schlichte Gemüter für „starken Tobak“, wie man in irgendeinem Fan-Forum lesen durfte, aber wenn es je etwas evident Bescheuertes gab, dann dieses putzige Supermonster Sqweegeli (das, so viel doch noch zu seiner Ehrenrettung, auch nur ein konsequent zu Ende designter Hannibal Lecter ist …).
Das Sqweegeli, das Sqweegeli …
Allerdings ist das böse Sqweegeli kurz mal aus der Geisterbahn entkommen. Es ergötzt sich an seiner eigenen Köpfung (die, wir ahnen es, irgendwie letztendlich und fatalerweise zu einem Sqweegeli-Sequel führen wird, wenn die Umsatzzahlen stimmen – sonst eher nicht) und man hat extra für das Sqweegeli im amtlichen Bösheitsregister den Alleinstellungsbösheitsgrad „Level 26“ erfunden – denn das Böse lässt sich ja bekanntlich bestens quantifizieren und in Rankings verwandeln, und da steht das Sqweegeli halt einsam an der Spitze, weit vor Losern und Warmduschern wie Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot und anderen, nicht ganz so bösen Scheusalen der Zeitgeschichte.
Und so ist dieses miese, fiese, gemeine, literarisch marginale Sqweegeli Teil einer neuen Strategie aus dem Boom-Segment „Kriminalliteratur“, Unterabteilung „Serialkiller“, noch den letzten Kommerztropfen rauszuquetschen, bevor man’s dann endgültig entsorgen kann. Die good news dabei sind, dass das Quetschen immer mühseliger wird, die Grobreize immer gesuchter werden müssen. Man hat in den letzten Jahrzehnten dann doch schon zu vieles an Deviantem, Perversem und Ekelhaftem durchdekliniert, der Modderkram wird knapp. Bald muss man vermutlich zu Konstruktionen wie mörderischen Kleinkindern mit zoo-nekrophilen Präferenzen greifen, damit’s richtig tabulos hart zur Sachen gehen kann, meine Fresse …
Innovativ? Geh´ fort …
Irrelevant und für die Katz ist dabei das angeblich innovative Moment des Projektes. Das besteht nämlich darin, dass man die Lektüre des Romans an gewissen Stellen unterbrechen soll und sich im Internet filmische Spielszenen reinziehen kann, die die Handlung ergänzen – natürlich soll man sich dabei registrieren und viele nützliche Daten hinterlassen, aber das kann man umgehen. Diese Filmchen sind grottig und dümpeln irgendwo auf unterem CSI-Niveau (Zuiker hat die Fernsehpest CSI erfunden und sich damit schon einmal ein klein wenig der massenmedialen Verblödung schuldig gemacht). Man kann die Filmchen gucken, man kann es aber auch sein lassen, denn der mehr als schlichte, unterkomplexe und auch handwerklich schlecht gemachte Text ist auch ohne bewegte Bildlein nur allzu verständlich. Handwerklich schlecht gemacht deswegen, weil der Text nur behauptet, aber nichts zeigt: Das Sqweegeli ist böse, der Verfolger ist gut und toll und der einzig mögliche Sqweegeli-Jäger wo gibt – aber warum, wieso, weshalb & wie & überhaupt das alles so ist, oder wie selbst schlichte logische Handlungszusammenhänge so sein könnten, man weiß es nicht … Auch die Semantik der Erzählung und der Action bietet keine weitere Ebene als das dumpfe „Jetzt-mit-noch-mehr-Scheußlichkeiten-fürs-gleiche-Geld“, schlampig und schlapp runtergeknallt. Selbst der hin und wieder aufblitzende zynische Witz, den Co-Autor Duane Swierczynski (bei uns besser bekannt als Duane Louis) manchmal in seinen eigenen auch nicht gerade umwerfenden Brachial-Thrillern entfaltet, fehlt hier völlig. Level 26 ist eine grimmig komikfreie Veranstaltung.
Wie intelligent allerdings Interaktivität irgendwo zwischen Text, Netz und Spiel sein kann, zeigt zum Beispiel das „Stadtkrieger“-Projekt von Samuel Meffire, über das SiK in der nächsten Zeit berichten wird, aber das nur am Rande.
Abwärts …
Bei Level 26 steckt jedoch keinesfalls irgendeine originelle Idee dahinter. Vielmehr reizt das Unternehmen die Grenzen von Crime Fiction aus – nicht im positiven Sinn, sondern auf der Suche, wo und wie man das Niveau noch weiter absenken kann, um den blödesten Blödsinn kostengünstig einem Publikum anzubieten, das bemerkenswert duldsam erscheint.
Das ist kein ideologiekritisches Argument, denn Ideologiekritik, die sich an solch fahlem Schwachsinn abarbeitet, wäre eh nur fragwürdig und selbstgefällig und fällt höchstens in den Zuständigkeitsbereich der Freizeit-Taliban-Blogger von der Netzpolizei.
Der Markt wird´s richten?
Es geht schlicht und einfach darum zu beobachten, was der angeblich sich selbst regulierende „Markt“ so alles absorbiert. Denn das Sqweegeli-Projekt ist ja nur die eine Seite der Medaille. Deren andere Seite ist die hochgezogene Ambitionitis mit geldwerten Hintergedanken, die man besser nicht mit Niveau verwechseln soll. Denn da soll Mainstreamliteratur mittels kriminalliterarischen „Anmutungen“ einfach ab-verkäuflicher gemacht werden. Deswegen schreiben Literatur-Literati wie Juli Zeh, Burkhard Spinnen, Eva Demski oder Silvia Bovenschen u.a. plötzlich „Krimis“; Schauspieler, Anwälte und andere Berufsgruppen entdecken ihre fatale Liebe zum Criminal und noch der letzte Arno-Schmidt-Adept aus der Provinz sieht im Boom die Chance, sein verblasenes Zeug wenigstens – jetzt oder nie – unter der Rubrik „Krimi“ gedruckt zu kriegen, und wenn er dafür eben ein paar Leichen einbauen muss.
Große und Kleine
Aber man darf natürlich weder Autoren noch Verlagen böse sein, wenn sie einen Boom ausreizen wollen. Das gilt für große und für kleine Verlage – besonders sogar für letztere, die in jüngster Zeit vermehrt ein Herz für ein Genre entdeckt haben, das sie vor dem Boom nicht mal mit der Kohlenzange angerührt hätten. Der Kinderglaube, dass „die kleinen Verlage“ per se die Pionierarbeit machen und „die großen Verlage“ per se dann davon profitieren, ist schon fast rührend und eher Ausweis von totaler Branchenunkenntnis. Mutige Pioniere wie Pulp Master und trittbrettfahrende, kompetenzarme Regionalverlage, die eine Marktchance zu entdecken glauben, kann man nicht unter dem selben Qualitätsverdacht verhandeln. Kleine Verlage müssen oft das nehmen, was die großen übriglassen oder steigen ins Recycling-Business. Das ist oft sehr sinnvoll, aber genauso oft überflüssig. Viele Autoren aber sind und bleiben völlig zu Recht bei Kleinverlagen, weil sie einfach zu schlecht sind für ein größeres Publikum. Und viele Autoren und Bücher sind umgekehrt so schlecht, dass sie dringend die Unterstützung von mächtigen Marketingmaschinerien brauchen, um wirklich an ihre Zielgruppen heranzukommen, die man als literarische Couch-Potatoes im RTL-II-Modus bezeichnen könnte.
Spiegel
Das Sqweeligeli und die Ambitionitis gehören also enger zusammen als man glauben mag. Kein Grund zur Panik, denn wenn die extremen Ränder des Marktes mit noch so blödsinnigen Texten permanent erweitert werden, entsteht immerhin eine Menge freier Raum. Die gusseisernen Vorstellungen, ein Krimi habe zu sein wie ein Buch von Mankell oder Donna Leon, sind allmählich wieder zerbröselt. Die vielfältigen Möglichkeiten werden wieder sichtbarer – gerade vor dem Hintergrund der jeweiligen Schauderhaftigkeiten, die allmählich immer mehr Leserinnen und Lesern gehörig auf den Keks gehen.
Substantielle, originelle, frische, intelligente hervorragende Kriminalliteratur gibt es mehr denn je, wenn auch immer noch zu viel schlechtes Zeug durch die Gegend vagabundiert und gehypt wird bis zum Umfallen. Jetzt bräuchte man nur noch den Mut aller Verlage, aus dieser Situation den richtigen Schluss zu ziehen: Wenn man mit schlechten Krimis beiderlei Machart Geld verdienen kann, warum verdienen wir dann nicht lieber noch mehr Geld mit richtig guten Krimis?
Thomas Wörtche
Anthony E. Zuiker/Duane Swierczynski: Level 26. Dark Origins
(Level 26 – Dark Origins, 2009) ,,Interaktiver“ Roman.
Deutsch von Axel Merz. Bergisch Gladbach: Lübbe 2009. 428 Seiten. 14,99 Euro.