
Am Ende steht ein Neubeginn
Vermischte Leseeindrücke von „Der neue Phantomias auf der Lauer„
„Der neue Phantomias auf der Lauer“ [1] zeigt eine Super-Ente am Rande ihrer Möglichkeiten: Phantomias/Donald Duck bekommt keinen Schlaf, wird ständig im Stich gelassen, muss gegen alles (Un)Mögliche kämpfen – und findet sich auch noch wieder in einem Krieg Außerirdischer, der in der Dinosaurierzeit seinen Anfang nahm. Und paradoxerweise muss er sich selbst bei einer Geiselnahme als Phantomias spielen. Dazu eine undurchsichtige Familiengeschichte. Warum das alles? Everett Ducklair, (genial, allmächtig, undurchsichtig, ambivalent, hat telepathische Fähigkeiten), der ehemalige Besitzer des Ducklair Towers, ist nämlich von seinem fernöstlichen Klosterexil zurückgekehrt – und vertreibt Donald Duck alias Phantomias (chaotisch, ironisch, gut sichtbar, ambig, hat keine telepathische Fähigkeiten) aus seinem Geheimversteck. Auch die KI Eins, Freund, Helfer und bisweilen Ersatzgehirn des Helden, wurde gelöscht; aber ihr gelingt es noch, Donald das Heldenauto in Form eines Kühlschranks zukommen zu lassen. Knopfdruck. Das futurische Gefährt entfaltet sich – und die Ducksche Wohnung ist verwüstet. Wo verstecken? Donald verwandelt es in einen Müllbehälter, der irgendwann – das Schicksal kann so gnadenlos sein – abtransportiert wird; und nun muss der arme Held auf einem Lagerplatz alle Container durchsuchen. Natürlich war es der letzte – wie immer: „Pfiuh!“[2]

Donald nimmt einen Job bei einer Wachfirma an. Dort lernt er seinen Kollegen Rupert kennen, der, hoffnungslos in die Verkäuferin Stella verliebt, ihn nun ständig in Sachen Beziehungsmanagement um Rat fragt. Dieser sucht für Stella ein passendes Geschenk aus, das dann Rupert ihr überreichen will: eine Anti-Falten-Creme. Zwar hielt bisher Phantomias jede Invasion durch Außerirdische auf, aber hier rettet ihn nur noch blanke Rhetorik vor der aufgebrachten Stella: „ … Rupert ist ein echter Romantiker. Er wollte dir sagen, dass er hofft, ihr beide seid euch noch nahe, wenn… nein, falls du in vielen Jahren mal diese Creme zu brauchen glaubst. Verstehst du? Das ist ein symbolisches Geschenk der Wertschätzung.“[3] Fettdruck im Original für die zu betonenden Stellen (wie auch in den folgenden Zitaten weiter unten). Eine Nähe, die Äonen umspannt, denn – so die These – Rupert gleich Romantiker. Dann kommt eine komplexe Hypotaxe mit einem Anakoluth (oder einer Spannungspause), der die Unbedingtheit des konditionalen wenn in eine Möglichkeit umwandelt: falls. Die rhetorische Frage, ob sie verstehe, wird sofort unterlaufen mit einer Kombination aus Abstraktion und Emotion: Symbol und Wertschätzung. Im Grunde geschieht hier eine Verschiebung weg vom Symbol hin zur Allegorie. Die Anti-Falten-Creme ist zuerst eine Creme gegen Falten – und würde somit Alter symbolisieren. Die Donaldinische Interpretationsstrategie/Allegorisierung entschärft die ambige Dramaturgie der Situation, welche sofort semantisch durch eine Beziehungsbeschreibung fixiert wird. Der so nun übergeordnete Begriff Wertschätzung erlaubt, die Anti-Falten-Creme semantisch zu entkernen. Mit solch einer sprachlichen Leistung würde sich Donald aber gewiss der Kritik von Susan Sontag aussetzen, die das Problem einer traditionellen Interpretation darin sieht: „Die Arbeit der Interpretation ist im Grunde eine Übersetzungsarbeit. Der Interpret sagt: Schaut her, seht ihr nicht, daß X in Wirklichkeit A ist – oder bedeutet? Daß Y in Wirklichkeit B ist? Das Z in Wirklichkeit C ist?“[4]Donalds Argumentation zeigt, wie Interpretation in rhetorische Manipulation umschlagen kann. Und nun die Angebetete zum Anbetenden: „Donald hat mir alles erklärt… du bist echt ein Schatz!“[5] Und obwohl hier viele starke Frauen auftreten, werden doch einige Stereotypen und Klischees bedient, aber zugleich ironisch gebrochen, weil Phantomias ebenfalls aus jenem seltsamen Science Fiction-Universum zu stammen scheint (Sehen Sie bitte weiter unten). Phantomias zu Ruperts Kinoplanung: „Geh auf keinen Fall mit ihr in ‚Mutanten-Amöboiden vom Planeten Zarkon‘… Frauen kapieren solche Filme nicht.“ […] „Was? ‚Drei Herzen im Schneesturm‘? Ja, viel besser…“[6]

In einer anderen Geschichte sah ich lesend Phantomias durch das verregnete, dunkle Entenhausen fliegen – vorbei an einem großen Werbeplakat mit einer Geisha.[7] Sofort fühlte ich mich an Blade Runner erinnert; und nur eine Seite später versucht die Zeitpolizistin und Androidin Klarissa, ihren Androiden-Freund, der Tyrion heißt (-> Game of Thrones?), in den Ducklair Tower zu schmuggeln. Dem Wachmann erklärt sie: „Das ist Dick Philip, der Elektronik-Magnat.“[8] Fettdruck im Original. Erinnern Sie sich? Philip K. Dick? „Der dem Film [Blade Runner; Anm. MP] zugrunde liegende Roman ‘Do Androids Dream of Electric Sheep?’ (1968) zählt zu den Hauptwerken des 1928 in Chicago/USA geborenen Philip Kindred Dick.“[9] Auf dem Dach kommt es dann – wie im Film – zum Showdown zwischen den Androiden, denn Klarissas Freund möchte diese Zeitlinie auslöschen, um in die Zukunft zurückzukehren, was sie wiederum verhindern will. Er: „Diese Geschichte hier sollte nicht mal geschrieben worden sein.[10] Keiner würde sie vermissen, wenn es sie nicht mehr gibt…“ Sie: „Ich würde sie vermissen…“[11]
Zuletzt scheint Donald doch noch einen Unterschlupf für sein anderes Superhelden-Leben zu finden: Hat er einen neuen (unsichtbaren) Freund? In einem alten dunklen Firmengebäude führt eine Reihe pseudo-wissenschaftlicher Ausrüstungsgegenstände den einsamen Helden zu einem Raum, gehalten in einer Art Steakpunk-Design – ein heftiger stilistischer Kontrast zu der einstigen superfuturistischen Zentrale mit der KI Eins. Phantomias, zuerst biblisch: „Es werde Licht?“ Dann science fiction-mäßig: „He, mein Muonen-Destabilisator…“ „…und der Partikelwellen-Alternator …“ „Wo bin ich den hier gelandet?“ Stimme aus der Ecke rechts unten, neben „ENDE“, kursiv gedruckt: „In deinem neuen Unterschlupf, Held! Mach’s dir gemütlich…“[12] … das Abenteuer geht weiter.
Markus Pohlmeyer #######
[1] Lustiges Taschenbuch Premium 27: „Der neue Phantomias auf der Lauer“, Berlin 2020.
[2] Phantomias (s. Anm. 1), 67. Onomatopoetischer Galeerikativ, auf S. 223 variiert, als Phantomias sich gerade noch so verstecken konnte: „Pfiuuuh…“
[3] Phantomias (s. Anm. 1), 225.
[4] S. Sontag: Gegen Interpretation, in: S. Sontag: Standpunkt beziehen. Fünf Essays, Stuttgart 2016, 7-22, hier 10.
[5] Phantomias (s. Anm. 1), 226.
[6] Phantomias (s. Anm. 1), 274.
[7] Phantomias (s. Anm. 1), 290.
[8] Phantomias (s. Anm. 1), 291.
[9] P. Laszig (Hg.): Blade Runner, Matrix und Avatare. Psychoanalytische Betrachtungen virtueller Wesen und Welten im Film, Heidelberg 2013, 70. Hier wurde eine Metathesis von Vor- und Nachname vollzogen.
[10] Hier liegt ein sog. Futurum praeteriti II vor; siehe dazu J. Erben: Deutsche Grammatik. Ein Abriß, 12. Aufl., München 1980, 99. Das geschrieben könnte sich auch auf den Comic als das Medium eben dieser Geschichte beziehen. Subtil.
[11] Beide Zitate Phantomias (s. Anm. 1), 315.
[12] Zitate von Phantomias (s. Anm. 1), 379 f.