Amerikas Dunkle Stunde
– Kathryn Bigelows „Zero Dark Thirty“, von Alf Mayer
Die halbe Stunde nach Mitternacht, das bezeichnet der Militärausdruck „Zero Dark Thirty“. Dunkel im buchstäblichen Sinn ist der Beginn dieses Films über die Jagd Amerikas nach Bin Laden: schwarze Leinwand, aufgeregt ängstliche Stimmen. Eine Collage von Telefonaten aus dem World Trade Center in New York am Morgen des 11. September 2001. Niemand versteht, was da gerade passiert. Der eine Turm sei eingestürzt, aber hier im anderen seien sie doch sicher … Dunkel geht es weiter.
Die ersten 15 Minuten des 157-minütigen Films zeigen als direkte Reaktion auf 9/11 ganz ungeschminkt und lakonisch Amerikas barbarische Seite. Die erste Filmsequenz ist eine Folterszene, eine Wellblechbaracke mit Betonboden als CIA-Gefängnis, in dem geschäftsmäßig gefoltert wird. Jessica Chastain, als CIA-Agentin Maya die „Heldin“ des Films, trägt bei ihrem ersten Auftritt eine schwarze Ski-Maske, steht dabei, während der Film uns, ohne mit der Wimper zu zucken, in die Beziehungswelt von Folterobjekt und Folterer wirft.
Des dramatischen Effektes wegen wird der Gefangene alleine gelassen. Als Maya zurückkehrt in den Folterraum, lässt sie die Maske an der Tür, und sie zögert nur kurz, als Dan, der Verhörführer (Jason Clarke), sie auffordert, ihm einen Eimer mit Wasser zu füllen, damit es ans Waterboarding von Ammar (Reda Kateb) gehen kann. Dieser Moment der ersten aktiven Beteiligung spiegelt sich nur kurz als Regung in Mayas oft porzellanpuppenhaftem Gesicht.
Wie Jamie Lee Curtis in „Blue Steel“, Bigelows immer noch sehenswertem Film von 1989, ist sie eine stahlharte, isolierte Frau in einer Männerwelt. „Hast du überhaupt Freunde?“, wird Maya einmal gefragt. Es ist ein kaltes Feuer, das in ihr brennt, sie wird damit noch manchen Konferenztisch vereisen. Diese Maya ist eine Fanatikerin, während andere ihre Ärsche und Karriere retten wollen, was ausgerechnet James Gandolfini (Tony Soprano) als CIA-Chef Leon Panetta ausspricht.

Kathryn Bigelow bei der Oscarverleihung 2010
Auch ein Realitätsausweis: Die Veteranen fühlen sich gut getroffen
Merkwürdige Diskussionen begleiten diesen alles andere als lobhudelnd patriotischen Film (z. B. hier oder hier.) Er rechtfertige den Einsatz von Folter, sagen die einen, er besudle das Ansehen Amerikas, die anderen, weil er den Einsatz von Folter als völlig selbstverständlich darstelle. (Das war zwar so, aber – die HUAC-Zeiten lassen grüßen – es sei unamerikanisch und nestbeschmutzend, das selbst auszusprechen.) Die entscheidende Information über den Aufenthaltsort Bin Ladens sei nicht durch Folter gefunden worden, meckern Faktenhuber und die Autorin Jane Mayer („The Dark Side“, 2008), aber der Film behauptet das keineswegs, er funktioniert über weite Strecke wie eine Ermittlungsgeschichte.
Kathryn Bigelows frühe Jahre als Kunststudentin am Whitney in New York und ihre damaligen Verbindungen zur linken Szene werden nun durchleuchtet. Ja, es ist ein in vielfacher Hinsicht ungemütlicher Film. Leon Panetta, CIA-Direktor a.D., findet „Zero Dark Thirty“ einen „guten Film“, ihm sei klar, wie schwierig es sei, die ganze Geschichte in einen Film zu packen, das sei gut gelungen. Ich denke, auch viele Soldaten werden sich hier wiedererkennen.
Vielen Veteranen des „Kriegs gegen den Terror“ wird der nüchtern unsentimentale Blick des Films „gut tun“, weil er sie nicht kritisiert, sondern eben zeigt, „wie es war“. Ein Phänomen, das ich noch bei den kritischsten Anti-Kriegsfilmen, wenn sie nur realitätstüchtig genug waren, bei meiner Vater-Generation oft erlebt habe. Im Zeigen, wie es war, finden sie ihren Platz und ihre Behauptung in der Gesellschaft, auch wenn Zivilisten das gar nicht alles „lesen“ können, was da in der Parallelwelt Sache ist.
„Bringen Sie mir Leute, die ich töten lassen kann!“
Kathryn Bigelows letzter Film „The Hurt Locker“ (2008) war ein bei aller Intensität kaltblütiger und genauer Blick auf eine Realität des Krieges. Das Porträt eines todessehnsüchtigen, nihilistischen Bombenentschärfers, für das Jermey Renner (hier bei crimemag) einen hoch verdienten Oscar erhielt, thematisierte die Kosten der Verwüstung, die das Kriegeführen in die Menschenseelen brennt.
Dumpfbacke George W. Bush mag Golf spielen bis ans Ende seiner Tage, die Männer und Frauen, die er in den „Krieg gegen den Terror“ hetzte, zahlen einen anderen, einen weit höheren Preis als die Schreibtischtäter. Auch die erlebt man in „Zero Dark Thirty“. Da schreit ein Hengst im Hauptquartier seine Leute an: „Ich will Ziele! Tun Sie Ihren Job! Bringen Sie mir Leute, die ich töten lassen kann!“
Schon merkwürdig, dass es eine der Gewalt und dem Kriegerischen keineswegs abgeneigte, erfolgreiche Frau ist, die – ohne einen Anflug von Weinerlichkeit oder whimpness – ihr kühles Auge auf jene Folgen richtet, die das Führen des Schwertes – die kriegerische Kultur – mit sich bringt. In „Zero Dark Thirty“ weitet sich das zu einem Gesellschaftsbild, der Film ist auch ein Spiegel, in dem wir uns begegnen. Mehr als zehn Jahre waren wir Fernsehzuschauer. Zeugen, Involvierte und Betroffene.
Bigelow nimmt uns nun mit in jene Parallelwelt, zu der sie offenkundig guten Zutritt hat, in die des Militärs und der Geheimdienste. Sonderlich Aufhebens macht sie davon nicht, alles bei ihr ist matter of fact, eher unterkühlt als hochgekocht, eher sachlich und dokumentarisch als dramatisiert. Hier müssen nun auch Drehbuchautor Mark Boal erwähnt werden, der bereits „Hurt Locker“ schrieb, die großartig disziplinierte Musik von Alexandre Desplat und die demütig unspektakuläre, dokumentarische Kameraarbeit von Grieg Fraser. Die Nacht- und Nachtsichtszenen der Tötung Bin Ladens übrigens entstanden mit deutschen ARRI Alexa Kameras und britischen Codex Onboard M Recordern.
„Große“ Bilder und Szenen bietet „Dark Zero Thirty“ im herkömmlichen Sinne kaum, die Bildwirkung ist raffinierter. Es gibt nur einige Breitwand-Tableaus, etwa den Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan in einer Totalen von oben, während die Black-Hawk-Hubschrauber zur Jagd auf Bin Laden abheben, die Verhaftung eines Informanten in Islamabad durch burkatragende Männer als Balletszene, die schmale, kleine Maya in der CIA-Kantine neben dem massiven Gandolfini, immer wieder Jessica Chastain alleine in großen Räumen, zuletzt dann in der großen Transportmaschine, „nur für Sie alleine“, wie der Pilot betont, und dann den letzten, unbeantwortet bleibenden Satz des Filmes sagt: „Wo wollen Sie hin?“
Der Leichensack viel größer als sein Subjekt
Wo will Amerika hin? Wohin will Maya, die zehn Jahre ihres Lebens nach Bin Laden jagte? Darauf hat der Film keine Antwort. Seinen scheinbarer Höhepunkt, zehn Jahre von Maya herbeigefiebert, die Liquidation Bin Ladens – „Jackpot!“, meldet ein über der Leiche stehender Navy SEAL über Funk – inszeniert Bigelow wie ein Überwachungsvideo, weite Teile im schummrigen Grün der vierrohrigen Nachtsichtgeräte, die den gepanzerten und mit Ausrüstung überhängten Soldaten vollends das Aussehen watschelnder Käfer geben.
An die 40 Minuten dauert diese Sequenz, die ich mir auf DVD sicher noch wegen ihrer Schnitte und inneren Dramaturgie mehrmals ansehen werde. „Leichensack! Wir brauchen einen Leichensack“, ruft einer der Commandos. Der muss aus dem abgestürzten Hubschrauber geholt werden und es dauert, bis er oben in den dritten Stock gelangt. Viel zu groß ist er und schlabbert, eine makabre Metapher für das ganze Unternehmen, wird von vier Soldaten nach unten geschleppt, liegt im Hubschrauber dann zwischen ihren Beinen. Kein Hurrah-Gegröhle, nichts Glorioses, kein patriotisches Gedöns, keine Buddy-Seligkeit, kein Triumph, nur eine dreckige Arbeit erledigt. Kein besonderes Aufheben. Eher ein großes Loch, eine Leere. Etwas lange und intensiv Gesuchtes – verweht. Vorbei. Ein nihilistisches Gefühl.
Das Adjektiv „harrowing“ findet sich in vielen der ernsteren amerikanischen Filmkritiken, es meint erschütternd, grauenvoll, entsetzlich, qualvoll. Welche Flamme brennt jetzt noch in Maya? In Amerika? Was bleibt einem von einem Sieg, wenn man des Sieges willen Menschlichkeit, Integrität und Werte aufgab? Wie der Film Maya da alleine zeigt, in den letzten Bildern, kamen mir die „Helden“ der Noir-Filme in den Sinn. All der Aufwand ihrer Selbstbehauptung, all das Einbringen der ganzen Existenz in ihren Kampf, wozu war es eigentlich gut gewesen?
Alf Mayer
Zero Dark Thirty. USA 2013. Regie: Kathryn Bigelow. Buch: Mark Boal. Kamera: Grieg Fraser. Schnitt: William Goldenberg, Dylan Tichener. Musik: Alexandere Desplat. Mit: Jessica Chastain, Mark Strong, Mark Duplass, Jennifer Ehle, Joel Edgerton, Scott Adkins, Jason Clarke, James Gandolfini, Kyle Chandler, Reda Kateb. 157 Min, Verleih: Universal Pictures.
Porträtfotos: Kathryn Bigelow: wikimedia commons 2.0/Cristiano Del Riccio. Mark Boal: wikimedia commons 2.0/Becca Dorstek.
Der irische Film in den Zeiten der Krise
„Trafficked“ und „Parked“ zeigen zwei ungleiche Duos im Dublin der Gegenwart. Von Thomas Backs
Das Tempo war enorm, die Folgen verheerend. Der Aufstieg und Fall des Keltischen Tigers ist eine bittere Pille für viele Iren, die seit Mitte der 1990er-Jahre von einem sorgenfreien Leben in der Heimat träumen durften. In diesem Beitrag soll es erneut um die Kunst, um die Kreation in der Krise, gehen. Die Short Story war und ist ein beliebter Weg, auch der irische Film entscheidet sich gerne für das Mittel der Verdichtung. Mit Ciaran O’Connor („Trafficked“, 2009) und Darragh Byrne („Parked“, 2010) beleuchten zwei Regisseure Schicksale in Dublin, Menschenhandel („Trafficked“) und das Versagen des Sozialstaats („Parked“) sind die Themen. Im Mittelpunkt steht jeweils ein ungleiches Duo, das einen kurzen Weg im Leben gemeinsam geht. Eine Gemeinsamkeit: Beinahe unweigerlich steuern die Handelnden in eine finale Katastrophe.
5.000 Euro hatte Ciaran O’Connor nach eigenen Angaben als Budget, als die Arbeiten an „Trafficked“ begannen. Für ein solches Unterfangen braucht es eine Menge guter Leute mit starkem Willen und Überzeugung – das wird jedem klar sein. O’Connor hatte mit Karl Shiels von Beginn an einen Schauspieler an seiner Seite, das Drehbuch für Trafficked folgte nach der Besetzung der männlichen Hauptrolle. Das Wort Trafficked kommt in diesem Fall von Trafficking – ein englischer Begriff für den „Handel“ der speziellen Art, zumeist eben den Menschenhandel. Verschleppung und illegale Prostitution, zumeist von Frauen aus Afrika oder Osteuropa – das ist eben auch in der irischen Metropole Dublin ein Dauerthema, mit Ruhama gibt es eine NGO mit Sitz in der Hauptstadt, die sich um betroffene Frauen kümmert.
Taiwo und Keely: Freunde in der Not
Der Spielfilm „Trafficked“ schildert das Schicksal der jungen Afrikanerin Taiwo, gespielt von Ruth Negga (u. a. Breakfast on Pluto). Nach ihrer Ankunft in Dublin entkommt das Mädchen seinen Schleppern, trifft dann nicht ganz zufällig auf Keely (Karl Shiels). „A typical Dublin guy“, so beschreibt Shiels selbst seine eigene Figur. Eine typischer Dubliner, leider auch mit falschen Freunden und dubiosen Machenschaften. Das Aufeinandertreffen dieses ungewöhnlichen Duos markiert den Beginn einer seltsamen Beziehung. Ein Verhältnis, das eben nicht auf Liebe und Zuneigung beruht, von einer Love Story ist der Film weit entfernt. „Es ist die Not, die beide zusammenführt“, erklärt Ciaran O’Connor im Interview, das wie der Kurzfilm The New Recruit (Simon Hudson) im Bonus-Material der DVD enthalten ist. Der Zuschauer weiß nicht, was Keely mit Taiwo vorhat, er kann sich im fortlaufenden Plot höchstens fragen, ob Keely überhaupt einen Plan hat. Ein Spannungsverhältnis, von dem „Trafficked“ lebt. Gleichzeitig erleben wir Dublin mit einer jungen afrikanischen Frau, die ums Überleben kämpft und mit sprachlichen Mitteln kaum kommunizieren kann. Ihre persönlichen Gedanken und Gefühle, die werden in erster Linie in Briefen vermittelt, die sie von Dublin aus in die Heimat schickt.
Ein Film über Dublin und die Sexindustrie, gedreht von Profis, die mit eher bescheidenen Mitteln auskommen mussten. „Die Arbeitsweise war ähnlich der einer TV-Doku“, sagt Ciaran O’Connor, ihm und Karl Shiels sind der Stolz über die Vollendung dieses Werks anzumerken.
Dokumentarfilmer ist ursprünglich Darragh Byrne. Auch sein Spielfilm-Debüt „Parked“ hat den Handlungsraum Dublin, auch hier steht ein ungleiches Duo im Mittelpunkt, erneut treffen zwei Menschen am Rande der Gesellschaft aufeinander. Fred (Colm Meaney) ist aus England in die Heimat zurückgekehrt. Da er keinen festen Wohnsitz hat, verweigert ihm das Sozialamt jegliche Unterstützung. Er lebt in seinem Pkw auf einem Parkplatz an der Bucht von Dublin. Dort strandet auch der deutlich jüngere, drogenabhängige Cathal (Colin Morgan), für den der Stoff und die Konflikte mit den Dealern das Leben bestimmen. „Parked“ ist ein Dublin-Film, der deutlich ruhigere Töne anschlägt, Byrnes Erzähltempo ist behutsam. Wie in Trafficked wird der Blick auf einen kleinen Handlungsraum im Großstadtleben fokussiert, auch dieser Film lebt vom Zusammenspiel eines Duos, von zwei großartigen Schauspielern.
Eine deutschsprachige Synchronfassung gibt es mittlerweile auch. Sie kam Ende 2012 in die Kinos, sicher auch wegen Colm Meany. Meinen eigenen Besuch im Düsseldorfer Metropol hatte ich Thomas Vorwerk zu verdanken, durch seine Rezension bei satt.org war ich auf den Film aufmerksam geworden war. „Trafficked“ und „Parked“ – das sind zwei sehenswerte Dublin-Filme, die abseits der Traumfabriken von Hollywood und London entstanden sind. Das kleine, feine Irish Film Board war an beiden Werken beteiligt. Danke dafür.
Thomas Backs
Trafficked. Regie: Ciaran O’Connor, 2009. Dauer: 85 Minuten (Extras: 65 Minuten) und Parked. Regie: Darragh Byrne. 2010. Dauer: 94 Minuten.
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