
Auf Erden ein Elysium
Hans-Jürgen Döpp zum Tod eines Freundes – und ungewöhnlichen Bordellbesitzers.
Er war ein dionysischer Mensch von rheinischer Fröhlichkeit, der zu genießen verstand. Liebe und Wein: das waren seine Lebens-Motti, umwölkt vom Rauch einer edlen Cohiba. Ein lockender Topos des sinnlichen Lebens war ihm der Orient, und viele Gedichte von Hafis konnte er im Alter noch auswendig rezitieren. Goethes „West-östlicher Divan“ war sein Vademecum: Um die kleine Erstausgabe aus dem Jahre 1819 herum, die in einer Vitrine zu sehen ist, errichtete er in den letzten Jahren in Köln ein prächtiges Museum der Erotischen Kunst, in dem der Orient mit seiner beinahe erschlagenden Sinnenfülle dominiert.
Dieter Engel ist im kriegszerstörten Köln aufgewachsen. Bölls „Haus ohne Hüter“ könnte sein Schicksal beschreiben. Armut, Not, Entbehrung zwangen früh ihn, erwachsen zu werden. Diese Armut hat er nie vergessen: auch als er zu Vermögen kam, zeichnete sich sein Lebensstil durch große Bescheidenheit aus. Die Statussymbole, mit denen man in seinem Milieu protzte, verachtete er. So sehr er auch die Künste des Lukullus schätzte: kein Genuss reichte an den Geschmack jener Graupensuppe heran, die seine Mutter einst dem Jungen vorsetzte. Eingedenk der Armut seiner Jugend, unterstützte er viele Menschen, die sich in Not befanden, und mancher Frau verhalf er zu einem Neustart ins sog. „bürgerliche Leben“. Sein Lebens-Hunger aber führte zu einem unstillbaren Hunger nach Kunst und Literatur.
1974 kam er in die als liberal geltende Stadt Frankfurt, wo er durch sein Edelbordell „Sudfass“ und den angrenzenden „West-östlichen Divan“ bald in die Sittengeschichte der Stadt einging: für die Gäste aus aller Welt war das „Sudfass“ ein ebenso klingender Name wie das Goethehaus! Ärger mit der Justiz bekam er, weil er für bessere Bedingungen für die bei ihm arbeitenden Frauen eintrat. Als erster versuchte er, die Frauen sozial- und krankenzuversichern – was ihm als „positive Förderung der Prostitution“ angekreidet wurde. (Jahrelang war sein Weihnachtsbaum im Entrée der schönste Baum Frankfurts, – wodurch er in ihm nicht wohlgesonnenen Augen „der Unsittlichkeit Vorschub leistete“). Alle Räume waren mit Werken der Kunst ausgestaltet, da nach Engels Ansicht Erotik sich vor allem im Kopfe abspiele. (Bevor ich ihn kennenlernte, hörte ich, dass „echte“ Klimts und Egon Schieles in seinen Räumen hingen!) Engel versuchte, die Atmosphäre menschlich zu gestalten, nicht nur für seine Gäste: auch für die dort arbeitenden Frauen. Ein „Schutz-Engel“ der Frauen. Liebevoll nannte die Vereinigung Frankfurter Prostituierten sein Domizil „Engelburg“. Er war eine Lichtfigur im Milieu des roten Lichtes.

Dass Petra Roth, die damalige Oberbürgermeisterin, ihm zu seinem 70. Geburtstag einen Blumenstrauß zukommen ließ, darf man als eine späte versöhnliche Geste der Obrigkeit interpretieren.
Sein Literatur-Hunger führte dazu, dass er – als Mäzen junger Literaten – 1985 in der Uhlandstraße die „Romanfabrik“ gründete, zu deren Eröffnung auch der damalige Kulturdezernent Hilmar Hofmann erschien. Als diese später in die Hanauer Landstraße umzog, verwandelte er den Gewölbekeller in eine Literatur-Bar, die „Venusberg-Bar“, in der über Jahre jeden Donnerstag Lesungen aus der alten und neueren erotischen Literatur stattfanden, von professionellen Schauspielern vorgetragen. Es wurden mehr als 250 Lesungen!
2013, nach mehr als 40 Jahren, schloss das „Sudfass“ und wich teuren Eigentums-Wohnungen. Götterdämmerung auch für die „Venusberg-Bar“: Im Januar 2015 brannte sie ab. Engels lakonischer Kommentar: „Siehst Du, alles ist vergänglich!“
In seinem Kölner Museum, einer Kunst- und Wunderkammer, nahm der Traum dieses „Schönträumers“ – wie er sich einmal bezeichnete – noch einmal Gestalt an: „Uns gaben die Götter / Auf Erden Elysium“ (Goethe).
Dieter Engel starb in den frühen Morgenstunden des Oster-Montag, an seinem 83. Geburtstag.

Hans-Jürgen Döpp