
Ein Essay von Markus Pohlmeyer
„Pastewka“ begleitete mich mit Lachen nachdenklich durch die bisherige Corona-Krise. Die 8. Staffel führt den beliebten Komiker Bastian Pastewka in ungeahnt hohe Unbeliebtheitswerte der Öffentlichen Meinung. Interessant, wie oft die Darstellung von Pastewka-Begebenheiten in verschiedenen Medien einer ganz bestimmten, tendenziösen Interpretation unterliegt, die ich als Zuschauer so ganz anders gesehen habe und nur unter ‚dumm gelaufen‘ verbuchen würde. Trotzdem, auch Bastian ist ein Meister der Um-Interpretationen und des Ich-war’s-Nicht. Für ihn nimmt aber seine mediale Präsenz (bzw. besser: Repräsentation) eine Dynamik an, die er nicht mehr kontrollieren kann und sein Image zerstört (bzw.: Diese Zerstörung ist sein Image.) Die ihn aber kontrolliert, weil er beruflich davon abhängig ist. Und sein Versuch, auszusteigen – in einem Wohnmobil auf dem Parkplatz eines Shopping-Centers am Rande der Verwahrlosung hausend –, zeigt selbst da, dass ein Leben im Stile von „Walden“ (Henry David Thoreau) beim besten Willen post-postmodern nicht mehr möglich scheint. Das Wohnmobil verringert nur die Distanz zur lebenswichtigen Versorgung mit Game of Thrones-Staffeln, einer Serie, von der ein zuerst leugnender, sich desinteressiert gebender Pastewka bald total abhängig wird: Wir sehen seine sensomotorisch beschleunigten Gesichtszüge beim beschleunigten Schell-Vorlauf oder wie er in einem Drive-In, gleichsam gehetzt von einem Heer aus Drachen und Untoten, in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit eine Wahnsinnsbestellung aufgibt. Überhaupt haben Bastians Lieblingsfilme und -serien seine Wirklichkeit und Beziehungsgestaltung schon längst übernommen.

Das Finale („Der Ersthelfer“): Svenja Bruck, Frau seines Bruders und absolute Erzfeindin an sich, nun schwanger, ist auf einmal mit Bastian in dessen Auto gefangen: 1. Sie beide befinden sich aber auf einem Autotransporter (Verkettung unglücklicher Umstände …), dessen Fahrer lautstark mitsingend Opern hört und somit seine unfreiwilligen blinden Passagieren gar nicht bemerken kann. 2. Das Baby möchte zur Welt kommen. In den Nachrichten: Pastewka, kletternd auf dem Transporter, helfe einer schwangeren Frau. „Es könnte sich um eine Migrantin handeln.“[1] In einer weiteren Berichterstattung ist die Rede von einer schwangeren Rumänin. Bastian, heroisch, superheldenmäßig, bringt den Laster an einer Autobahnraststätte zum Halten – der Fahrer ist mittlerweile in Ohnmacht gefallen – und rennt in das Restaurant, rafft und schafft alles Mögliche zusammen, auch einen Kinderstuhl, man kann nie wissen … Und die Gäste? Die Gäste scharen sich vor einem Bildschirm, der den vor genau dieser, ihrer Raststätte haltenden Laster zeigt; sie nehmen Bastian hinter ihrem Rücken überhaupt nicht wahr, auch wenn er wie ein Bekloppter röchelt und rödelt. Geradezu prophetisch in der Zeitdiagnose Wolfgang Welsch in einem Text von 1998: „Erstens ist Medienrepräsentation für die Alltagsrealität zum Beglaubigungssiegel geworden. Als vollends wirklich gilt nur, was gesendet wird. […] Außerdem sind unsere Wahrnehmungsformen zunehmend medial geprägt.“[2]
Als das Kind zur Welt gekommen ist, ruft Bastian: „Es ist ein Mädchen!“ Die Nachrichten: „Willkommen in Deutschland, kleine Rumänin, wer immer du bist!“ Was vorher nur als Vermutung geäußert wurde, es handele sich bei der Frau um eine Migrantin, hat sich nun in Richtung Tatsache inklusive lokaler Konkretisierung verschoben. Besser kann eine Serie gar nicht zeigen, wie weit Geschehenes und die Geschichten darüber auseinander klaffen bzw. wie News gemacht werden. Und es geht um mehr als nur eine platonische Höhle, in der die Menschen nur Schatten von echten Gegenstände sehen; in dieser anderen medialen Höhle sind nämlich selbst die Schatten von zweiter Ordnung, d.h. sie durchlaufen noch einen weiteren Prozess der Abbildung, nämlich den der Verzerrung und Verstellung. Hier könnte nun eine Diskussion zu Fake News, Faktenchecking, Medienbias usw.[3] beginnen, aber …

Und zum Schluss sah ich, wie Bastian den Auftrifft seiner ewigen Liebe Anne sieht – bewusst langsam zelebriert, dazu die passenden (Film)Musik von E. Grieg – bis ihr neuer Freund aus dem Auto steigt. Bastian scheint selbst Regie zu führen und eine Kamera in der Kamera zu sein, um seinen eigenen Liebesfilm zu drehen. Und das ist auch die Tragödie des Komikers: Denn er hat Anne nie wirklich gesehen, auch nicht ihre Bedürfnisse und Wünsche. Sie ist nur Teil seines popkulturellen Settings, das sie aber durchbrechen wird (in der letzten Staffel) – wie auch die traditionellen Formen der Ehe und Fortpflanzung. Was biologisch nicht funktioniert, kann künstlich generiert werden. Soooo wird Bastian doch Vater ihres Kindes. Und sie werden ihre eigenen Eheringe tragen, ohne zu heiraten. Die Negation tradierter Beziehungsgestaltung im Rahmen von christentumsförmigen Gesellschaftsfragmenten führt zu deren freien Reinszenierung in einer sich selbst, also autonom setzenden Fiktion. Ich würde jetzt gerne in die Hegel-Kurve einbiegen, aber ich bremse ab, weil ich Ihnen die letzten Folgen nicht vorenthalten möchte.
Und lieber Herr Pastewka, wie kann man nur nach der 10. Staffel aufhören? Unfasslich.
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Texte – mehr als hundert inzwischen – bei uns hier.
[1] Alle direkten und indirekten Zitate sind entnommen der DVD-Box „Pastewka“ Die 8. Staffel, © 2018 Minestrone TV Production GbR et alii. Zeichensetzung von mir.
[2] W. Welsch: Eine Doppelfigur der Gegenwart. Virtualisierung und Revalidierung, in: G. Vattimo – W. Welsch (Hrsg.): Medien – Welten Wirklichkeiten, München 1998, 229-248, hier 238 f.
[3] Siehe dazu R. Jaster – D. Lanius: Die Wahrheit schafft sich ab. Wie Fake News Politik machen, Stuttgart 2019.
