Wenn die Drogenkartell-Krake sich im Weißen Haus einnistet

Nach „Tage der Toten“ (2005, dt. 2010) und „Das Kartell“ (2015) hat Don Winslow, 65, nun mit dem fast tausend Seiten starken Band „Jahre des Jägers“ (O-Titel „The Border“) seine Trilogie um den Drogenfahnder Art Keller abgeschlossen. Die Brutalität ist jetzt noch exzessiver, die Drogen sind noch heimtückischer und die lockeren Koalitionen von Dealern, Clans, Killern, Banken und Politikern total unberechenbar geworden. Auch die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität und politischer Einflussnahme sind fließend; aktuelle brisante Bezüge auf den geplanten Mauerbau an der mexikanischen Grenze und auf einen labilen egomanischen US-Präsidenten sind unübersehbar. Eine hoffnungslose „Apocalypse Now“-Horror-Vision konstruiert Winslow hier – auch wenn der heroische Kämpfer Art Keller mit allen Mitteln gegen Kartelle, Killer, Korruption und Bürokraten-Intrigen vorgeht. Der schreibsüchtige Thriller-Meister Winslow hat Donald Trump übrigens zu einer Diskussion über Drogenkrieg, Migration und Mauerbau (auf Fox-News TV) herausgefordert, was Stephen King begeistert unterstützt. — Von Peter Münder
Es war eine gute Idee von Don Winslow (oder des Verlags), im Anhang von „Jahre des Jägers“ ein Personenverzeichnis mit den 57 wichtigsten Protagonisten zu präsentieren. Denn die vielen tödlich endenden Konflikte zwischen all diesen Drogen-Clans, die Rückblenden auf Leichenberge in Mexiko, auf ausgeführte Auftragsmorde in Guatemala und Hinweise auf all die „Freunde“, die da ans Messer geliefert und abgeschlachtet wurden, kann der Leser, dem hier ein bluttriefender Blick in ein permanentes anarchistisches Gemetzel gewährt wird, nur schwer absorbieren: Angesichts der vielen Toten, der verwirrenden Intrigen und einer brutal bis zum Anschlag hochgedrehten Eskalationsschraube fällt es schwer, den Überblick zu behalten. Zumal noch die düsteren Schatten der Vergangenheit den Blick für neue „strategische Allianzen“ und Mordkomplotte dieser Drogen-Clans im Hier und Jetzt trüben: Die Einordnung dieser Figuren in die Clan-Strukturen von Sinaloa, Zeta oder zur bewaffneten Nunez-Fraktion FEN fällt mit dieser Liste jedenfalls leichter.

Keller am Neuanfang: Follow the Money
Das an ein düsteres expressionistisches Stationen-Drama (etwa Kaisers „Von Morgens bis Mitternachts“) erinnernde Szenario von „Jahre des Jägers“ wirkt hingegen trotz des blutigen Budenzaubers und trotz der grauenhaften Gemetzel inklusive Leichenberge, Enthauptungen und verbrannter Leichen eher ermüdend, weil alle „Endlösungs“- Aktionen nur neue verheerende Tragödien auslösen. Mit dem Rückblick auf das Ende von Drogen-Boss Adan Barrera (Vorbild ist der Mexikaner Chap Guzman) im November 2012, der nach einem Massaker im guatemaltekischen Dschungel verschwunden war und einen ratlosen Agenten Art Keller zurückließ, knüpft der Roman an das Ende des „Kartells“ an. Damals wollte Barrera als Chef der Sinaloaner die verhassten Zetas mit einem Versöhnungsvorschlag in eine Falle locken und liquidieren.
Keller ist jetzt also mal wieder mit einer vertrauten Ausgangslage konfrontiert: Man hat einige Drogen-Gangster ausgeschaltet, viele Unbeteiligte umgebracht, aber die Drogenflut überschwemmt Mexiko und die USA weiterhin und obendrein scheint Barrera das Massaker überlebt zu haben – jedenfalls scheinen das die Graffiti in einigen mexikanischen Städten anzudeuten.

Seine düster-deprimierende Aufklärungs-Mission im Kampf gegen den Drogen-Terror hatte Winslow schon 2015 im „Kartell“ mit dem ernüchternden Fazit auf den Punkt gebracht:
„Der Krieg gegen die Drogen geht weiter… In Mexiko, in den USA, in Europa, in Afghanistan… Noch nie hat es so viele Drogen gegeben wie heute. Ein paar der schlimmsten Bosse sind beseitigt, aber das Geschäft geht weiter, die Maschine läuft. Mit Banken, Immobilien, Energie, Politik, Waffen, Grenzbefestigungen, Polizisten, Gerichten und Gefängnissen. Das Kartell bleibt. … Nicht die Bosse machen das Kartell, sondern das Kartell macht die Bosse… Wir sind alle Krüppel, denkt Keller, wir humpeln gemeinsam durch diese kaputte Welt.“

Die Lage an der Drogenfront hat sich seitdem aufgrund der Opioid-Krise drastisch verschärft, billigere und härtere Drogen sind fast überall im Angebot. Für Winslow ist aber vor allem das seit der Trump-Wahl veränderte politische Klima und die damit zugespitzte Konfrontation unterschiedlicher Lager für eine totale Destabilisierung und Orientierungslosigkeit bei der Entwicklung neuer Konzepte im Krieg gegen die Drogen entscheidend. Im Roman will der an Trump angelehnte Immobilien-Tycoon und Reality-TV-Star John Dennison seinem Schwiegersohn Jason dazu verhelfen, über ein Immobilien-Syndikat an einem Geldwäsche-Deal des Drogenkartells mit Millionenprofiten beteiligt zu werden. Da Keller bei der DEA noch vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten Dennison in einer Geheimoperation mit einem Undercover-Agenten genau dieses betrügerische Syndikat-Manöver verhindern will, steht er ständig unter Strom: Er attackiert den Mauer-Plan, wird von den präsidialen Speichelleckern gemobbt und findet bei Bürokraten und hohen Justizbeamten kaum noch Unterstützung. Und nach Dennisons Amtsantritt muss Keller seinen Schreibtisch sofort räumen …

Diese Szenen im Bürokraten-Dschungel von Washington sind packend und überzeugend; hoch dramatisch auch die von Keller eingefädelten Undercover-Einsätze zur Überführung des Geldwäsche-Syndikats. Da Wilson aber viele andere Aspekte wie die Migranten-Tragödie, das auf Status-Symbole, Suff, Huren und Hedonisten-Exzesse fixierte Dumpfbacken-Gehabe der verwöhnten Drogenbaron-Söhnchen sowie die desolate Situation verfolgter mexikanischer Journalisten in diese Drogen-Doku einbauen will, ergeben sich merkwürdige Kontraste und irritierende Tendenzen. Vom erschütternden Überlebenskampf des zehnjährigen Flüchtlings Nico, der es auf dem Güterzug aus Guatemala tatsächlich bis in die USA geschafft hat, wechselt Winslow etwa abrupt zum Pissing-Contest und Wichs-Wettkampf der halbwüchsigen, in einem Auffanglager festgehaltenen Jungen. Dabei geht es dann um Schokoriegel-Prämien und komische Einlagen, schließlich wird ein Junge erstochen.
Keine Frage: Für Don Winslow, der noch nie einen Writer´s Block erlebte und meistens an zwei Romanen simultan arbeitet, muss es immer „mehr als alles geben“. Er kann seine Empörung über die politischen Verhältnisse kaum noch zügeln, täglich nervt der Twitter-Tölpel im Weißen Haus, soziale Projekte werden alle gegen die Wand gefahren, dafür sprudeln die Milliarden für gigantische Rüstungsprojekte – dieser Furor angesichts einer „Make America Fail Again“–Entwicklung soll hier im Roman rausgelassen und zur kritischen Analyse umgepolt werden. Aber Winslows Mix aus fundierter Gesellschaftskritik, blutigen Gemetzel-Szenarios und mit banalen Hollywood-Effekten kokettierendem Entertainment ist – jedenfalls für mich – phasenweise ziemlich unerträglich. Sein auf New York City und die selbstherrlichen Elite-Cops um Denny Malone konzentrierter Thriller „Corruption“ war wohl auch deswegen so brisant und elektrisierend, weil Plot, Personen und Schauplätze nicht so zerfasert und in epischer Breite im 3D-Format ausgemalt waren wie hier im „Jäger“.

Winslow gegen Trump
Dieser inzwischen 50jährige Drogenkrieg, erklärt Winslow, dauere länger an als der in Vietnam oder Afghanistan. Den schon im Wahlkampf von Donald Trump ins Spiel gebrachten Mauerbau hält Winslow für schwachsinnig, weil trotz gigantischer Mauern der Warenverkehr mit täglich Tausenden von Lkws weiterläuft und Drogen nur sporadisch kontrolliert werden können.
Winslow plädiert ja schon seit einigen Jahren für die Legalisierung aller Drogen, weil die millionenschweren staatlichen Interventionen gegen Dealer und Kartelle keine wesentlichen Resultate brachten. Er sei kein Kreuzritter, jeder sollte die Drogenfrage mit sich selbst abmachen, konstatiert er. Die Legalisierung von Marihuana in einigen US-Staaten hat offenbar auch keine Verbesserung der Lage an der Drogenfront gebracht, denn die Marktnischen, die sich nun ergaben, haben nun Hersteller mit neuen, billigeren und stärkeren Drogen besetzt – sie machen jetzt wieder höhere Profite mit dem auf Heroin-Basis produzierten Fentanyl.

Die geplante Trump-Mauer hat den Thriller-Autor Winslow dermaßen auf die Palme gebracht, dass er schon vor zwei Jahren in der „New York Times“ eine ganzseitige Anzeige geschaltet hatte, in der er darauf hinwies, dass jedes Jahr in den USA mehr Menschen wegen Drogenmissbrauchs sterben als bei Verkehrsunfällen. „Aber anstatt das Problem an seiner Wurzel anzugehen, bedient uns Trump mit Phantasie-Szenarios, die suggerieren, dass mit einer Mauer der Drogenstrom eingedämmt würde – doch damit würde sich absolut gar nichts ändern.“
In seinem Ende Februar an Trump geschickten Twitter-Vorschlag für eine Mauer-Debatte schrieb Winslow: „Das würde ich sogar auf Ihrem eigenen FoxNews Network machen. – Sie hatten im Wahlkampf ja mit 18 Republikanern diskutiert, daher bin ich sicher, dass Sie nun auch mit einem einzelnen Autor debattieren können.“
Nur: Warum sollte der Lügner und Betrüger im Weißen Haus, der vor allem Kontroversen und Konflikte für seine Selbstinszenierung provozieren will, sich auf eine Diskussion mit einem Kontrahenten wie Winslow einlassen, der profunde Kenntnisse dieser Materie besitzt und an pragmatischen Lösungen dieser Misere interessiert ist?
Peter Münder
- Don Winslow: Jahre des Jägers (The Border, 2019). Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch. Droemer, München 2019. 989 Seiten, 26 Euro.
Alf Mayer bei CrimeMag über den Vorgänger-Roman: Surfer, bleib bei deinen Wellen.