Klaus Pelzer ist ein Geisterjäger. Keiner der Sorte wie John Sinclair, der den Teufel und seine höllischen Dämonen in Diskotheken, Spukhäusern oder in verfluchten Klosterruinen jagt. Klaus Pelzer ist vorzugsweise im Internet unterwegs, in den Augen mancher die Hölle von heute. Hin und wieder jagt er auch alte Götter in Kleingartenkolonien oder exorziert ans Internet angeschlossene Mädchenpuppen, die von einem Hacker übernommen wurden. Und manches Mal entpuppt sich ein scheinbar paranormales Phänomen als Kriminalfall …
Klaus Pelzer und der Facebook-Chat des Grauens
Von Robert Rescue
Klaus Pelzer, der Geisterjäger aus dem Wedding, war kein Freund von all diesem mitteilungsbedürftigen Social Media. Er nutzte weder Twitter, noch Instagram und kein Facebook. Trotzdem hatte er sich gerade bei Letzterem eingeloggt, aus beruflichen Gründen und mit dem Account der Frau, die ihm gegenüber saß. Aber sofort fühlte er sich überfordert von all den Informationen, die ihm ins Blickfeld gerieten. Allein der zurückhaltende Hinweis, dass Klara heute einen Regenschirm mitnehmen solle, wenn sie das Haus verlässt, erreichte ihn. Facebook, so dachte Klaus Pelzer, schien eine nützliche Website zu sein, um sich über das Wetter zu informieren.
„Was soll ich jetzt tun?“, fragte Pelzer in Richtung von Frau Siegel, seiner Klientin.
„Geben Sie oben bei der Suche den Namen „Felix Siegel“ ein und gehen Sie auf seine Profilseite“, forderte sie ihn auf.
„Facebook teilt mir mit, dass sich dass Konto wegen eines Todesfalls im Gedenkzustand befindet“, sagte Pelzer vier Mausklicks später.
„Ja, das ist richtig“, sagte Frau Siegel. „Das habe ich veranlasst, schließlich ist er ja gestorben. „Wie ich schon sagte, Herr Pelzer, ich habe sie aufgesucht, weil mir mein Mann oder irgendjemand, der sich für ihn ausgibt, Nachrichten schreibt. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind sie Spezialist für paranormale Angelegenheiten. Ich denke, in diesem Fall handelt es sich um einen solchen Sachverhalt. Daher möchte ich, dass sie meinem verstorbenen Mann oder diesem Irgendjemand klarmachen, dass ich diese postmortale Kommunikation nicht wünsche. Das ist wider die Natur. Leider ist es nicht möglich, ihn als Freund zu entfernen. Ich habe es schon dutzende Male versucht, aber es geht nicht. Es ist wie verhext. Schreiben Sie ihm eine Nachricht und exorzieren Sie ihn gefälligst oder was auch immer in ihrer Branche dagegen getan wird! Das alles habe ich ihnen vorhin schon erzählt. Haben Sie mir etwa nicht zugehört?“
„Nein“, sagte Klaus Pelzer. „Ich brauche Informationen grundsätzlich erst dann, wenn eine geistige oder körperliche Handlung ansteht. Das wäre jetzt der Fall.“
Frau Siegel stöhnte.
Er drückte auf den Button „Nachricht senden“. Dann schrieb er: Sehr geehrter Herr Siegel, ihre Frau hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie ihr weiterhin Nachrichten auf Facebook schreiben, obwohl sie verstorben sind. Ihnen sollte klar sein, dass das nicht sein kann. Ich fordere Sie daher auf, in meiner Funktion als Geisterjäger, davon Abstand zu nehmen. Mit freundlichen Grüßen, Klaus Pelzer.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis eine Antwort eintraf.
Hallo Klaus, das werde ich nicht. Ich sehe es als meine Pflicht an, sie heimzusuchen. Gruß, Felix.
Pelzer dachte nach. War das ein Geist oder ein russischer Hacker, der das Konto übernommen hatte und sich einen Spaß erlaubte?
Pelzer überlegte, welchen Umgangston er weiterhin pflegen sollte? Das Förmliche Sie wie bisher? Sein Gegenüber hatte ihn geduzt. Soweit er wusste, duzten Gespenster immer Menschen. Aber ob Hacker einen duzten?
Hallo, ich habe Zweifel, ob du wirklich Felix Siegel bist. Kannst du das irgendwie beweisen? Gruß, Klaus.
Kurz darauf: Hallo Klaus, beweisen kann ich das nicht. Wie auch? Ich habe keinen Perso in der Brieftasche, geschweige denn eine Brieftasche. Frag meine Frau doch mal, wie ich gestorben bin. Gruß, Felix.
„Wie ist ihr Mann eigentlich zu Tode gekommen?“, fragte Pelzer also in Richtung seiner Mandantin.
„Er ist im Plötzensee ertrunken, der Arme“, antwortete sie gleich. „Er hatte geglaubt, dass Wasser sei schon warm genug zum Schwimmen, aber er hat sich geirrt.“
„Waren Sie anwesend?“, fragte Pelzer zurück.
„Ja, aber ich hielt mich einige Meter entfernt auf. Ich hörte seine Hilfeschreie, aber es war zu spät.“
Hallo Felix, deine Frau sagt, du seiest im Plötzensee ertrunken. Ein Unfall. Gruß, Klaus.
Hallo Klaus, das ist richtig, aber nicht aus Fahrlässigkeit. Ich saß schon seit Jahren im Rollstuhl. Sie hat mich das Ufer runtergeschubst und um sicherzugehen, hat sie meinen Kopf unter Wasser gehalten, solange, bis das Wasser wieder ruhig war. So eine Scheiße aber auch. Ich hatte an dem Tag meinen neuen Roman fertiggestellt. Gruß, Felix.
„Ihr Mann schreibt, dass sie ihn ertränkt haben. Das ist ein gewisser Unterschied zu ertrunken. Finden Sie nicht auch?“
Frau Siegel wurde bleich.
„Hören Sie“, rief sie nach einem Moment. „Diese Person auf Facebook ist nicht mein Mann. Er kann es nicht sein, schließlich ist er tot, nicht wahr? Ich möchte einfach nur, dass Sie dieser Person mitteilen, dass sie mich nicht weiter belästigen soll. Und sie soll aufhören, mich eines Verbrechens zu bezichtigen. Mein Mann ist an einem Herzinfarkt gestorben. Das ist alles.“
Sie klopfte mit den Fingernägeln auf das Holz des Schreibtisches. Klaus Pelzer entnahm daraus, dass sie nervös geworden war.
„Okay, okay“, sagte Pelzer einlenkend und schrieb:
Hallo Felix, ich fordere dich auf, im Namen deiner Witwe und meiner Mandantin Klara Siegel, Sie nicht weiter zu belästigen. Du setzt sie unter immensen Druck! Unterlass das gefälligst! Die AGB von Facebook untersagen es, dass du in deiner jetzigen Daseinsform ein Konto unterhalten darfst! Gruß, Klaus.“
Pelzer bezweifelte, ob diese Aufforderung eine Wirkung erzielen würde. Es war nichts amtliches, kein Siegel, keine Unterschrift, einfach nur eine Chat-Botschaft. Felix würde ihn nicht ernst nehmen.
Hallo Klaus, ich scheiße auf die AGB von Facebook. Meine Frau hat ein Verhältnis mit unserem Nachbarn, Herrn Bonke, und beide wollten meinen Tod, um an mein Vermögen ranzukommen. Ein typisches, ein langweiliges Mordmotiv. Bonke ist Arzt und hat wohl die Leichenschau vorgenommen. Die Behörden haben sich mit seinem Befund zufriedengegeben. Das war ihr Plan. Jetzt jammert dir was vor. Leider kann ich hier nichts mehr posten und niemandem außer ihr schreiben. Sonst hätte ich die Sache längst öffentlich gemacht. Vermutlich kommt Facebook mit meinem Daseinszustand nicht klar und irgendeine Richtlinie, die auf das Profil-Konto wirkt, läuft schief. Gruß, Felix.
„Frau Siegel“, sagte Pelzer. „Ich fürchte, dass sich die Grundlage unserer geschäftlichen Beziehung gerade ändert. Die Person behauptet weiterhin, ihr Mann zu sein und hat mir gerade Details des Todesumstandes mitgeteilt. Ein Herr Doktor Bonke soll damit zu tun haben. Ein Hacker wird das kaum wissen.“
„Um Gottes Willen“, rief sie. Sie schaute sich hektisch um. „Glauben Sie Felix kein Wort! Er ist ein Lügner!“
„Tut mir leid“, entgegnete Klaus Pelzer. „Ich bin Spezialist für paranormale Fälle und ich erkenne schnell, ob ich es mit einem Geist oder einer lebenden Person zu tun habe.“ Pelzer mochte Gelegenheiten, wo er diesen Satz sagen konnte. Er hatte so etwas profimäßiges, etwas überlegenes an sich. Ein toller Satz für einen Geisterjäger. „Ich denke, sie haben ihren Mann aus niederen Gründen ermordet und wollen ihn jetzt endgültig zum Schweigen bringen.“
Frau Siegel sprang auf und verließ das Büro.
Hallo Felix, ich glaube, deine Botschaft ist angekommen. Was ist jetzt zu tun? Gruß, Klaus.“
Hallo Klaus, ruf die Polizei. Sag ihnen, dass sie in meinem Schreibtisch ein paar belastende Unterlagen finden können. Der Schlüssel befindet sich hinter dem Kamin im Wohnzimmer in einer Nische hinter dem blaugestrichenen Backstein. Ich habe das mit dem Verhältnis zwischen meiner Frau und Bonke schon länger gewusst und geahnt, was sie vorhaben. Gruß, Felix. P.S.: Ich ärgere mich über diese Todesumstände. Du musst wissen, ich bin Krimi-Autor und schreibe Bestseller. Die Kritiker und Leser haben es immer honoriert, dass ich diesen blödsinnigen Plot „Mord, um an das Vermögen zu gelangen“ niemals verwendet habe. Dafür gab es auch einen Grund.“
Hallo Felix, okay, werde ich machen. Gruß, Klaus.
Pelzer zögerte einen Moment, dann schrieb er.
Hallo Felix, alles Gute im Jenseits. Gruß, Klaus.
Dann loggte er sich bei Facebook aus.
Er griff zum Telefonhörer und wählte die 110.
Einige Tage sollte es dauern, bis Klaus Pelzer die Antwort von Felix Siegel las. Die Polizei benötigte den Chatverlauf von ihm. Klara Siegel weigerte sich, die Login-Daten herauszugeben, aber Pelzer hatte sich die Angaben auf einem Zettel vermerkt.
„Hallo Klaus, das mit dem Jenseits kannst du dir abschminken. Paradies oder Hölle warten auf jede Seele. Nur bin ich nicht auf der guten Seite gelandet. Vielleicht hast du dich gewundert, wieso ich auf meinen Tod vorbereitet war und es zumindest noch geschafft habe, belastende Unterlagen zu hinterlegen. Das, was meine Frau mir angetan hat, habe ich zuvor meinem Vater zugefügt. Allerdings mit Säure und einem Fass. Dann habe ich geerbt mit einem Testament, das ich gefälscht habe. Ich wollte mich in jungen Jahren gänzlich der Literatur zuwenden, frei von Zwängen wie Geld verdienen zu müssen. Es hat sich gelohnt, ich habe was draus gemacht. Allerdings wird man mit so einer „Bürde“ kein Engel. Ich hoffe, dich trifft es besser. Lebe wohl, Felix.
Hinweis der Redaktion:
Neue Geschichten über Klaus Pelzer, den Geisterjäger vom Wedding finden Sie denächst hier ….
Zu Robert Rescues Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einschlägige Beiträge von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und hier und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.
In Kooperation mit CrimeMag heißt es jetzt im September 2018: „DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT“
Lange hat Berlins neue Attraktion auf sich warten lassen – doch jetzt ist es soweit. Die Hauptstadt bekommt einen Geheimdienst! Der Bundesnachrichtendienst BND verlässt das beschauliche Pullach in Bayern und bezieht sein neues Hauptquartier in der hippen Mitte, unweit des schmuddeligen Weddings. Da stellen sich viele Fragen. Wo wohnen Agenten und fertigen sie nach Feierabend Dossiers über ihre neuen Nachbarn? Erkennt man Agenten auf der Straße? Am Schlapphut vielleicht? Vermissen sie Pullach? Wie reagiert ein Barkeeper, wenn ein Gast einen Wodka-Martini bestellt und zwar geschüttelt, nicht gerührt.
Alles Fragen, auf die die Brauseboys, die Weddinger Lesebühne, Antworten suchen. An vier Donnerstagen im September haben sie sich Gäste eingeladen, die vielleicht mehr wissen. Und weil Geheimdienst auch mit Krimi zu tun hat, darf der natürlich auch nicht zu kurz kommen. Für die Auswahl der Textgäste hat Thomas Wörtche gesorgt. Weitere Informationen hier.
Do. 6.9., 20.30 Uhr
La Luz (Osramhöfe, Oudenarderstr. 16-20) DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT
Geheimnisvolles und Kriminales aus dem Wedding und dem Rest der Welt. Vorleseshow im Wedding mit Thilo Bock, Frank Sorge, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning und Gästen. Talkgast: BODO HECHELHAMMER (Chefhistoriker des BND)
Musik: Johannes Kubin
Do. 13.9., 20.30 Uhr
La Luz (Osramhöfe, Oudenarderstr. 16-20) DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT
Geheimnisvolles und Kriminales aus dem Wedding und dem Rest der Welt: Vorleseshow im Wedding mit Thilo Bock, Frank Sorge, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning und Gästen. Stargast des Abends: ROB ALEF (Krimiautor)
Musik: Amalia Chick
Do. 20.9., 20.30 Uhr
Nussbreite (Seestr. 106) DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT
Geheimnisvolles und Kriminales aus dem Wedding und dem Rest der Welt. Vorleseshow im Wedding mit Thilo Bock, Frank Sorge, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning und Gästen. Stargast des Abends: NADJA BURKHARDT (Polizistin aus dem Wedding)
Musik: Karl Neukauf
Do. 27.9., 20.30 Uhr
La Luz (Osramhöfe, Oudenarderstr. 16-20) DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT
Geheimnisvolles und Kriminales aus dem Wedding und dem Rest der Welt. Vorleseshow im Wedding mit Thilo Bock, Frank Sorge, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning und Gästen. Stargast des Abends: ANDREAS PFLÜGER (Deutscher Krimipreis 2018)
Musik: The Knorke