Man kann, hört man immer wieder, nicht einfach nur Bücher verkaufen – man braucht dazu eine Geschichte. Am besten über die Autorin, den Autor. Und die soll viel, viel human touch haben.
Rober Rescue hat sich so seine Gedanken zu diesem Themenkomplex gemacht.
Zu schön, um wahr zu sein
Man stelle sich vor, ein spielsüchtiger Mahjongg-(Mah-Jong) Spieler in Japan namens Iori Fujiwara schulde der japanischen Mafia (Yakuza) zehn Millionen Yen, etwa 70.000 Euro. Wer von der Yakuza schon mal was gehört hat, kann sich denken, was dem armen Kerl droht. Entweder ein Ende im Wasser oder Beton oder die Verkrüppelung durch Abtrennung von Gliedmaßen.
Iori Fujiwara entschied sich für einen ungewöhnlichen Weg, aus dieser Klemme herauszukommen. In nur wenigen Monaten schrieb er 1993 den Kriminalroman „Der Sonnenschirm des Terroristen“ und reichte ihn beim Edogawa-Rampo-Preis ein, dem höchstdotierten japanischen Preis für Kriminalliteratur, gewann diesen und damit zehn Millionen Yen. Er konnte die Schulden zurückzahlen und besaß genug finanzielle Mittel, um eine Karriere als Krimi-Autor zu beginnen. Ob seine späteren Werke erfolgreich waren, vermag ich nicht zu sagen, aber ihnen dürfte der gewisse „Erfolgsdruck“ wie beim „Sonnenschirm des Terroristen“ gefehlt haben.
Diese Geschichte mit der Yakuza ist eindrucksvoll und bewog mich dazu, das Buch zu kaufen, es zu Weihnachten zu verschenken und bei dem Auspacken wortreich auf die Hintergrundgeschichte hinzuweisen.
Nach einer Weile aber setzte das Misstrauen ein. Diese Geschichte war zu schön, um wahr zu sein. Meine Recherchen ergaben, dass er diese Spielschulden „angeblich“ hatte. Bald darauf überlegte ich, ob die Geschichte nicht lanciert worden war, um für größere Käufergunst zu sorgen? War das womöglich üblich in der Verlagslandschaft, eine möglichst spannende Hintergrundgeschichte für den Autor auszutüfteln, mit der sich gut werben ließ? Ich befragte dazu einen Kenner und Herausgeber der Krimiliteratur, der mir das bestätigte. Überdies erzählte er mir, dass er gerade einen Autor betreue, der in irgendetwas prominent sei und jetzt, aus Berufung oder Jux und Dollerei, unter einem Pseudonym einen Krimi geschrieben habe. Auf die Nachfrage der Marketing-Abteilung des Verlages, mit welchen Informationen man das Werk promoten könne, ließ der unbekannte Promi nur ausrichten, „er sei ein schrecklicher Mensch“. Das ist zum einen ziemlich dürftig für eine Werbekampagne und zum anderen nicht besonders positiv, um die Buchverkäufe anzukurbeln. Wer könnte dieser Prominente sein? Dieter Bohlen oder Horst Seehofer? Oder Hannibal Lector oder Dieter Degowski, einer der Geiselnehmer von Gladbeck?
Inzwischen bin ich etwas schlauer. Das Buch heißt „Fuck you very much“, was allein schon für Aufmerksamkeit beim möglichen Käufer des Buches sorgen sollte, sofern er den Titel nicht persönlich nimmt. Der Autor ist Brite, hat sich das Pseudonym Aidan Truhen zugelegt und das Buch ist eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe. (Textauszug auf CrimeMag hier.)
Ich habe zwar zum Zeitpunkt, als ich diese Zeilen schreibe, erst zwei Seiten gelesen, aber der erwähnte Krimi-Experte hat mir das Buch derart schmackhaft gemacht, dass ich jetzt schon weiß, dass ich großen Spaß daran haben werde.
Jetzt stelle ich mir die Frage, warum mein Verlag nicht auf die Idee gekommen ist, mit meiner Hintergrundgeschichte meine Veröffentlichungen zu bewerben? Ich habe nie die Nachfrage gehört, ob es irgendetwas Spannendes in meinem Leben gegeben hat. Moment, jetzt wird mir einiges klar. Da hätte ich wohl mal bei dem einen und anderen Gespräch im Verlagsbüro erwähnen sollen, dass ich früher bei einer Bundeswehr-Eliteeinheit war oder beim Geheimdienst und zu tun hatte in Afghanistan oder dem Kosovo. Oder dass Erich Mielke mein Onkel war oder ich zehn Jahre in Somalia im Knast gesessen habe. Stattdessen bin ich bei der Wahrheit geblieben und habe von Ausbildungen zum Kunststoff-Formgeber, Bürokaufmann und Netzwerkadministrator erzählt. Dieser Werdegang interessiert doch keine Sau.
Da fällt mir ein: Als ich zehn Jahre alt war, habe ich meinem älteren Bruder hin und wieder Geld geklaut, um mir Spielzeug davon zu kaufen. Das hätte man doch gut benutzen können als Pressetext: Robert Rescue wurde schon in frühester Kindheit kriminell und nur das Schreiben gab ihm die Möglichkeit, sich von dieser Schuld zu befreien. Na ja, müsste wohl ein Profi noch etwas ausformulieren.
Oder wie wäre es damit: Robert Rescue hat kein einfaches Leben. Er sollte abgetrieben werden, wurde aber doch geboren. Danach kam er ins Heim, wo er bis zum Alter von 10 Jahren entsetzlichen Quälereien ausgesetzt wurde. Er floh und heuerte auf einem asiatischen Sado-Maso Kreuzschiff als Küchenjunge an. Nach dem Verlust vieler Unschülde wurde er Kindersoldat in Afrika und musste ganz schreckliche Sachen mitmachen. Später wurde er mehrmals in Geiselnahmen verwickelt, aber von Deutschland nie freigekauft, weil man seine Staatsbürgerschaft anzweifelte. In der internationalen Geiselnehmerszene galt er daher als „worst Geisel ever“ und wurde bei späteren Geiselnahmen entweder erschossen oder einfach so freigelassen. Trotzdem hat sich Robert Rescue Lebensfreude bewahrt. Eine Freude, die in seinen Kurzgeschichten zum Vorschein tritt und zeigt, wie eine zutiefst gebeutelte Seele immer wieder das Gute im Leben erkennt und zum Leitprinzip seiner Existenz erklärt.
Das klingt doch prima. Am Anfang etwas furchtbares und mitfühlendes und zum Ende hin so ein positiver Quatsch.
Ich kopiere den Text und schicke ihn per Mail an meine Verlegerin, mit der Aufforderung, überall im Internet meine Autoren-Biographie zu ändern. Eine Stunde später kommt die Antwort:
„Hallo Robert, ich glaube, wir bleiben bei dem Bürokaufmann und dem Netzwerkadministrator. Das klingt für mich authentischer.
Sollte an dem Text was Wahres dran sein, würde mich die Episode mit dem Sado-Maso Kreuzschiff interessieren. Hast du vor, darüber zu schreiben? Ich denke, dass könnten wir groß aufziehen.“
Ich lösche die Mail und bereue meine behütete Kindheit und den Umstand, dass ich insgesamt ein Leben führe wie Millionen anderer auch.
Robert Rescue
Zu Robert Rescues Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einschlägige Beiträge von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und hier und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.
Und bitte beachten Sie: In Kooperation mit CrimeMag heißt es jetzt im September 2018: „DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT“
Lange hat Berlins neue Attraktion auf sich warten lassen – doch jetzt ist es soweit. Die Hauptstadt bekommt einen Geheimdienst! Der Bundesnachrichtendienst BND verlässt das beschauliche Pullach in Bayern und bezieht sein neues Hauptquartier in der hippen Mitte, unweit des schmuddeligen Weddings. Da stellen sich viele Fragen. Wo wohnen Agenten und fertigen sie nach Feierabend Dossiers über ihre neuen Nachbarn? Erkennt man Agenten auf der Straße? Am Schlapphut vielleicht? Vermissen sie Pullach? Wie reagiert ein Barkeeper, wenn ein Gast einen Wodka-Martini bestellt und zwar geschüttelt, nicht gerührt.
Alles Fragen, auf die die Brauseboys, die Weddinger Lesebühne, Antworten suchen. An vier Donnerstagen im September haben sie sich Gäste eingeladen, die vielleicht mehr wissen. Und weil Geheimdienst auch mit Krimi zu tun hat, darf der natürlich auch nicht zu kurz kommen. Für die Auswahl der Textgäste hat Thomas Wörtche gesorgt. Weitere Informationen hier.
Do. 20.9., 20.30 Uhr
Nussbreite (Seestr. 106) DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT
Geheimnisvolles und Kriminales aus dem Wedding und dem Rest der Welt. Vorleseshow im Wedding mit Thilo Bock, Frank Sorge, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning und Gästen. Stargast des Abends: NADJA BURKHARDT (Polizistin aus dem Wedding)
Musik: Karl Neukauf
Nadja Burkhart ist ist CrimeMag-Autorin mit ihren knallharten und staubtrockenen Street Crimes.
Do. 27.9., 20.30 Uhr
La Luz (Osramhöfe, Oudenarderstr. 16-20) DIE BRAUSEBOYS – DER GEHEIME MONAT
Geheimnisvolles und Kriminales aus dem Wedding und dem Rest der Welt. Vorleseshow im Wedding mit Thilo Bock, Frank Sorge, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning und Gästen. Stargast des Abends: ANDREAS PFLÜGER (Deutscher Krimipreis 2018)
Musik: The Knorke
Andreas Pflüger bei CrimeMag finden Sie hier.