
Black Night is Falling (John Lee Hooker)
Die Vorzeichen waren da, doch wer konnte ahnen, dass es so Dicke kommt?
Die nächste Bluesreise im April zum Juke Joint schon gebucht. Flug, Unterkunft, Leihwagen – alles in trockenen Tüchern.
Auf der Fahrt nach Hamburg Anfang Februar (5.2.) war die Welt noch in Ordnung.
Wir sind unterwegs, um Musiker aus Mississippi auf einer deutschen Bühne, im Downtown Blues Club, wiederzusehen.

Ghalia Volt, belgische Musikerin, mittlerweile in New Orleans zu Hause, steht auf dem Programm.
Begleitet am Bass von Dean Zucchero und den beiden Bluesern aus Clarksdale: am Schlagzeug Lee Williams (eigentlich Drummer bei Heavy Sugar and the Sweet Tones, der Band von Heather Crosse) und Lightnin` Malcolm an der Gitarre. Beide allen Besuchern des Ground Zero bzw. des Juke Joint Festivals in Clarksdale bestens bekannt. Ein toller Abend . Ghalia stellt ihre neue Scheibe `Mississippi Blend` (Kurzreview am Ende des Beitrags) vor, auf der auch Malcolm mitspielt. Malcolm nutzt seine Chance und den Raum, dem Ghalia ihm gerne lässt und zaubert in einem langen Solopart seinen so typischen Hill Country Blues.

Tolle Stimmung. Große Freude nach dem Konzert beim Begrüßen der Musiker.
„See you back in Clarksdale“, verabreden wir uns. Die Freude auf die bevorstehende Reise zum jährlichen Juke Joint Ende April wächst täglich.
Doch das war es dann. Es geht Schlag auf Schlag. Trump erlässt sein Einreiseverbot, die Grenzen werden dichtgemacht, alle Flüge gestrichen. Corona hat voll zugeschlagen.
„Mississippi’s epic 17th annual festival“ ist Geschichte.
Zum ersten mal überhaupt wird das Juke Joint Festival abgesagt.
Eine Reise in die USA unmöglich.

Die Einschläge kommen näher. Bluesfestivals in Belgien und Niederlanden werden gekänzelt.
Am 27. März. zieht Richard Hölscher die Notleine. Das Grolsch Blues Festival in Schöppingen findet nach 27 Jahren auch zum ersten mal nicht statt.
Traurig – stand doch Reverend Wilkins mit seinen drei Töchtern auf dem Line-up. Der Reverend – es wäre sein erster Auftritt auf einer deutschen Bühne gewesen…

Die Schreckensmeldungen gehen weiter. John Prine ist am Virus erkrankt (und stirbt am 7.April).
Bobby Rush, mittlerweile 86, hat es erwischt und der Reverend, ja auch er liegt auf der Intensivstation.
Anfang April eine Email von Schorsch Hampel. Schorsch und sein Bruder Dr. Will haben ihren „Hausarrest“ genützt, um einen Song ins Netz zu stellen: „Alle mitnander“.
Das macht Mut und gute Laune. Genau das, was wir im Moment brauchen.
Künstler, Schauspieler, Musiker zu sein in diesen Tagen – die Höchststrafe. Hat die Kohle schon vorher kaum zum Überleben gereicht – jetzt geht gar nichts mehr.
„Where would we be without streaming these days“, schreibt der Bluesfreund aus den Niederlanden.Ja, anderes bleibt den Musikern nicht. You Tube und Facebook werden zur Bühne.
So wie die Menschen auf ihren Balkons zeigen sie klare Kante: wir lassen uns nicht unterkriegen, fuck Corona, wir sind noch da.
18. April – Roger Stolle und die Mississippi Musiker werden aktiv. Das Festival muss ausfallen. Ihre Antwort: dann machen wir es virtuell! 27 Musiker streamen aus ihren Wohnzimmern jeweils eine gute halbe Stunde Blues vom Feinsten.
„The 2020 Juke Joint Festival Clarksdale in my livingroom“, feiert die Netzgemeinde.
Alles natürlich kostenlos. Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft klar ist: das war eine Ausnahme. Performen ohne Lohn geht gar nicht.
Während in Deutschland die Systemrelevanz von Spargel diskutiert wird kämpft eine ganze Branche ums Überleben. Spenden an die Künstlerkassen statt Spargel – das wär`s doch.
21.April
Das „37th annual Chicago Blues Festival“ Anfang Juni wird abgesagt.
Langsam wird den Amerikanern klar, was mit Corona auf sie zurollt.
Das Virus wütet nicht nur in New York. New Orleans menschenleer. Louisiana einer der am stärksten betroffenen Bundesstaaten. Und solange sich die völlig verrückten Evangelisten sonntags in der Kirche weiter in den Armen liegen getragen vom Irrglauben, dass Corona vor den Gottgläubigen, den Christen halt macht……Glaubt Reverend Wilkins etwa nicht an Gott?
Hier kapituliert auch der Blues!
Trump Bashing – kann man sich mittlerweile wirklich sparen.
Trotzdem: unfassbar, was sich die Amerikaner bieten lassen.
Ein Trauerspiel mitanzusehen, wie dieser Mann das Land immer weiter entzweit, jeden Zusammenhalt zerstört.
Ich habe jedenfalls bereits eine Flasche Domestos ans Weiße Haus geschickt, versehen mit dem Hinweis, dass wer einen Schluck daraus nimmt (injizieren dauert viel zu lange) garantiert mit Corona nichts mehr zu tun haben wird.
Corona Bashing – genauso überflüssig.
Stichwort Maske – jedes Wort zuviel. Digitalisierung – jetzt wo die schnellen Leitungen gebraucht werden, wo sind sie ? Die in meinem Wohngebiet angekündigte Versorgung mit Glasfaser geht jetzt ins 4.Jahr. Nur keine Hetze. Und warum es Corona braucht, um deutschen Schülern menschenwürdige Toiletten anzubieten…20.000 Tests für die armen Bundesligaspieler sind möglich und gleichzeitig gibt es nicht genug für Pflege –, Altenheime und das Pflegepersonal?!
Wann wehren wir uns endlich?
Zurück zum Alltag. Back to the Blues.
Was macht der Musikfreund in Coronazeiten?
Museen, Ausstellungen, Konzerte, Festivals, Freunde besuchen? Nichts geht im Moment.
Die Fotos vom letzten Jahr anschauen. Mit Wehmut in Erinnerungen schwelgen.
Wann wird es wieder so sein? Werden wir es überhaupt noch einmal so erleben?
Sich darüber freuen, was man schon erleben durfte.
Hier eine kleine Fotorevue von Bluesfestivals in 2019:

Grolsch Festival in Schöppingen, Pfingsten 2019




North Mississippi Hill Country Picnic, Juni 2019
Highway 62 Blues Festival in Leland bzw.





King Biscuit Blues Festival, Anfang Oktober 2019
Musikhören geht.
Und dabei gleich das Fitnessprogramm für Vinyfreunde absolvieren.
Funktioniert ganz einfach:
Schritt1 ) Auf das Sofa setzten, überlegen, was höre ich mir an?
Schritt 2 ) Aufstehen, Anlage anschalten, warm laufen lassen; zurück zum Sofa
Schritt 3 ) Vinylplatte aus der Hülle, auflegen, zurück zum Sofa.Hören, genießen.
Schritt 4 ) nach ca.20 Minuten (normale Laufdauer einer Seite) aufstehen, Platte umdrehen, zurück zum Sofa, der Genuß geht weiter.
Beliebige Wiederholungen je nach Plattensammlung möglich.
Hörempfehlung für diese Übung z.B.:
„Willy DeVille – Treasures: A Vinyl Collection“ – Tolle Box mit vier Willy DeVille Alben in hochwertiger und exklusiver Ausführung:
Willy DeVille – Crow Jane Alley (Ltd. 180g Black LP+CD Edition)
Willy DeVille – Pistola (Ltd. 180g Black LP+CD Edition)
Willy DeVille – Live In The Lowlands (Ltd. 180g Orange 3LP )
Willy DeVille – Live At Montreux 1994 (Ltd. 180g White 2LP/)
(Die beiden Live-Alben erstmals auf Vinyl.)
Für Fortgeschrittene:
Schritte 1-3. wie vorher. Allerdings jetzt eine LP geschnitten im 45er Tempo auflegen!
Schritt 4 jetzt schon nach ca.10 Minuten nötig, um die Platte umzudrehen.
Mehr Bewegung, aber als Belohnung ist der Musikgenuß um ein Vielfaches höher!
Hörempfehlung hier:
Dire Straits ,MFSL, 2 LP (180g), Limited Numbered Edition, 45 RPM
oder für die Bluesfreunde
Muddy Waters „Folk Singer“, Analogue Productions2 LP (180g), 45 RPM, Chess LPS-1483
Wer einmal auf dem Sofa ist – streamen und Bücher lesen geht natürlich auch völlig virenfrei.
Lesetipps für alle, die sich für den Blues, hier speziell Delta Blues und die Musiker interessieren:
Hidden History of Mississippi (ISBN 978-1-60949-219-9)
Mississippi Juke Joint Confidential (ISBN 978-1-467141574)
beide von Roger Stolle. Informative und kurzweilige Übersicht über die Blueszene und die Musiker im Delta garniert mit viel Insiderwissen.
Roger betreibt seit 2002 seinen Cat Head Store in Clarksdale und ist so etwas wie die Institution für das Thema Blues in und um Clarksdale bzw. Mississippi. Die Bücher können direkt bei Roger im Webstore bestellt werden und helfen damit beim Überleben in Corona Zeiten.
Genau zu diesen Thema passt auch meine Streaming-Empfehlung:
„Moonshine & Mojo Hands„, zehn extrem unterhaltsame Episoden über das Delta von und mit Roger Stolle (Cat Head) und Jeff Konkel (Broke & Hungry Records)
The Blues is a healer (John Lee Hooker) oder Es gibt eine Zukunft
You hold my very moment
You calm my raging seas
You walk with me through fire
And heal all my disease
I trust in You, I trust in You
And I believe You’re my healer
I believe You are all I need
I believe ….
Gute Nachrichten in Corona Zeiten:
22.April: Ladies & Gentlemen, all my friends and fans, my name is Bobby Rush. I want to thank you for your prayers, concerns and for all the ways you wished me well through Facebook and phone calls. I love you back. I’m up and well and ready to go. I talked to my doctor yesterday. He gave me the green light and good report. I’m well and up in spirit, physically and in mind. Thank you, thank you, thank you, all my fans. Stay in and sanitize…because it saves lives. – Bobby Rush
23.April: Völlig überraschend veröffentlichen die Rolling Stones einen neuen Song `Living in a Ghostdown`. Die Stones auf den Spuren der Specials. Warum nicht? Nach 8 Jahren endlich etwas Neues verbunden mit der Hoffnung auf ein neues Album.
24.April: Happy to report that Rev Wilkins has been moved to Step Down ICU, is off of the ventilator and breathing on his own. He still has a long road to recovery but is getting a little stronger day by day. Thank you all for your continued love, support and prayers. It has meant so much to Rev. Wilkins and his family. Let’s keep lifting him up to full recovery. Much Love and Appreciation to Everyone
Sind wir diszipliniert genug? Kommt eine zweite Welle ?
Alles vorüber im Herbst?
Die Verantwortlichen für das King Biscuit Festival (7.bis 10. Oktober) in Helena, Arkansasglauben wohl daran. Sie verkünden Mitte April ihr Festival Linup.
Bobby Rush ist dabei (sic!),Mavis Staples, The Allman Betts Band etc. Über 70 Musiker am Start. Klingt toll!
Seit Jahren bin ich dabei. Aber ich kann nicht glauben, dass bis Oktober die Welt wieder in Ordnung ist.
Und selbst sollte das Festival stattfinden – wie klug ist es, sich in die Höhle des Löwens zu begeben??
Kurzreviews aktuelle Alben der erwähnten Musiker:

`Mississippi Blend`
Ghalia Volts 2.Album, erschienen 2019 auf Ruf Records.
Produziert im Zebra Ranch Studio in Coldwater, Ms. Im Herzen der Hill Country Region, da wo R.L.Burnside und T-Model Ford ihre Alben aufgenommen haben. Begleitet u.a. von Cedric Burnside,Watermelon Slim, Cody Dickinson, Lightnin` Malcolm. Mehr Delta roots geht schon nicht mehr. Und so klingt das Album auch. Rauh und mit viel Drive geht Ghalia ans Werk. – Also einen tiefen Schluck aus der Moonshineflasche und ab auf den Tanzboden.

`Sitting on Top of the Blues`
Das mittlerweile 26.(!) Studioalbum von Grammy Winning Blues Legend, Blues Hall of Famer und Blues Music Award Gewinner (12x) Bobby Rush. Er ist damit einer der erfolgreichsten und bekanntesten Bluesmusiker aus Mississippi.
Legendär – aber auch ebenso umstritten – seine Live-Shows (einfach mal bei you tube suchen).
Zum Album: Kein Song länger als vier Minuten. Dabei zeigt Bobby Rush, dass er alle Varianten des Blues perfekt beherrscht.

Vom kraftvollen Auftakt mit dem autobiographischen`Hey Hey Bobby Rush (Vasti Jackson an der Gitarre), dem sparsam instrumentierten, rhytmischen `Good Staff` über den instrumentalen`Bobby Rush Shuffel` bis zum reinen Country Blues `Recipe For Love` (nur Stimme und akustische Gitarre). Rush beherrscht die Genres. Weiter mit `Slow Motion`- Bobby Rush kann auch Berry White – zum Funk `Shake `Til You Get It`. Etwas Chicago Style, eine Prise Southern Soul – ein abwechslungsreiches Album.



Foto 23), 24), 25)
`You Can`t Hurry God` – Reverend John Wilkens
2011 erschienen und bis heute leider das einzige Album des Reverends.
Aufgewachsen in Memphis, zeitlebens ein Kind des North Misssisippi Hill Country,
zelebriert John Wilkins auf diesem Album seinen Gottesdienst (seit den 80er Jahren ist Wilkins Pfarrer der Hunter Chappel Church in der Nähe von Como, quasi mitten im Herzland des Hill Country Blues). `You can`t hurry God`, `I want you to help me`,`Thank you Sir` – Soul, Gospel und Blues. Dazu `You got to move`(Fred McDowell) und `Prodigal Son`. Das bekannteste Stück seines Vaters Robert Wilkins. Den meisten wohl in der Interpretation der Rolling Stones (Beggars Banquet) bekannt. Alles einfach und mit unspektakulär Instrumentierung produziert.
Grundehrliche, berührende Stücke. Viel Gefühl!
Ersetzt garantiert den Gottesdienst in Coronazeiten, in denen zurzeit ja auch die Kirchen geschlossen sind.
Rolf Barkowski, Jahrgang 1950, hat mal Sozialwissenschaften & Germanistik studiert, ewiger Student; hat mal als Gerüstbauer, lange als Briefträger und ganz lange als Sozialarbeiter (offene Kinder-und Jugendarbeit) gearbeitet; ist musikalisch sozialisiert in den 60er Jahren mit den Stones und weißem Blues; hat im Alter den schwarzen Blues entdeckt; ist seitdem regelmäßig in Mississippi bzw. im Süden der USA unterwegs; fotografiert leidenschaftlich gerne; handelt im richtigen Leben seit 30 Jahren mit Antiquitäten und Kunst.
Seine Blues-Festival- und CulturMag-Texte hier.