Geschrieben am 16. August 2008 von für Comic, Crimemag

Rutu Modan: Blutspuren

Terror, Blut und Modder?

Ein Comic aus Israel, der Blutspuren heißt und mit einem Bombenattentat zu tun hat – alles klar, oder? Nein, ganz anders …. findet Thomas Wörtche.

Wenn Gewalt, Mord und Terror an der Tagesordnung sind wie im Alltag in Israel, dann geht auch die Kunst anders damit um, als sie es in Gesellschaften tut, an deren Oberfläche diese Schauderhaftigkeiten nicht so ubiquitär sind.
Die Comic-Künstlerin Rutu Modan aus Tel Aviv erzählt in ihrem „Autoren-Comic“ (Bilder und Szenario stammen von Modan) Blutspuren über einen Mann, der angeblich bei einem Bombenattentat ums Leben kommen ist. Bzw. dessen Anwesenheit am Ort der Explosion aus den spärlichen Häppchen menschlichen Gewebes und anderen Teilen nicht zweifelsfrei bestätigt werden kann. In klaren, kunstvoll reduzierten und präzisen Bildern schildert Rutu Modan – die man auch von dem spannenden Cargo-Projekt (Comic-Reportagen aus dem realen Israel, u.a. eben von ihr) kennt – die Suche nach diesem vielleicht toten, vielleicht verschwundenen Mann, die Rekonstruktion seiner letzten Minuten, die sein Sohn und eine junge Frau unternehmen. Die Frau, wegen ihres sehr eigenen Aussehens „Giraffe“ genannt, behauptet, die Geliebte des ominösen Gabriel Franco gewesen zu sein, was der Sohn nicht glauben mag. Sie möchte Gewissheit über Gabriels Tod, damit könnte sie leichter leben als mit dem Verdacht, von ihm verlassen worden zu sein. Der Sohn ist skeptisch, schließlich kennt er seinen Vater.

Die „Blutspuren“ bzw. die „Austrittswunden“ (laut dem englischen Titel), die die beiden untersuchen, erweisen sich dabei eher als psychische Verletzungen. Die Blutspur, die sich als alltäglicher Terror durch Israel zieht, ist in dieser graphic novel nicht Kulisse, sondern Voraussetzung. Sie ist Bestandteil von privatem Leben und sogar möglicherweise, grausig und zynisch gewendet, für Gabriel Franco die Möglichkeit, verschiedene Identitäten zu leben. Geschützt durch Leid und Elend, die ihm ein effektives Abtauchen erlauben, auf Kosten der Menschen, die ihn lieben. Psychische Gewalt ist eben auch kriminell.

Kluge Panels

Rutu Modan ist eine begnadete Erzählerin, die das Medium der Bildgeschichte virtuos beherrscht. Ihre Panels, die sich dehnen und zusammenziehen, im beinahe mittelalterlichen Sinn mit Bedeutungsproportionen arbeiten, und überhaupt strengstens auf Semantik hin angelegt sind, sind Wunderwerke der Gewichtung und Balance. Die Farben sind artifiziell, eher ästhetisch-optischen Erwägungen geschuldet, denn naturalistischer Mimikry. Und der Text ist so minimalistisch (und deutlich gelettert), dass eine schnelle und flüssige „Lesbarkeit“ garantiert ist. Klarheit und Transparenz der Graphik stehen so in schönster dialektischer Spannung zu der Story, die durchaus tricky ist. Als Liebesgeschichte (u.a. weil zwischen dem suchenden Sohn und der suchenden Geliebten des Vaters natürlich ein Liebesmatch beginnt) und als Kriminalgeschichte der subtileren Art. Dankeswerterweise ist Blutspuren nämlich kein Polit-Thriller-affines Teil, das uns mal so richtig erklärt, wie’s abgeht in Palästina …

Thomas Wörtche


Rutu Modan: Blutspuren (Exit Wounds, 2006). Graphic Novel. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Edition Moderne 2008. 166 Seiten. 28,00 Euro.