Geschrieben am 20. November 2010 von für Crimemag, Porträts / Interviews

SKI – Serie Krimi International

„Celik & Pelzer“

Ein interessantes Experiment: Zeitgleich zum Erscheinungstermin des Kriminalromans „Celik & Pelzer“ des Autorenduos Ulrich Noller und Gök Senin, kann man die erste von mehreren Hörspiel-CDs gleichen Titels erwerben – der Stoff der Geschichte scheint nur auf den ersten Blick der gleiche. Denn das Hörbuch (reinhören) – Ergebnis einer Kooperation mit dem WDR – war zuerst fertig, der Roman wurde im Nachhinein geschrieben. Ein Gespräch mit den SKI-Autoren von Christina Bacher.

Christina Bacher: Celik & Pelzer – ein ungewöhnliches Ermittlerduo: ein türkischer Exkommissar, der nach vielen Jahren nach Deutschland zurückkommt und dem das Land fremd geworden ist und eine deutsche Psychologin. Beide sind durch eine zunächst undurchsichtige Vergangenheit miteinander verbunden. Wie lange habt ihr über diese Konstellation nachgedacht, bevor ihr zu schreiben begonnen habt?

Gök Senin: Die Figuren und ihre Konstellation sind nach und nach gereift. Ab einem bestimmten Punkt ging es aber ziemlich schnell: Plötzlich hatten die Figuren klare Konturen. Und mit den Figuren war auch die Geschichte da. Erst als alles stand, haben wir mit dem Schreiben begonnen.

Christina Bacher: Ein ehemaliger RAF-Mann wird ermordet, ein Vierteljahrhundert später. Ihr entführt den Leser in das Milieu des Terrorismus im „Deutschen Herbst“ und zieht Parallelen zu den Vorkommnissen der damaligen Zeit in der Türkei. Ist euer Romandebüt ein politisches Buch?

Ulrich Noller: Als Genre-Einteilung eher nein, da die politischen Umstände nicht im Vordergrund stehen. Und weil wir ihnen auch nicht unsere zentrale Aufmerksamkeit widmen. Aber: Die Figuren beziehen immer wieder Stellung, auch politisch. Die Konstellation der Geschichte ist ohne die speziellen politischen Umstände in Deutschland und der Türkei nicht denkbar. Uns hat fasziniert, wie eine extreme zeitgeschichtliche Phase, in der auch die politischen Umstände extrem waren, Menschen prägen kann. Wie sie traumatisieren kann, wie sie das Zusammenspiel der Bürger beeinflussen kann. Wir lassen unsere Figuren diese Fragen aufwerfen und diskutieren.

Christina Bacher: Celik & Pelzer, Noller & Senin – gibt es da autobiografische Bezüge zu eurer Autorenschaft? Ulrich Noller kommt aus dem Allgäu, Gök Senin ist in Köln geboren. Wer von Euch beiden begreift sich mehr als Fremder im Rheinland?

Gök Senin: Nein, autobiografische Bezüge gibt es nicht. Wohl aber spielen biografische Beobachtungen und Erlebnisse in den Roman rein. Was von wem kommt, ist dabei nicht genau auszumachen. Die Geschichte ist in jeder Hinsicht eine Gemeinschaftsproduktion. Die Frage nach dem Fremden lässt sich da auf den ersten Blick eindeutiger beantworten: Ich bin durch und durch Kölner, Ulrich Noller kommt aus den Abgründen der Berge. Aber tatsächlich haben wir uns diese Frage gar nicht gestellt. Das Fremdsein oder Fremdfühlen ist ja ein Phänomen, das sich nicht auf einen geografischen Raum beziehen muss. Es ist eher eine emotionale Positionierung.

Christina Bacher: Der Eichborn-Verlag wagt mit dem Buch einen außergewöhnlichen Versuch: Dem Buch voran ist ein sechsteiliges Hörbuch produziert worden– Ihr habt entgegen der normalen Praxis also das Buch erst nach dem Hörbuch geschrieben. Wie war es für Euch als Autorenduo, dieselbe Geschichte in zwei so unterschiedlichen Medien zu erzählen?

Gök Senin: Das war ein sehr spannender Prozess, der uns einige wunderbare Freiheiten erlaubt hat. Wir hatten die Geschichte ja schon gebaut und erzählt. Mit der Möglichkeit, sie zu einem Roman zu erweitern, konnten wir viel mehr ausprobieren und hinzufügen. Es ist ein wenig so, als würde man nach einer Fahrt über die Autobahn die gleiche Strecke nun auf faszinierenden Nebenstrecken zurücklegen; mit neuen Aussichten und Eindrücken. Das Ziel bleibt das gleiche, aber der Weg dorthin verändert sich. Uns hat es jedenfalls viele wunderbare Momente beschert, in denen wir diese neuen Strecken ausgekundschaftet haben.

Christina Bacher: Für die SKI-Hörbuch-Reihe habt Ihr fünf weitere Autoren eingeladen, die Geschichte mit denselben Figuren weiterzuerzählen. Eine Folge spielt auf Amrum, eine andere in Berlin, einmal reisen die Hauptfiguren in die Schweiz. Ganz schön großzügig, die eigenen Figuren zu verleihen. Seid Ihr zufrieden mit den sehr unterschiedlichen Ergebnissen?

Ulrich Noller: Sehr sogar. Die Figuren waren anscheinend so stark und die Autoren so gut, dass Celik und Pelzer ihre jeweiligen Charaktere durch alle Folgen durchziehen und auf plausible Weise entwickeln.  Trotz der sehr unterschiedlichen Ansätze und Geschichten bleiben sie glaubwürdig und authentisch.

Christina Bacher: Das Urbane ist letztlich wichtiger für das Buch als der Handlungsort Köln, der im Grunde gar nicht genannt wird. Habt Ihr was gegen die Schublade „Köln-Krimi“? Oder ging es Euch eher um das, was die Großstadt mit einem Menschen machen kann?

Gök Senin: Diese Schublade wäre uns zu klein und zu eng; abgesehen davon, dass Schubladen sowieso ihre Nachteile haben, weil: Grenzen haben. Also: „Celik und Pelzer“ ist ein zeitgenössischer Großstadtroman, aber eindeutig kein Köln-Krimi. Keine Heimat-Literatur, sondern Literatur. Der Roman thematisiert in keinster Weise spezielle Kölner Orte.

Ulrich Noller: Die Stadt wird im Roman auch kein einziges Mal namentlich genannt. Wohl aber ist diese Stadt als urbaner Raum für die Geschichte sehr wichtig. Die Geschichte entwickelt sich – auch – über diesen urbanen Raum, in dem sie angesiedelt ist. Darin spiegelt sich der Stand der Gesellschaft, ihre Entwicklung, ihre Perspektive. Und Celik – der sich sehr oft durch diesen urbanen Raum bewegt – registriert vieles, beobachtet, vergleicht und übt damit auch ein Stück Gesellschaftskritik. Die Geschichte hätte auch in jeder anderen deutschen Großstadt spielen können.

Christina Bacher: Interessant ist auch Uhlmann, der heimliche dritte Protagonist des Buches. Er ist Autist, obwohl er sich alles merken kann, kann er mit seinem Wissen wenig anfangen. Erst Celik & Pelzer nutzen seine Informationen, um ihren komplizierten Fall aufzulösen. Kennt Ihr persönliche sogenannte „Savants“? Inwiefern darf man bei einer solchen Figur seiner Fantasie freien Lauf lassen.

Gök Senin: Nein, persönlich kennen wir keine. Aber alle im Roman erscheinenden Savants haben reale Vorbilder. Trotzdem: Als Autor hat man alle Freiheiten der Welt, seine Figur nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Auch das macht die künstlerische Freiheit aus. Und die ist bei einer literarischen Geschichte grenzenlos. Natürlich haben wir recherchiert, uns wissenschaftliche Details angelesen, Gespräche geführt. Aber all das hat bei uns eher eine Art Fundament geschaffen. Und darauf haben wir uns dann sehr selbstbewusst und frei bewegt. Deshalb sind die Savant-Figuren – bei aller Analogie ihrer Fähigkeiten – in ihrer Ausgestaltung frei erfunden.

Christina Bacher: Celik hat seine Frau und seinen Sohn verloren, seine Mutter liegt im Koma. Pelzer hat ihre Eltern nie gekannt, Uhlmann lebt abgeschottet in seiner eigenen Welt. Alles einsame Figuren auf der Suche nach etwas Unbestimmten. Werden sie (teilweise) fündig?

Ulrich Noller: Ja, es sind tatsächlich einsame Figuren, die in ihrem Leben schwer traumatisiert wurden. Celik und Pelzer beschäftigen sich – neben den Ermittlungen zum Fall – immer auch mit sich selbst und ihren eigenen Geschichten. Deshalb sind diese speziellen Familienkonstellationen auch ein zentrales Thema des Buches. Abgesehen davon, passt das auch zu der Gesellschaft, in der die Geschichte angesiedelt ist: Fast jede Familie – und damit die ganze Gesellschaft – ist in Deutschland durch Geheimnisse, Albträume, offene Fragen geprägt, als Folge der Zeit der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges. Das prägt das ganze Land, viel mehr vielleicht, als wir uns heute bewußt machen. Aber so viel sei verraten: Wenigstens einer der offenen Kreise schließt sich am Ende des Buches.

Christina Bacher: Vielen Dank für das Gespräch.

Ulrich Noller/Gök Senin: Çelik & Pelzer. Roman. Frankfurt am Main: Eichborn 2010. 222 Seiten, 16.95 Euro.

Ulrich Noller/Gök Senin/Merle Kröger: Çelik und Pelzer / Leever dood as slaav. Hörbuch. Sprecher: Matthias Kiel, Lilia Lehner, Hilmi Sözer. 2 CDs. Frankfurt am Main: Eichborn 2010. Circa 138 Minuten. 16.95 Euro.
Zur Hörprobe des Hörbuchs.
Foto: Irene Kliever