Geschrieben am 1. Dezember 2019 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2019

Sonja Hartl zu Ronan Farrows Harvey Weinstein-Buch

Systemisches Schweigen 

„Durchbruch“ ist der Titel der deutschen Übersetzung von Ronan Farrows Buch „Catch and Kill“, in dem er von seiner Arbeit zu den Gewaltvorwürfen gegen Harvey Weinstein erzählt. Er verwundert aus zwei Gründen: sicherlich wurde das jahrzehntelange Schweigen über die Taten Weinsteins und zahlreicher anderer, überwiegend US-amerikanischer Männer gebrochen, aber ob damit tatsächlich ein ‚Durchbruch‘ in dem Umgang mit sexualisierter Gewalt und der Berichterstattung erzielt wurde, ist angesichts des eintretenden backlash und der bisher noch abzuwartenden juristischen, gesellschaftlichen und persönlichen Folgen noch zu bezweifeln. Zudem bezieht sich der Originaltitel „Catch and Kill“ auf einen Begriff aus dem Boulevardjournalismus: eine Story wird gekauft, um sie zu unterdrücken. 

In Farrows Buch ist damit konkret das Gebaren von AMI, der Muttergesellschaft u.a. des National Esquirer gemeint, die während des Wahlkampfs von Donald Trump gezielt Geschichten über Trumps Affären aufgekauft haben, um deren Publikation zu verhindern. „Im Laufe der Jahre hatte das Medienimperium mit Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, Tiger Woods, Mark Wahlberg und unzähligen anderen ähnliche Abkommen über die Unterdrückung von Gerüchten geschlossen“. Doch im Falle Donald Trumps erwächst hieraus eine ungeheure Macht eines Medienunternehmens über den Präsidenten der USA. 

Das ist – wie Farrow anmerkt – „ein extremes Beispiel für das Potenzial der Medien, nicht mehr als unabhängige Berichterstatter zu fungieren“. Ein anderes hat er selbst im Zuge seiner Recherchen zu Harvey Weinstein erlebt: die frustrierenden Versuche seines damaligen Arbeitgebers NBC, seine Recherchen zu Harvey Weinstein und dessen System der sexualisierten Gewalt sowie Stillschweigevereinbarungen auszubremsen. 

Hierin liegt ein bemerkenswerter und wichtiger Unterschied zu dem Buch von Jodi Kantor und Megan Twohey über ihre Arbeit zu Weinstein: Kantor und Twohey hatten mit der New York Times einen Arbeitgeber, der Einschüchterungsversuchen von Anwälten, Vertrauten und Weinstein selbst abgeblockt hat, der nicht nachgegeben hat – und sie hatten einen Herausgeber sowie Redakteure im Rücken, die ein Interesse daran hatten, diese Geschichte aufzudecken. Den Verantwortlichen bei NBC fehlte diese Courage, das Rückgrat – sehr wahrscheinlich auch, so legt es Farrows Buch nahe, weil in den Führungsetagen und auf prominenten Sendeplätzen Männer saßen, die Frauen ebenfalls sexuelle Gewalt zugefügt haben und die gewohnt waren, dass sie mit diesem Verhalten durchkamen. 

Lange Zeit hat Farrow nicht verstanden, warum sein Arbeitgeber seine Geschichte abblockt, immer wieder hatte er Hoffnung, er würde sie noch bringen. Bis heute sagen die Verantwortlichen bei NBC, dass Farrow keine ausreichenden Belege hatte, als er die Story dort präsentierte. Auch sei ein Zufall, dass zum Beispiel Noah Oppenheimer, der als Student anti-feministische Artikel schrieb und nun Präsident von NBC News ist, eine Flasche Wodka von Weinstein bekam, nachdem dieser gehört hatte, dass Farrow auf dessen Geheiß nicht mehr weiter machen darf. 

Das ist nur ein Beispiel, Farrows Buch enthält unzählige weitere verdächtige Zufälle, Hinweise und Merkwürdigkeiten – im Großen wie im Kleinen. So konnte Hillary Clintons PR-Berater keinen Termin für ein längst zugesagtes Interview mit Farrow finden, nachdem durchsickert war, dass er an einer Geschichte zu Weinstein arbeitet – einem damals wichtigen Unterstützer der demokratischen Partei und Hillary Clintons. Das NYPD war überzeugt, ausreichend Beweise für ein Ermittlungsverfahren gegen Weinstein in der Hand zu haben, der zuständige Staatsanwalt, der im Wahlkampf Spenden von Weinstein und Männern seiner Firma erhalten hat, hat es aber einstellt. 

Farrows Buch zeigt immer wieder, wie weit die Verstrickungen reichen – zwischen Hollywood, Medienunternehmen, Anwälten und Politikern. Es sind weit überwiegend Männer, die zusammenhalten, dieselben Veranstaltungen besuchen, in den selben Kreisen verkehren, dieselben Anwälte beschäftigen, die wiederum sicherstellen, dass Frauen schweigen. Es ist ein starkes, widerständiges Netzwerk: Viele der im Buch Genannten streiten bis heute jegliches Fehlverhalten ab und haben ihre Posten. Noah Oppenheim beispielsweise, ist weiterhin der Präsident von NBC News.

Die Widerstandsfähigkeit und Stärke dieses Netzwerks beruhen nicht zuletzt auch darauf, dass Kontrollmechanismen versagen – in diesem Fall: die Presse. Ein sehr wichtiger Teil der Weinstein-Story, ein wichtiger Aspekt von #Metoo ist das jahrelange Schweigen. Immer wieder wurden Reporter und Herausgeber unter Druck gesetzt und bedroht, wurden zum Schweigen gebracht, so dass Berichtsversuche unterdrückt wurden. Aber nicht von einzelnen Männern: Wer gegen das Schweigen verstoßen hat – ob ein Opfer oder ein*e Journalist*in – legte sich mit dem gesamten Netzwerk an. Einem Netzwerk, in dem beispielsweise private Sicherheitsunternehmen wie Black Cube empfohlen, das Agenten auf potentielle Quellen angesetzt, Reporter ausspioniert und bedroht (Kantor und Twohey erzählen auch von dieser Firma). Rose McGowan wurde gezielt von einer Agentin kontaktiert, der es unter falscher Identität gelang, ihr Vertrauen zu gewinnen. Es gibt immer wieder Passagen in diesem Buch, die für einen fiktiven Thriller schon übertrieben erscheinen. Aber es ist ein Sachbuch – und das macht es umso beängstigender. Denn es gibt einen weiteren wichtigen Unterschied: Mit Netzwerk ist keine mafiöse Organisation gemeint, es gibt keine geheimen Treffen von dunkel gekleideten Männern. Es beruht auf einem über Jahrhunderte gewachsenen Einverständnis darüber, was Männer tun dürfen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen werden. Es ist systemisches Schweigen. 

Indem Farrow auch Bezüge zu Trump herstellt, wird noch einmal deutlich, wie fest misogynes Verhalten in der (US-amerikanischen) Gesellschaft verankert ist. Zudem ist „Durchbruch“ eine Erzählung, wie er selbst zu dem Reporter wurde, der er jetzt ist. Immer wieder betont er, dass es in der Geschichte aber eigentlich um die Frauen gehen sollte, die dem Druck standgehalten und ihr Schweigen gebrochen haben. Das ist Kantor und Twohey in ihrem Buch besser gelungen, sicher auch, weil sie nicht dieselbe persönliche Prominenz haben wie Farrow. Er weiß, dass er nicht über sexuelle Gewalt schreiben kann, ohne über seine Schwester Dylan Farrow zu schreiben. Sie hat ihren Vater Woody Allen beschuldigt, sie missbraucht zu haben. Er streitet das ab. Weinsteins Firma hat Allens Filme vertrieben – und das wollte Weinstein nutzen, um Farrow persönliche Motive zu unterstellen. Daher Farrow ist ebenso hartnäckig wie die NYT-Journalistinnen, als Sohn von Mia Farrow und Woody Allen steht er aber nicht nur außerhalb dieses Systems, sondern bewegt sich innerhalb. Deshalb ist er insgesamt als Person deutlich präsenter in diesem Buch, er hatte durch persönliche Kontakte auch andere Zugänge. Dennoch wird sehr klar, dass ein prominenter Name nicht vor Bedrohungen schützt, außerdem hat Farrow letztlich seinen Job bei NBC verloren, weil er an dieser Geschichte dranbleiben wollte. 

Vielleicht ist es diese Prominenz, die dazu beigetragen hat, dass dieses Buch sehr kurz nach der Veröffentlichung in den USA bereits in einer deutschen Übersetzung vorliegt – leider mit allerhand Flüchtigkeitsfehlern – aber es bleibt zu hoffen, dass auch Kantors und Twoheys Buch noch übersetzt wird. Denn eines macht auch Farrows „Durchbruch“ wieder sehr deutlich: Harvey Weinstein ist lediglich ein sehr prominentes Beispiel für ein durch und durch korruptes und kaputtes System, das weiterhin Bestand hat. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, es sei schon viel gewonnen. Weinstein kann sich weiterhin in New Yorker Clubs feiern lassen, die juristische Auseinandersetzungen steht noch an. Dass immer mehr Frauen über Trumps sexualisierte Gewalt berichten, spielt kaum eine Rolle. Deshalb brauchen wir immer noch mutige Männer und Frauen, die jeden Tag Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen standhalten, die weiter kämpfen, damit sich etwas ändert. Erst dann wird es wirklich einen Durchbruch geben. 

Sonja Hartl

  • Ronan Farrow: Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen. Übersetzt von Werner Schmitz; Henning Dedekind; Katja Hald; Heide Lutosch; Hans-Peter Remmler; Antoinette Gittinger; Norbert Juraschitz; Helmut Dierlamm; Heike Schlatterer; Astrid Gravert. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 528 Seiten, 24 Euro.

Tipp: Ronan Farrow hat nun auch einen Podcast zu seinem Buch gestartet, in dem er abermals mit den Frauen spricht und diese Interviews mit Aufnahmen verbindet, die während seiner Recherchen entstanden sind.


Tags : , ,