Geschrieben am 18. Oktober 2008 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Tatort Türkei

Vorsicht: Wahrnehmungs-Routine

Die Türkei ist Gastland der diesjährigen Buchmesse. Deswegen interessiert man sich auch gerade für den türkischen Kriminalroman. Doch Achtung, so einfach ist es in diesem Fall mit den üblichen Wahrnehmungs-Routinen nicht abgetan. Ein eher misstrauischer Einwurf von Thomas Wörtche

In memoriam Julian Rathbone
10. Februar 1935 – 28. Februar 2008

Putsch & Polizei

Major Tufan ist türkischer Polizist. Oder Mitglied eines anderen Dienstes seines Landes. Oder beides. Major Tufan ist vornehmlich undurchsichtig und zweckrational, keinesfalls irgendwie mit ideologischen Scheuklappen versehen. Letzteres macht ihn nicht unbedingt zu einem besseren Menschen, au contraire. Aber als solcher hätte er auch nichts zu suchen in einem Roman von Eric Ambler. In The Light of Day, bei uns besser bekannt als Topkapi, ist Major Tufan derjenige, der den kleinen, fetten, miesen und wunderbaren Arthur Abdel Simpson für seine Zwecke instrumentalisiert. Das war 1962.

1967 – also sieben Jahre nach dem Militärputsch und nach vier Jahren wackliger Zivilregierung (Bajonett-based, klar) – spricht ein naher Verwandter von Tufan also: „An erster Stelle kommt meine Familie, dann die moderne Türkei und dann die Religion meiner Väter. Vielleicht ist das die konventionelle Weisheit, aber die Sache funktioniert.“ Nur Aslan heißt der Mann, ist ein hoher türkischer Polizeioffizier und die heimliche Hauptfigur des Türkei-Quartetts, mit dem Julian Rathbone 1967 seine Karriere als Thriller-Autor begonnen hat: Diamond Bids, Trip Trap, Hand Out und With My Knives I Know I´m God (gab es alle auf Deutsch, bei den grandiosen Mitternachtsbüchern von Desch, den letzten dann noch mal irgendwann später bei Piper). Undurchsichtig ist auch Nur Bey. Korrupt eher nicht, aber mit Korruption haben Rathbones Bücher grundsätzlich zu tun: moralisch und materiell. Wer jetzt Rassismus! schreit und Vorurteil! und den bösen nordeuropäischen Blick auf die Türkei beschwört und am liebsten noch auf „Beitrittsgegner“ tippt und dann auch darauf hinweist, dass weder Ambler noch Rathbone selber Türken sein (ach?!), sei auf eines der vielen Interviews verwiesen, die der gebürtige Türke Celil Oker zum Thema „Polizei-in-türkischen-Kriminalromanen“ gibt.

Privatdetektive

Es hat schließlich Gründe, warum in Okers Privatdetektivromanen keine Polizei vorkommt. Und zwar ganz lauthals nicht. Was natürlich zunächst mit dem Thema „Polizei-in-der-türkischen-Realität“ zu tun hat – außer die ist einem schnurzegal wie einer Jenny White in ihren Historienschinken. Die türkische Polizei, to make a long story short, ist keine nette Truppe; ihre Methoden sind nicht nett, ihre corporate identity auch nicht. Vielleicht gibt es ja noch nicht übersetzte türkische KriminalautorInnen, die nette Geschichten von netten türkischen Polizisten schreiben und sich auch noch so in der Realität auskennen, dass sie in der Tat schon mal welche getroffen haben. Wobei nett natürlich nicht nett zu Tieren meint, oder so …. Auf jeden Fall sind mir liebenswerte türkische Bullen suspekt, wenn sie – zum ersprießlichen Gelderwerb? – von Designer-AutorInnen geschnitzt werden. Barbara Nadels Inspektor Ikmen zum Beispiel, der nichts anderes ist als eine Brunetti-Ableitung und halt in der Türkei umgeht, weil Brunetti schon in Venedig haust. Aber irgendein TUI-Ziel sollte es schon sein. Ähnlich schauderhaft brav und bieder und somit zutiefst ideologisch führt sich Kommissar (na, was nun? Kommissar? Inspektor? Könnte man wissen, wie das ist, in der Türkei, oder?) Özakin, dessen Erfinderin trotz (naja?) ihres Namens Hülya Özkan auf Deutsch schreibt. Was diese Herrschaften machen ist gröbste Realitätsbeugung, allerdings ohne die Entschuldigung, Märchen geschrieben zu haben, die sowieso anders funktionieren würden. Nein, man will über „die Türkei von hier und heute“ geschrieben haben, denkt aber, beim Grimmi kommt es eh nicht drauf an. Da finden wir dann auch notfalls und versehentlich totalitäre Polizeiarbeit ganz toll. Jo … aber so fies drauf bin ich nicht, dass ich auf die Idee käme, Grimmis über nette Gestapo-Mitarbeiter und ihre putzigen Familien könnten sich ähnlich anfühlen …

Unfug in Badewannen & anderes dummes Zeug

Aber wenn wir schon bei dem ganzen Unfug sind: Grobblöder wie das pseudofeministische Geplappere von Kati Hirschel, der Heldin des deutsch-türkischen Designerprojekts von Esmahan Aykol, geht’s vermutlich nicht mehr. Die Abenteuer einer deutschen Krimibuchhändlerin in Istanbul – meine Fresse! –, die Morde aufklärt, die mittels Fön und Badewanne zustande gekommen sind – meine Fresse! –, sind schon so unsagbar dooof, dass es gar nicht mehr auffällt, wie apart es ist, dass die Heldin nicht mit einem türkischen Bullen ins Bett geht, weil der vielleicht ein Macho ist ….

Und dann muss man sich schon gar nicht spulen, wenn der Ethno-Bonus (Türkei & Türken = exotisch, hier wie dort) zu debilen Schwulenwitzchen und anderen angeblichen „Tabubrüchen“ verleitet, die man dann als Ethno-Komik verbuchen kann: Osman Engins Tote essen keine Döner ist so ein trauriger Fall – das finden Leute gut, die komisch und witzisch ihr Leben lang nicht unterscheiden können werden.

Nun ja, Major Tufan und Nur Bey hätten nur leise ihr Haupt geschüttelt. Sie warten bis heute auf einen Kollegen, der von einem türkischen Schriftsteller (egal welchen Geschlechts) erfunden wird. Elegant, maliziös, gerne auch moralisch indifferent, aber vor allem – bitte! – intelligent. Wir anderen warten auch …

Thomas Wörtche
Diesen Text (und viele, die viel netter sind, mehr) können Sie auch in dem von der wunderbaren Christina Bacher herausgegebenen „Kalender für Kriminalliteratur 2009“ finden, der unter dem Motto „Tatort Türkei“ im Daedalus Verlag erschienen ist.