Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Thomas Wörtche über das neue Buch von Sara Gran

Die fröhliche Anarchistin

Ein eigenes Universum hat Sara Gran in bisher zwei Romanen für ihre Figur Claire DeWitt, „die beste Detektivin der Welt“ gebaut – so auch hier, im dritten Buch um die gewaltaffine, sexuell autonome und drogenimprägnierte Ermittlerin: „Das Ende der Lügen“. 

Claire DeWitts Welt wird von Rätseln bestimmt und von deren Lösung, wobei es nur einen einzigen Parameter gibt: Die Wahrheit, die man niemals finden wird. Aber genau dieser Wahrheit ist alles detektivische Streben und Handeln verpflichtet, nichts anderem. Das ist natürlich eine extreme epistemologische Stilisierung und gleichzeitig die radikale Ablehnung aller biederen und spießigen Postulate nach einem abbildenden Realismus. Ihre Welt wird dominiert von konkurrierenden Detektivinnen und Detektiven, die Jean Riesling heißen oder Constance Darling, ihre Strukturelement sind die Fälle, die zu lösen sind: Der „Fall der Welken Rosen“, die „Spur der Uralten Sünde“, die „HappyBurger Morde“ oder der „Fall des Smaragdgrünen Pfaus“.  

Sinnstiftung und eine weiße Maus

Auch die sinnstiftenden Großnarrative dieser DeWitt-Welt sind eher absurde Travestien sinnstiftender Großnarrative. Da ist einmal „Détection“, die arkane Schrift von Jacques Silette von 1959, ein 123 Seiten kurzes Buch „über alles“, in dem der Vordenker und gescheiterte Meisterphilosoph aller Detektion, die Welt im Namen der Wahrheit derart enträtselt, dass sie am Ende total verrätselt bleibt. Das Detektiv-Genie Silette konnte alle seine Fälle lösen, bis auf den, der ihn persönlich betroffen hatte – das spurlose Verschwinden seiner Tochter Belle.

Das zweite Großnarrative ist das in winziger Auflage erschienene und inzwischen fast völlig verschwundene „Cynthia Silverton Mystery Digest“, eine Mischung aus Comic, True Crime und Cynthia-Silverston-Kurzgeschichten für Teenager-Detektive. Als Fans dieser Heftchen wurden nämlich die junge Claire DeWitt und ihre Freundinnen Kelly und Tracey schon früh in den 1980er in Brooklyn Detektivinnen, bis Tracey eines Tages spurlos verschwunden war.  Und tatsächlich wird erst der „Fall des unendlichen Asphalts“ („The Infinite Blacktop“ ist der Originaltitel des Buchs) Sara Grans kompositorische Meisterleistung sichtbar machen, mit der sie in wunderbarer literarischer Logik Silette, Cynthia Silverston und Claire DeWitt „sinnhaft“ zusammenführt. Das heißt aber auch, dass „Sinn“ bei Sara Gran eine literarisch-ästhetische Qualität ist und keine irgendwie auf irgendeine außerliterarische Realität gerichtete Konzeption: Dass im Jahr 2011, der Jetztzeit des Romans, jemand versucht, Claire DeWitt umzubringen, hat letztendlich mit den Entwicklungen seit den 1980er Jahren zu tun und mit dem Fall eines seltsamen Malers, um den sich DeWitt im Jahr 1999 kümmert. Zeit ist ein fließendes, löchriges Kontinuum – auch da liegt der Schlüssel zur Wahrheit, die dunkel bleibt, in einer Art „Alice-in-Wonderland“-Passage, die ein Cynthia-Silverstone-Mystery ist. Nicht, dass man sich darüber wundern würde, in einem Universum, in dem sich Claire DeWItt völlig plausiblerweise mit einer weißen Maus unterhält, die mit dem Werk Jacques Silettes vertraut scheint, denn Sara Gran kündigt methodisch immer wieder die Hierarchien von Realitätsebenen auf, Visionen, Halluzinationen, drogen- und alkoholinduzierte Rauschzustände haben den gleichen Stellenwert wie robuste Gewaltausbrüche oder kühle Analysen.

Produktives Paradox

Silette würde sagen, alles passiert, „um zu beweisen, dass es keine Lösung gibt“. Das ist ein Paradox des Buches, denn natürlich klärt DeWitt alle ihre Fälle auf – aber Paradoxa sind nun einmal die Quintessenz von Sara Grans DeWitt-Romanen. Das sagt natürlich auch etwas über den Status, den das Genre für Sara Gran hat, und warum sie das Nachdenken über Sinn und Zweck von Kriminalliteratur in unendliche Schleifen treibt – delirant, halluzinativ, robust, spannend, mysteriös, unterhaltsam und virtuos. Gran befreit den Kriminalroman von der Bürde, Transmissionsriemen für Thesen, Ideologeme, politische Standpunkte und andere Gewissheiten über den Zustand der Welt sein zu müssen. Ihre radikale Literarisierung des Kriminalromans stellt ihn in Frage, in dem sie das Schema „Fall und Aufklärung“ in seiner ganzen artifiziellen Überhöhung als den Punkt sichtbar werden lässt, an dem neuralgischerweise die verschiedenen ordnungspolitischen Dogmen, egal welcher Couleur, andocken können. Und das Ganze natürlich by doing. „Kritik der Poesie und Poesie in einem“, könnte man Friedrich Schlegel variierend sagen. Insofern ist Sara Gran vielleicht die letzte Romantikerin des Genres, auf jeden Fall aber die fröhliche Anarchistin, die dem Kriminalroman Raum zum Atmen gibt.

  • Sara Gran: Das Ende der Lügen (The Infinite Blacktop, 2018). Deutsch von Eva Bonné.  Heyne Hardcore, München 2019. 347 Seiten, 16 Euro.

Mehr zu Sara Gran bei CrimeMag. Darunter auch ihre exklusive Weihnachtsgeschichte.
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