
München Blues
Geht doch – Thomas Wörtche freut sich über Bewegung im Kriminalroman
Ein bisschen Kafkas „Prozess“ weht einen schon bei Franz Doblers „Ein Schuss ins Blaue“ an, dem dritten Roman um den zum Privatdetektiv gewordenen Ex-Polizisten Fallner. Kafkas Josef K. wird ohne ersichtlichen Grund verhaftet, die Agentur von Fallners Bruder, für die der Ex-Cop arbeitet, bekommt einen Auftrag ohne sichtbaren Auftraggeber und ohne genaueres Operationsziel, bis auf den vagen Hinweis auf einen islamistischen Terroristen, der sich in München etabliert haben soll und aus dem Verkehr gezogen werden muss. Dafür allerdings sind zwei Millionen Euro ausgelobt. Fallner selbst wird von einem undurchsichtigen und anonymen Angebot überrascht, sich als Hitman ein Zubrot zu verdienen. Bietet Kafkas „Prozess“ schon die negative Blaupause für Kriminalromane (solche mit Ermittlungsthemen), dann ist „Der Schuss ins Blaue“ eine nochmals verdrehte Variante davon. Für literaturpolizeiliche Buchhalter, die einen „sauberen Plot“ (was immer das sein mag) verlangen, der pure Alptraum – und deswegen extrem erfreulich.
Aber natürlich gibt es einen sehr robusten und aktuellen Plot – der hat etwas mit der Polizei, dem Ku-Klux-Klan und somit mit dem NSU zu tun, mehr spoilern geht nicht -, aber den baut Dobler elegant in seine und Fallners vielfältigen Reflexionen über das Dasein ein, frei nach dem Motto des Romans von Danny Dziuk: „Der Geist ist aus der Flasche und der macht, was er will.“
Das Dasein aber ist popkulturell strukturiert – das geht geschmackssicher und kompetent von Albert Ayler und Miles Davis bis zu Dirty Harry und den Sopranos. Denn die Welt ist bei Dobler nicht einfach abbildbar, was wir sehen und bemerken, ist schon immer kulturell vermittelt. Es macht einen Heidenspaß, dieses Prinzip von Franz Dobler vorgeführt zu bekommen.
Und dann ist da auch noch München. Das München, das ehemals leuchtete und jetzt in den Mühlen des Neoliberalismus zu verschwinden droht, wenn da nicht ein paar hartnäckige, manchmal charmant-obskure und kratzbürstige Widerstandsnester blieben. Das München, dessen Chronist neben Friedrich Ani eben Franz Dobler ist. München Blues.
An diesen Stellen ist „Der Schuss ins Blaue“ aber auch samtpfötig knallhart: Gentrifizierung, Exklusion des und der „Anderen“, Verschiebung des politischen Klimas nach rechts, das sind Subtexte, die ganz selbstverständlich mitlaufen.
„Der Kriminalroman“ ist für Dobler ein sehr flexibles literarisches Konzept, das keine Probleme mit lyrikartigen Einschüben oder nicht-narrativen Passagen hat, so etwa einem genialen, wenn auch jederzeit zu ergänzenden und unbedingt zu unterschreibenden Alphabet der „Ängste“ (und Neurosen) von ABC-Schütze bis Ziegenpeter.
Geht nicht, im „Krimi“? Geht natürlich, wenn nicht auch nicht im Standard-Krimi, aber in den Kriminalromanen von Franz Dobler. Das Genre bewegt sich doch.
10/2019 Thomas Wörtche
- Franz Dobler: Ein Schuss ins Blaue. Tropen, Klett/Cotta, Stuttgart 2019. 283 Seiten, 20 Euro.