Geschrieben am 14. Dezember 2013 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Tobias Gohlis … für Frank Göhre

Tobias GohlisAls ich zum ersten Mal Frank traf, war ich noch nie im Puff gewesen

Von Tobias Gohlis.

Wenn Frank Göhre auftritt, dann erblickt man einen großen kräftigen Mann. Wer Geister sehen kann, sieht hinter ihm noch einen kleinen zarten dunkelhaarigen mit dem gleichen Initialen FG. Das steht für Friedrich Glauser.

Neben der Verehrung für den Stilisten und Schriftsteller Glauser war es Göhres tiefe Empathie mit den Armen, Geschlagenen, mit den Außenseitern und Umhergetriebenen, die ihn auf Glauser stoßen und an ihm festhalten ließ. Eine Wurzel finden, umgehen mit der Heimatlosigkeit – so könnte man die Motive benennen, die sein literarisches Werk bestimmen. Göhre wurde 1942, also noch im Krieg, im böhmischen Tschetschen geboren, vielleicht liegt da eine der Wurzeln seiner eigenen Suche nach Geborgenheit.

Schon der kaufmännische Lehrling Göhre suchte gern die Kaschemmen und Treffs der Unterweltler auf, denen sein Lehrherr Sicherheitssysteme verkaufte, und lauschte den Kleingangstern und Nutten. (Linz 2009, Einführung zur Lesung mit Arne Dahl, David Peace und Frank Göhre)

Hamburg 1990. Frank wohnte damals nicht weit von mir, sozusagen um die Ecke, in der Nähe seines Lieblingsbuchladens. Hans Herbst soll sich auch in dem Quartier aufgehalten haben, und ein paar Straßen weiter hatte ein Anwalt seine Kanzlei, von dem das Gerücht ging, der riesige Immobilienbesitz seiner Familie sei durch Arisierung entstanden.

Ich schrieb damals unter diversen Pseudonymen für die Hamburger Journalistenschulen. Das waren die Hamburger Rundschau, die ehrlich war, ideenreich und arm; die Welt, die besser zahlte und deren Redakteure, jedenfalls im Kulturbereich, nicht zu dem Konzern passten, dessen Enteignung ich einst gefordert hatte; die taz Hamburg, bei der Zustände herrschten, wie ich sie mir bei Bild vorstellte, und die Szene. Hamburg war neu für mich. In St. Pauli hatte ich gerade mal zwei Kontakte. Manchmal gingen wir zu einem Chinesen im Souterrain auf der Reeperbahn essen. Wir kamen meist vom Sonntagsspaziergang in Oevelgönne und amüsierten uns über die Kinderschar, die in bonbonfarbenen Chinesenkinderkleidern um den Wok wuselten, während wir geröstete Ente aßen. Der andere Kontakt war eine Punkerin, die ihren miesen Lohn als Friseurin aufbesserte, indem sie nach Feierabend in ihrer Wohnung an der Ecke Silbersack/Reeperbahn Privatkunden betreute.

„Der Tod des Samurai“ war gerade erschienen, der zweite Band von Franks Kieztrilogie. Ich hatte die Kulturredakteurin Kläre W., eine dominant auftretende Opernliebhaberin, von meinem Projekt überzeugt: eine Reihe mit Porträts Hamburger Krimiautoren. Sie erschienen 1990, für den Neuhamburger, der ich war, wurde die Recherche eine Besichtigungstour durch Autoren-Küchen. Robert Brack blickte auf die Versorgungsgebäude des UKE. Michael Klugmann bewohnte eine Art Pavillon im Hof prachtvoller Gründerzeithäuser in Eimsbüttel, dort, wo die Quadratmeterpreise am höchsten sind. Doris Gercke gab mir zwischen zwei juristischen Prüfungen ein Interview im Hotel Esplanade, das gerade zu Hamburgs bestem Geschäftshotel gewählt worden war – es war bekannt leger im Umgang mit den Nutten an der Bar. Frank hatte eine Butze im billigeren Teil von Eimsbüttel. Seine Küche war so klein, das ich dort kaum atmen konnte. Frank verbrauchte aus Rücksicht auf mich trotz seiner Größe nicht viel Luft. Ich kannte damals eher schüchterne Lyriker. Mit Frank  zu reden war wie ein Interview in einer kaum bekannten Sprache. Frank war sehr freundlich, sehr offen, antwortete lange und gerne auf Fragen, die ich eigentlich indiskret fand. Ich muss damals zig Zettel voll geschrieben haben, kann sein, dass es bei mir im Keller auch noch Kassetten von dem Gespräch gibt – damals schleppte man einen Sony-Walkman mit sich rum. Frank steckte mittendrin. Er überschüttete mich mit Namen und Adressen. Ich hörte „Pinzner“, „Schulz“, „GMBH“ zum ersten mal und musste das rückübersetzen in Franks Romanfiguren. Frank hat die Realitätsebene 20 Jahre später in seinem Nachwort zur Kieztrilogie zusammengefasst, mir waren das böhmische Dörfer.

Von denen sprachen wir Jahre später, als wir zufällig näher an ihnen dran waren. Frank war nach Linz gekommen,  um an einem Minimarathon zur Europäischen Kriminalliteratur teilzunehmen. Nach der Lesung mit Arne Dahl und Robert Peace im Kulturzentrum Posthof hinkten wir am nächsten Morgen durch die europäische Kulturhauptstadt. Frank hinkt irgendwie immer. Das hatte ich bis dahin nie gemerkt, weil wir immer nur zusammen gehockt hatten; ich hinkte wegen Arthrose.

Mit Frank kann man gut durch eine Stadt gehen. Das Gespräch ist so entspannt, dass man noch ein Auge frei hat für Bemerkenswertes. Zwei Linzer Gespenster treffen riesige Haustiere:

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Dann kamen wir an die Brücke über den Inn.

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Frank könnte mit seinen Eltern hier vorbeigekommen sein.

1990 faszinierte mich anderes. Ich habe nie wieder jemanden getroffen, der so uneitel ist, so wenig von sich eingenommen. Wie Frank in dieser engen Küche über seine große Faszination sprach, ohne mich einzuengen mit Meinung, das war ein großes Erlebnis.

Die Leute merken, dass ich mich in meinen Wünschen, in meinem unausgelebten Leben ihnen zugehörig fühle. Auf dem Kiez herrscht eine Umgangsform, die ich mir manchmal auch in einem anderen Umfeld wünsche, diese Klarheit, die ne Härte und ne Brutalität hat, wo ein Wort immer noch was gilt. (Die Welt, 19. 10.1990)

Frank ist ein selten zarter und starker Mann. Ich freue ich immer, wenn ich ihn sehe. Dann entsteht etwas Ruhiges, Waches, Geselliges, das ohne ihn nicht da wäre.

Tobias Gohlis

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