Geschrieben am 1. November 2020 von für Crimemag, CrimeMag November 2020

Un-Su Kim „Heißes Blut“

Düsteres Gangster-Epos aus Südkorea

Hanspeter Eggenberger über »Heißes Blut« von Un-Su Kim

»In Guam trugen die Gangster keine Anzüge.« Mit diesem lakonischen Satz beginnt der Wälzer Heißes Blut des südkoreanischen Autors Un-Su Kim. Und schon sind wir mitten dieser fremden Welt der südkoreanischen Hafenstadt Busan, der zweitgrößten Stadt des Landes. In den anderen Vierteln der Stadt stolzieren die Ganoven herausgeputzt umher. Im fiktiven Stadtteil Guam herrscht der Clan von Vater Son, und der setzt auf eine gewisse Diskretion in der Öffentlichkeit. »Wenn man im Trainingsanzug verhaftet wird, gilt man als kleiner Gauner, aber lass dich mal im Zweireiher mit einem Sashimi-Messer in der Tasche erwischen, dann wirst du gleich in die Mörder- und Mafiosi-Schublade gesteckt, zu den Bösen, die die Gesellschaft kaputt machen.« Das Sashimi-Messer haben aber auch die Leute von Vater Son dabei, und das nicht etwa, weil sie in der Gastronomie tätig wären.

Huisun, die Hauptfigur, ist die rechte Hand von Vater Son. Doch er sieht keine große Perspektiven für sich, denn er gehört nicht zur Familie des Gangsterbosses. Er lebt allein, fühlt sich einsam, wird von existenziellen Fragen geplagt und blickt reichlich desillusioniert auf sein Leben: »Vierzig Jahre alt. Beruf: mittlerer Kader eines Vorort-Gangsterclans und Manager des Hotels Mallijang. Vorstrafenregister: vier Verurteilungen. Wohnsitz: Hotelzimmer. Gesundheitszustand: depressiv.« Er hat genug vom Gangsterleben, jedenfalls von dem in der zweiten Reihe ohne Aussicht auf Aufstieg. Vater Son ist alt, den Clan wird aber wohl der deppe Neffe des Bosses dereinst übernehmen. Huisun träumt davon, mit seiner Jugendliebe zusammenzuziehen, die früher als Prostituierte arbeitete und jetzt eine Bar betreibt. Dann bietet ihm ein jüngerer Gangster an, eine eigene Gang gegen die Sons aufzubauen. Es brodelt im Untergrund in Guam. Ein Generationenwechsel im lokalen Gangstertum bahnt sich an, der alte Boss wird es nicht mehr lange machen.

Die Geschichte, in der es letztlich um den Machtwechsel im Gangster-Clan geht, erinnert in dieser Hinsicht an Mario Puzos Mafia-Epos »Der Pate«. Doch anders als Puzo und vor allem Regisseur Francis Ford Coppola in den »Godfather«-Verfilmungen glorifiziert Kim seine Helden nicht. Seine Geschichte bleibt immer düsterer Noir. Er schildert detailreich kleine, dreckige Geschäfte und brutale Abrechnungen. Schmuggel, Schutzgelderpressung, Spielhöllen, Auftragsmorde. Die meisten Bandenmitglieder haben kaum Geld und stehen in einem stetigen Überlebenskampf. Sie sind hinterhältig und niederträchtig, sie quälen Schwächere und schleimen sich bei den Starken ein. Intrigen und Verrat sind alltäglich. Probleme werden mit dem Sashimi-Messer gelöst, Menschen werden zu Fischfutter. Huisun weiß, weshalb er den Fisch aus der lokalen Zucht nicht isst.

»Heißes Blut« ist eine Gangster-Oper in zwei Akten, die in den frühen Neunzigerjahren spielt. Im Verlauf der Geschichte steigert sich die Gewalt kontinuierlich. Es ist eine Story, die fasziniert und einen mitzieht, die bei allen Details nie langweilt. 3000 Seiten lang sei sein erstes Manuskript gewesen, erzählte Kim in einem Interview in »Culture coréenne«, der Zeitschrift des koreanischen Kulturzentrums in Paris. Das Konzentrat daraus ist trotz immer noch fast 600 Seiten äußerst dicht. Und oft recht melancholisch. 

Die Mischung aus brutaler Gewalt, berührenden Momenten und schwarzem Humor faszinierte schon bei Un-Su Kims großartigem Noir-Thriller »Die Plotter«, der vor zwei Jahren auf Deutsch erschienen ist. Kims Plotter haben eine wichtige Funktion in Koreas Killer-Industrie: Sie planen Morde, legen also die Plots fest, und bleiben dabei im Hintergrund. Tracker spüren die Opfer auf, kundschaften sie aus und liefern den Plottern das Material für ihre Pläne. Die Auftragsmord-Industrie in dem Roman ist eine Folge des Oursourcings nach dem Ende der Militärregierungen in Südkorea. Die Morde dienen meist dem Machterhalt oder einer Machtübernahme in Wirtschaft und Politik des Landes.

Getrübt wird die Freude an den Werken Un-Su Kims durch die Übersetzungen. Nachdem »Die Plotter« aus dem Englischen ins Deutsche übertragen wurde, hat der Europa Verlag nun »Heißes Blut« nach der französischen Fassung »Sang Chaud« ins Deutsche bringen lassen. Ein solches Vorgehen mag bei Sachbüchern teilweise vertretbar sein, ist aber ein grober Frevel bei Büchern, die als Literatur wahrgenommen werden wollen und sollen, was bei Un-Su Kim ohne Zweifel der Fall ist. Es kann nicht bestritten werden, dass jede Übersetzung einen Text verändert. Bei Texten aus anderen Kulturkreisen müssen die Übersetzerinnen und Übersetzer für sprachliche Bilder adäquate Entsprechungen in ihrer Sprache finden. Wird ein übersetzter Text dann in eine weitere Sprache übertragen, entfernt er sich zwangsläufig weiter vom Original. Wünschen wir »Heisses Blut« also viel kommerziellen Erfolg, damit der Verlag beim nächsten Werk von Kim vielleicht von der gewiss einfacheren und schnelleren und zudem wahrscheinlich kostengünstigeren Übersetzung aus einer »gängigeren« Sprache absieht und es direkt aus dem Koreanischen übertragen lässt. Denn von diesem Autor möchten wir gerne mehr lesen.

Un-su Kim: Heißes Blut (Tteugeoun Pi, 2016). Aus dem Französischen von Sabine Schwenk (nach der Übersetzung Sang Chaud von Kyungran Choi und Lise Charrin). Europa Verlag, München 2020. 581 Seiten, 24 Euro.