„Weil ich es so gut kann“
von Wolfgang Franßen
Sie war ein Genie, schrieb die New York Times über Flannery O’Connor. Sie selbst litt nicht gerade an Understatement. Nicht selten treffen wir in ihren Erzählungen auf selbstbewusste Frauen, die sich ihrer Schwächen durchaus bewusst sind oder von der Erzählerin gnadenlos demaskiert werden. Flannery O’Connor ist zwar etwas in Vergessenheit geraten, aber mit Keiner Menschenseele kann man noch trauen hat der Arche Verlag in der Übersetzung von Anna und Dietrich Leube eine Neuauflage auf den Markt gebracht, deren Titel schon erwarten lässt, dass sich darin alles um den Noir dreht.
„Sie war seltsam“, schreibt Willi Winkler in seinem Nachwort über die Autorin und führt dies auf ihren Katholizismus, dem Umstand, dass sie sich nicht ganz vom Rassismus der Südstaaten freimachen konnte, der Abgeschiedenheit, in der sie lebte, und ihrem Hang zum Sarkasmus zurück. Die 1925 in Savannah geborene O’Connor wächst in einer wohlhabenden Familie auf, mag für heutige Verhältnisse ein prüdes Liebesleben gehabt haben, aber besaß einen scharfen und unerbittlichen Verstand, wenn es galt, leicht durchgeknallte Figuren in Geschichten zu verwandeln.
Egal, ob der Starrsinn einer Großmutter, die nicht nach Florida will und ihre ganze Familie in den Abgrund reißt, in Ein guter Mensch ist schwer zu finden. Egal, ob der verzweifelte Versuch einer Mutter, einen Landstreicher damit zu bestechen, ihre Tochter zu heiraten, indem sie ihm einen Wagen schenkt in Das Leben, das du rettest, könnte dein eigenes sein. Oder die wunderbare Geschichte dreier Jugendlicher, die eine Farmersfrau in den Wahnsinn treiben, indem sie sich nicht an die Regeln halten. Die da lauten ihr seid arm, ich will euch nur Gutes tun in Ein Kreis im Feuer.
All dies erinnert an Donald Ray Pollock, der in seinen Romanen eine Vielzahl solcher Nebenschauplätze eröffnet, die das Bild von Einsamkeit, Verlorenheit und um sich greifendem Irrsinns ergänzen. Die Stories von Flannery O’Connor gäben den Stoff für Romane her. Sie versteht es meisterhaft, einen Ausschnitt herauszulösen, der all die Gewalt, die gegen ihre Figuren oder andere gerichtet ist, in wenige Momente zu verdichten.
So ist nun mal das Leben
Als beginnende Autorin stand sie unter dem Einfluss von Poe und Hawthorne, studierte Journalismus und lebte in einer Schreibkolonie in Yaddo. Allerdings lernte sie früh, mit Schmerzen zu leben. Wie ihr Vater erkrankte sie an Lupus erythematodes, was sie fern ab von den intellektuellen Kreisen in New York hielt, da sie es vorzog, auf der Farm ihrer Mutter in Milledgewille zu leben. Für das fortschrittliche Amerika ihres Zeitalters war sie taub. Kein John F. Kennedy, kein Martin Luther King lockten sie aus ihrer Abgeschiedenheit. Sie lebte mit Pfauen, Kühen unter Landarbeitern und Farmern, wie Mrs. McIntyre in Der Flüchtling, die nachdem ihr Mann, der Richter, gestorben ist, sich ständig sorgt, aufgrund ihrer faulen Arbeiter die Farm zu verlieren. Dabei ist sie blind für sich selbst und begeht die Fehler, die sie schließlich dazu zwingen, ihre Farm zu verkaufen. So bleiben bei O’Connor die Anständigen Leute vom Land, wie eine Story in dem Band heißt, unter sich. Die Frauen leben nicht selten in der Abwesenheit ihrer Männer als Mutter und Tochter. Was nicht heißt, dass sie sich in deren Gesellschaft wohler fühlen. Viele Dialoge beruhen darauf, dass eine redet und die andere nicht zuhört. Menschen werden danach qualifiziert, dass sie kein Gesindel sind. Denn nichts ist vollkommen, lautet einer der Lieblingssprüche von Mrs. Hopewell in dieser Geschichte. Ein anderer: So ist es nun mal das Leben! Ein dritter: Na ja, andere Leute haben auch eine Meinung. Was nach Fatalismus klingt, ist eher das tiefe Bekenntnis, dass das eigene Leben schon irgendwie das richtige ist. Auf diesem schmalen Grat bewegt sich Flannery O’Connor unerschütterlich durch den Süden.
Aus deutschen Buchhandlungen ist des Öfteren zu hören, Bücher mit Erzählungen verkauften sich nicht. Der Leser suche das Epos, den Page Turner, nicht die Kurzstrecke. Flannery O’Connor besitzt jedoch die Gabe großer Autorinnen, all die überflüssigen Worte wegzulassen. In Zeiten, wo unsere Aufmerksamkeitspotential rasant sinkt, werden ihre Stories bald eine Renaissance erleben.
Statt Textnachrichten vor dem Schlafengehen zu lesen, lohnt es sich, zu Flannery O’Connor zu greifen. Unter ihren Sätzen ruht eine ganze Welt.
Wolfgang Franßen
Flannery O’Connor: Keiner Menschenseele kann man noch trauen (zehn Erzählungen aus: The Complete Stories, 1972). Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Anna Leube und Dietrich Leube. Mit einem Nachwort von Willi Winkler. Arche Verlag, Zürich und Hamburg 2018. 344 Seiten, 22 Euro.