Geschrieben am 8. Dezember 2018 von für Litmag, Specials, Verlust-Special 2018, Verlust-Special DUE

Alf Mayer: Porträt der Reihe Naturkunden

 
Reihe Naturkunden Äpfel

Aus Korbinian Aigners  „Äpfel und Birnen. Das Gesamtwerk“, Reihe Naturkunden Nr. 4, 2013

Die Welt betrachten – ins Unendliche reisen

Alf Mayer über die Reihe Naturkunden und deren Schule des Sehens

Wir wissen alles und sehen nichts. Unser Auge hat seine Frische eingebüßt, wir vermögen nicht mehr zu schauen, bringt Claude Lévi-Strauss 1963 unsere Anschauungsmüdigkeit auf den Punkt. Und dann verschwinden auch noch die Wörter. Als das „Oxford Junior Dictionary“ im Jahr 2007 Worte wie „Breitband“ neu in seine Seiten aufnimmt, werden gleichzeitig mehrere Worte des Naturlebens gestrichen. Die Richtlinien des Wörterbuchs, so verteidigt sich der Verlag, wollen es eben, dass das Lexikon „die gegenwärtige Worthäufigkeit in der Sprache der Kinder“ wiedergebe. Nomina si pereunt, perit et cognitio rerum, heißt es bei Carl Linnaeus: „Mit den Namen vergeht auch die Kenntnis der Dinge.” 

Gegen diesen Verlust der Wahrnehmung der Welt rings um uns – und in uns ebenso – ist seit 2013 ein ebenso probates wie bewährtes Gegenmittel auf dem Markt. Sein Name sollte so bekannt sein wie die Spalt-Tablette oder wie Aspirin, mindestens so gut ist es nämlich. Nur eben werthaltiger und inhaltsreicher. Bereits die Verschreibung der Lektüre eines einzelnen Bandes der von Judith Schalansky herausgegeben Reihe Naturkunden kann erstaunliche Wirkung erzielen. Schädliche Nebenwirkungen sind nicht bekannt, es sei denn, Geld für schöne und inhaltspralle Bücher auszugeben, in denen Sprache, Wissen und Anschauung ein Fest bereitet wird, führt bei Ihnen zu Unwohlsein und Kopfzerbrechen.

macfarlane dt cover-9783957576224Teilhaben an der Existenz der Dinge

Aus der Opposition zur Streichaktion des Oxford Dictionary entstand der Prachtband „Die verlorenen Wörter“ von Robert Macfarlane und Julie Morris (Naturkunden № 49), hier in unserem Verlust-Special UNO besprochen.

Über 370 deutsche Verben, von ächzen und balzen, koltern bis rucksen, schackern, unken, zwirlen und zwitschern versammelt Peter Krauss in „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“ jede Vogelart mit einer wunderbaren Zeichnung illustriert und auch mit dem entsprechenden chinesischen Ideogramm benannt (№ 34 der Naturkunden). Von der Entstehungsgeschichte dieses Buches erzählt Judith Schalansky im Interview hier nebenan in diesem Verlust-Special.

wilde wälder-9783957575647„Wer in einen Wald geht, betritt eine andere Welt, in der er sich verwandelt“, schreibt Roger Deakin in seiner Einleitung zu „Wilde Wälder“. Das Buch hat 438 in zartem Forstgrün auf 90 g/qm Schleifen Fly 05 spezialweiß, 1,2-faches Volumen, gedruckte inhaltspralle Seiten in den Schriften Miller und Knockout, ist illustriert mit zahlreichen Stammscheiben aus den Sammlungen der Gestalterin Aline Altmann und von Prof. Heinz Frommhold. Das handschmiegsame Werk schafft es tatsächlich, „dass wir nicht mehr nur allgemeinen von ‚Bäumen’ sprechen, sondern jeden einzelnen Baum und jede einzelne Art bedenken“ (Deakin). Leider war es sein letztes Buch, ist Autobiografie, Abenteuerroman und eine Natur- und Kulturgeschichte des Holzes, das Edward Thomas das „Fünfte Element“ genannt hat. Roger Deakin zeigt uns das Element Holz, wie es in der Natur, in unserer Seele, unserer Kultur und unserem Leben vorkommt. Eine eindringliche Anleitung zur Achtsamkeit (Naturkunden,№ 43).

Für sein „Logbuch eines Schwimmers“ (Naturkunden № 21), heute ein Klassiker des Nature Writing, bereiste er das Land ein Jahr lang amphibisch, schwamm durch die Wildnis, tauchte buchstäblich in die Landschaft ein und in die Elemente, vor allem in das Urelement Wasser. Schwimmen wird ihm zur Metapher für „die Teilhabe an der Existenz der Dinge“.

Darum geht es in den Naturkunden.

monster-9783957570307insektopädie-9783882210804Gedruckt auf Papier zum Küssen

Schöne, wirklich schöne Bücher stehen klar unter Artenschutz. 49 Exemplare davon sind bislang in den Naturkunden versammelt, eines schöner als das andere, jedes einzelne alles andere als Konfektion. Dafür verantwortlich: Herausgeberin Judith Schalansky und Gestalterin Pauline Altmann, zwei Frauen die jede schon zweimal von der Stiftung Buchkunst für eines der „Schönsten deutschen Bücher“ eines Jahres ausgezeichnet worden sind. Judith Schalansky für ihren „Atlas der abgelegenen Inseln und für Der Hals der Giraffe“, Pauline Altmann für die Naturkunden-Bücher „Insektopädie“ und „Wahre Monster“. 

Bei wie vielen Verlagen und in wie vielen Reihen ist es üblich, dass sich im Impressum auch Angaben finden zu Typografie und Schrift, zu Papier, Hersteller, Druck und Bindung oder gar zum Einbandmaterial?  Für die Naturkunden-Portraitbände ist es zum Beispiel das wunderbare thermoreaktive Papier Napura Kephara von Winter & Winter aus Lörrach, das prägeähnliche Effekte hat und in der Hand lebendig wird. Fühlsüchtig machen kann bei den Naturkunden immer das Inhaltspapier, oft ist es das 100 Gramm pro Quadratmeter schwere Schleipen Fly 04 hochweiß, 1,2-faches Volumen. Das unglaubliche Bestiarium „Wahre Monster“ lebt auf 90 g/qm Fly 04, aber auch das Fly 05 spezialweiß, 1,2-faches Volumen, in Edward Abbeys „Die Einsamkeit der Wüste“ fühlt sich zum Küssen an, was die Annäherung an einen stacheltierigen Knurrer wie diesen amerikanischen Wüstenphilosophen noch vergnüglicher macht. Hier Abbey – einer meiner Helden und hierzulande schmählich wenig bekannt – wie er leibt und lebt:

abbey wüste-9783957573551„Zunächst einmal: Vom Auto aus können Sie gar nichts sehen. Sie müssen schon aus der gottverdammten Kiste aussteigen und zu Fuß gehen, besser noch, auf Händen und Knien über den Sandstein und durch das dornige Gebüsch und die Kakteen kriechen. Erst wenn Blut ihren Weg markiert, werden Sie vielleicht etwas zu sehen bekommen. Eher nicht. Und zweitens ist vieles, worüber ich in diesem Buch schreibe, bereits nicht mehr vorhanden, oder geht viel zu rasch unter. Das Buch ist kein Reiseführer, sondern eine Elegie. Ein Denkmal. Sie halten einen Grabstein in Ihrer Hand. Ein blödes Stück Fels. Geben sie acht, dass es Ihnen nicht auf den Fuß fällt – besser, Sie werfen damit auf etwas Größeres, Gläsernes. Was haben Sie schon zu verlieren?“

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Edward Abbey (Matthes & Seitz)

Vom schönsten Ort auf Erden

Diese Vorbemerkung, die Edward Abbey 1967 seiner „Einsamkeit der Wüste“ (Desert Solitaire) voranstellt, eignet sich gut als Wegweiser für die sehr einzigartige Reihe Naturkunden im Berliner Verlag Matthes & Seitz. Die gläsernen Oberflächen haben seit 1967 eher zugenommen, weltweit werden sie heute gewiss öfter berührt als Steine oder Baumrinde. Dabei kann kein Smartphone mit den haptischen Erlebnissen mithalten, die jedes Buch der Naturkunden bietet. Sie alle entstehen nach einem Entwurf der Herausgeberin Judith Schalansky, einer ganz besonderes Autorin. Sie hat Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign studiert, ihr Streben gilt nicht nur literarischen Ambitionen, sondern der Errettung des Buches als Gesamtkunstwerk an sich. Der Verlag Matthes & Seitz hat inzwischen einen Deutschen Preis für Nature Writing ausgeschrieben, man kann das als Autorensuche sehen, aber eben auch als Nachhilfe für eine schriftstellerische Tradition, die in Deutschland nur wenige Adepten hat.

„Dies ist der schönste Ort auf Erden“, verkündet Abbey im ersten Satz seines großen Wüsten-Buches:

„Orte wie diese gibt es viele. Ob Mann oder Frau, jeder trägt das Bild eines idealen Ortes in seinem Herzen und in seinen Gedanken, das Bild des richtigen Ortes, des einen wahrhaftigen Zuhauses, ob es nun bekannt oder unbekannt ist, echt oder vorgestellt. Ein Hausboot in Kaschmir, ein Blick über die Atlantic Avenue in Brooklyn, ein graues, zweistöckiges Farmhaus im gotischen Stil am Ende einer Schlackestraße in den Allegheny Mountains, eine Hütte am Ufer eines blauen Sees mitten in einem Fichten­ und Tannengebiet, eine schmierige Gasse am Hafen von Hoboken, oder für jene mit einer weniger anspruchsvollen Sensibilität der Blick auf die Welt von einem hoch in den zarten, samtigen Smogfahnen Manhattans, Chicagos, Paris, Tokios, Rios oder Roms liegenden, bequem eingerichteten Appartements – der Fähigkeit des Menschen, sich zuhause zu fühlen, sind keine Grenzen gesetzt. Theologen, Himmelspiloten und Astronauten haben sogar von hoch oben, in der kalten schwarzen Ödnis des interstellaren Raums, den Ruf des Zuhauses vernommen. 
Ich nehme vorlieb mit Moab in Utah. Natürlich meine ich damit nicht das Städtchen selbst, sondern das Land, das es umgibt – das Canyonland. Die Slickrock­Wüste. Den roten Staub, die ausgeglühten Felswände und den einsamen Himmel – all das, was am Ende der Straße liegt.“

Und dann nimmt er uns dorthin mit.

cactaceae-naturkunden-14-zander-judith-msb-matthes-seitz-berlin-9783957570291_2leben der mächtigen9783957571656Oden auf das Vagabundentum

Edward Abbey, der amerikanische Naturphilosoph, Wüstenanarchist und vor allem Outdoors-Man, ist einer jener Bettelmönche, Hobos, Troubadoure, Beatniks, Trapper, Waldläufer, Landstreicher und Steppenwölfe, die es nicht ertragen, dass die Sonne aufgeht und ohne sie weiterzieht. Sie sind die Neo-Nomaden, denen Sylvain Tesson in „Kurzer Bericht von der Unermesslichkeit der Welt“ (Naturkunden № 6) ein Denkmal setzt. Hat man je einen Nomaden in Eile gesehen, fragt er sich. Im Nomadismus sieht er „die beste Antwort auf das Fliehen der Zeit… Nicht sie einzuholen, sondern ihr gleichgültig begegnen zu können“, darum gehe es bei der Abenteuerreise. Auch typografisch (Gestaltung: Judith Schalansky) ist das schmale, große Buch Zeile für Zeile eine Wanderung, das Papier 100 g/qm Alster Werkdruck, 1,5-faches Volumen.

In seinen Oden auf das Vagabundentum, so Tesson, beschreibt Natsume Sōseki den vollkommenen Menschen als einen Bambus, der still an den Ufern des Gleichmuts steht, sich am seichtesten Lufthauch freut, ohne dass er ihm etwas anhaben könnte, und den zartesten Blumenduft genießt, ohne von ihm tangiert zu werden. Die Ereignisse der Welt berühren ihn, ohne ihn zu biegen. Der Lauf der Stunden gleitet über ihn hinweg wie das Wasser über die Federn der Stockente, ohne sie nass werden zu lassen.

alter wege-9783957572431Zwar sei die Zeit vorbei, als man noch auf Reisen in unbekannte Fernen wie in einen Freitod ging, Abenteuer aber gibt es überall. Man muss nur schauen. Auf Bäume steigen, um zu den Wurzeln zu finden, oder in den Dachstuhl von Notre Dame, den man den Wald nennt. Tesson sinnt über das Biwak (2019 wird es ein Naturkunden-Buch über „Hütten“ geben), er weiß, dass Ingenieure Parkbänke möglichst unwirtlich gestalten. Anderswo sei doch ein schöneres Wort als morgen, zitiert er Morand. Leben heiße, seinen Traum zu einer Erinnerung zu machen, den Weg zur Lebenslinie, die Anschauung zu Aufgabe und Gewinn.

Schreiben und Gehen sind EINE Tätigkeit, Geschichten und Pfade entsprechen einander, sie erzählen und verbinden, stellt Robert Macfarlane in „Alte Wege“ (Naturkunden № 25) fest: „Dieses Buch hätte nicht im Sitzen geschrieben werden können.“ Tausend und mehr Meilen hat er dafür auf uralten Pfaden zurückgelegt, die Füße manchmal angeschwollen wie ein Hefeteig, an Dorfteichen mit Gelben Schwertlilien vorbei, in denen Karpfen rülpsen. 29,7 cm ist sein Schritt und Denkmaß, von Ferse bis Zeh, Wort zu Wort. Sprachmächtig beschreibt er das Gehen als Entdeckungsreise ins Innere, und wie Landschaften uns prägen. „Pfade führen nicht nur durch eine Gegend, sondern auch zum Fühlen, zum Sein, zum Wissen.“ Etymologen seien sich uneins, ob das englische „book“ (Buch) vom Germanischen bok stamme, von der Buche, dem Baum, in dessen glatte Rinde oft Zeichen und Pfeile geritzt wurden, um Routen und Pfade anzuzeigen. So wie sich der Schreibstift zwischen den Wörtern vom Papier hebt, heben sich auch die Füße des Wanderer zwischen den Schritten, Gehen und Schreiben sind für Macfarlane ein fortlaufender Steppstich, die Weiterführung derselben Naht oder Strömung.

lehmann bukolisches-9783957573858dillardDie große, weite Welt im Kleinen sehen (können)

Liebende können sehen, und Kundige, weiß Annie Dillard, die als junge Frau, von Thoreau inspiriert, in den Wald und an den Tinker Creek zieht, ihre Erlebnisse in ein symbolisches Jahr fasst. Ihr ist klar, dass die Augen weniger als ein Prozent vom Gewicht ihres Kopfes ausmachen, dass sie dickfellig ist und begriffsstutzig, und nur sieht, was sie weiß. Sie führt ein „meteorologisches Tagebuch der Seele“, studiert die Natur mit klösterlicher Geduld und mikroskopischem Blick, wird eine Frau, die sozusagen Engel sieht. Einmal sieht sie ein Raumschif vom Mars auf sich zu schweben, das mit geborgtem Licht wie ein Propeller glänzt. Sie findet es im Gras. Es ist ein Ahornschlüssel, ein einzelner, geflügelter Same, dem die zweite Hälfte fehlt. Sie wirft ihn wieder in den Wind. (Naturkunden № 28, siehe das vollständige Verzeichnis weiter unten.)

Henry David Thoreau: „Ein gänzlich neuer Ausblick ist ein großes Glück, das für mich an jedem beliebigen Nachmittag möglich ist. In ein oder zwei Stunden kann ich in einer Gegend sein, die mir so fremd ist, wie ich sie mir nur wünschen kann. Ein Farmgebäude, das ist zuvor nicht wahrgenommen hatte, ist manchmal so interessant wie die Behausung des Königs von Dahome.“ Leonardo da Vinci stellte sich einen Berg vor, wenn er einen Kieselstein betrachtete. 127 Seiten hat Tessons „Kurzer Bericht von der Unermesslichkeit der Welt“, wenn man aus dem Buch auftaucht ist die Welt tatsächlich größer, viel größer geworden.

Es ist dies – zuverlässig – der Effekt all der Bücher der Reihe Naturkunden. Wieder und wieder geht es um das genaue Hinsehen, geht es um Betrachtung, um die Anschauung der Natur, um den dabei so überreichen Gewinn. Und immer damit auch um unsere Kultur, um unser Verhältnis zur Natur. Keine Frage: „Über Natur zu schreiben, ist heute politisch“, so Judith Schalansky im Interview hier nebenan in diesem Verlust-Special .

goldstein-9783882219920Es hat aber die Erde viele und wunderbare Orte, lässt Platon Sokrates sagen, so dass sie zu schauen ein beseligendes Schauspiel ist. Sie ist der Glücksfall des Weltbetrachters, des contemplator mundi, denn sie ist nicht öde, wie die Oberfläche des Mondes, sondern Inbegriff einer Vielfalt, die zu erfassen jede Lebensspanne zu kurz ist. Ihr unerschöpflicher Reichtum macht die Menschen zu Anschauungsnomaden, schreibt Jürgen Goldstein 2013 im als programmatisch zu verstehenden Band 3 der Naturkunden.  „Die Entdeckung der Natur“ beschreibt klug und kundig – die Zitate interessant farbig abgesetzt – die Entdeckung der Natur als eine seit dem 14. Jahrhundert einsetzende Erfahrungsgeschichte, die (siehe das Eingangszitat von Claude Lévi-Strauss) an ihr Ende gekommen zu sein scheint. Goldsteins Durchgang durch die Jahrhunderte anhand der Erlebnisberichte, die auf der Schnittstelle von Naturerfahrung und menschlichem Selbstausdruck angesiedelt sind, zeigt die Entwicklung von der einsetzenden Entdeckung, der allmählichen Entfaltung und dem drohenden Verlust der Erfahrbarkeit der Natur. Von Petrarca und Kolumbus, zu Forster, Humboldt und Goethe bis zu der von Lévi-Strauss und Handke diagnostizierten heutigen Unfähigkeit, die Welt unverstellt zu betrachten und dem Erfahrenen einen angemessenen Ausdruck verleihen zu können. Reinhold Messners Ausruf aus den Wolken des Mount Everest, von dem Goldstein erzählt, gibt dem anschaulich Ausdruck: „Zum zweiten Mal hocke ich auf dem höchsten Punkt der Erde, und wieder kann ich nichts sehen.“

pilze-9783957570314äpfel und birnen 160xx400x-1539859926Was der Mensch unter „Natur“ verstanden hat und versteht, unterliegt einem kulturgeschichtlichen Wandel. Die Bände der Naturkunden erzählen ihn immer mit – stupend, und üppig illustriert auch in den Portraits der Reihe. Diese handschmeichlerischen, wunderbar ausgestatteten und jederzeit als Geschenkmitbringsel geeigneten Bände sind – immer noch High End und bestes Preis-Leistungsverhältnis – mit je 18 Euro sozusagen die Volksausgaben der Reihe. Am anderen Ende liegen die beiden Prachtbände:

Korbinian Aigner: Äpfel und Birnen. Das Gesamtwerk, 2013. 512 Seiten, gebunden, 910 Abbildungen,
98 Euro, № 4;
Jean-Henri Fabre: Pilze, Berlin 2015. 615 Seiten, gebunden, über 600 Abb., 148 Euro, № 16.

Die Reihe eröffnet hat 2013 der Portraitband „Krähen“ von Cord Riechelmann, bisher folgten „Esel“, „Heringe“, „Eulen“ – hier ausführlich und exemplarisch bei CulturMag besprochen -, „Schweine“, „Schnecken“, „Schmetterlinge“, „Wölfe“, „Schafe“, „Brennesseln“, „Kröten“, „Nelken“, „Fliegen“, „Hirsche“, im März 2019 folgt als Band 50 „Korallen“. Die Koralle ist auch das Signet der Reihe. Der Inhalt der Portrait-Bände ist schlicht unglaublich. Es sind wahre Schatzkammern. „Das Einfache“, wusste der Philosoph Martin Heidegger, „verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. Unvermittelt kehrt es bei den Menschen ein und braucht doch langes Gedeihen. Im Unscheinbaren des immer Selben verbirgt es seinen Segen. Die Weite aller gewachsenen Dinge, die um den Feldweg verweilen, spendet Welt.“

Ein bis zwei Portraits, ein Nature Writing, sowie ein erzählerisches Sachbuch machen ein Halbjahresprogramm der Naturkunden aus. Es ist eine Buchreihe, die glücklich macht – und einverstanden mit der Welt.

P.S. Als Hinweis, wie genau in dieser Reihe hingeschaut wird, wie schön dort Sprache ist (und übrigens auch die Arbeit all der Übersetzer), der Epilog aus Jürgen Goldsteins „Entdeckung der Natur“:

Suchte man nach einem Beleg für die Leidenschaft, sich noch dem Unscheinbarsten in der Natur zuzuwenden, bei Darwin würde man fündig. Diesmal allerdings nicht in seinen Tagebuchnotizen oder Briefen, sondern bei den Fundsachen, die er von seiner Weltumsegelung mit nach Hause gebracht hat. Unter den Tausenden von Pflanzen, Tieren, Gesteinsproben und Versteinerungen, unter all diesen Belegen seiner Aufmerksamkeit, findet sich ein angestoßenes Glasröhrchen, fein säuberlich beschriftet, mit dem Datum vom 10. März 1834 und der Nummer 2894. Es enthält atlantischen Passatstaub. Darwin hat ihn an jenem Tag auf seiner Weltreise von den Segeln der Beaglegefegt. Man stelle sich das vor, wie Darwin auf dem Schiff herumgeklettert ist, um ihn mühsam aufzulesen! Dieses Glasröhrchen mit dem rötlichen Staub aus der westlichen Sahara ist ein Dokument für die Begeisterung, noch das Flüchtigste bewahren zu wollen, das sich in den Segeln verfangen hat, als wäre es aus dem Wind gefischt worden.

Alf Mayer, Dezember 2018

Und hier, seltsamerweise sonst als Liste nirgends zu finden, die bisher erschienenen Naturkunden

leben ohne ende 9783957576187

№ 1: Cord Riechelmann: Krähen, 2013
№ 2: John Muir: Die Berge Kaliforniens, 2013
№ 3: Jürgen Goldstein: Die Entdeckung der Natur, 2013
№ 4: Korbinian Aigner: Äpfel und Birnen. Das Gesamtwerk, 2013 (512 Seiten, gebunden, 910 Abbildungen,
98 Euro)
№ 5: Jutta Person: Esel, 2013
№ 6: Sylvain Tesson: Kurzer Bericht von der Unermesslichkeit der Welt, 2013
№ 7: Hugh Raffles: Insektopädie, 2013
№ 8: Zdenek Burian: Die verlorenen Welten des Zdeněk Burian, 2013
№ 9: Holger Teschke: Heringe, 2014
№ 10: John Alec Baker: Der Wanderfalke, Berlin 2014
№ 11: Isabel Kranz: Sprechende Blumen: Ein ABC der Pflanzensprache, 2014
№ 12: Friedlieb Ferdinand Runge: Der Bildungstrieb der Stoffe, 2014
eulen-9783957570888№ 13: Desmond Morris: Eulen, 2014
№ 14: Judith Zander: Cactaceae, Berlin 2014
№ 15: Caspar Henderson: Wahre Monster. Ein unglaubliches Bestarium, 2014
№ 16: Jean-Henri Fabre: Pilze, Berlin 2015 (615 Seiten, gebunden, über 600 Abb., 148 Euro)
№ 17: Thomas Macho: Schweine. Ein Portrait, Berlin 2015
№ 18: Robert Macfarlane: Karte der Wildnis, Berlin 2015
№ 19: Roger Clarke: Naturgeschichte der Gespenster. Eine Beweisaufnahme, 2015
№ 20: Florian Werner: Schnecken, 2015
№ 21: Roger Deakin: Logbuch eines Schwimmers, 2015
№ 22: Zora del Buono: Das Leben der Mächtigen. Reisen zu alten Bäumen, 2015
№ 23: Andrea Grill: Schmetterlinge, 2016
№ 24: Rudolf Borchardt: Der leidenschaftliche Gärtner
№ 25: Robert Macfarlane: Alte Wege
federn-9783957572325№ 26: Thor Hanson: Federn
№ 27: Petra Ahne: Wölfe
№ 28: Annie Dillard:
Pilger am Tinker Creek
№ 29: Edward Abbey
: Die Einsamkeit der Wüste
№ 30: Bernd Heinrich: Der Heimatinstinkt, 2017
№ 31: Eckhard Fuhr: Schafe, 2017
№ 32: Ludwig Fischer: Brennnesseln, 2017
№ 33: Peter Krauss: Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?, 2017
№ 34: Wilhelm Lehmann: Bukolisches Tagebuch, 2017
№ 35: Johann Brandstetter, Josef H. Reichholf: Symbiosen, 2017
№ 36: Lothar Frenz: Nashörner, 2017
№ 37: Nan Shepherd: Der lebende Berg, 2017
sprachen der tiere._AC_UL320_SR236,320_№ 38: Richard Mabey: Die Heilkraft der Natur, 2017
№ 39: Josef H. Reichholf: Haustiere, 2017
№ 40: Beatrix Langner: Kröten, 2018
№ 41: Susanne Stephan: Nelken, 2018
№ 42: Rudolf Borchardt, Franck Hofmann: Der Deutsche in der Landschaft, 2018
№ 43: Roger Deakin: Wilde Wälder, 2018
№ 44: Eva Meijer: 
Die Sprachen der Tiere, 2018
№ 45: Peter Geimer: Fliegen, 2018
№ 46: Wilhelm Bode: Hirsche, 2018
№ 47: Terence Hanbury White: Der Habicht (erscheint Mitte Januar 2019)
№ 48: Bernd Heinrich: Leben ohne Ende, 2018
№ 49: Robert Macfarlane: Die verlorenen Wörter, 2018
№ 50: Jutta Person: Korallen. Ein Portrait. (Erscheint vorauss. 20.3.2019)

wanderfalke-9783882213935singt der vogel-9783957573933wölfe-9783957573339schnecken9783957571649schmetterlinge-9783957572493leben ohne ende 9783957576187naturkunden-programmvorschau-herbst-2013-matthes-seitzschweine-9783957570994Macfarlane_Umschlag_Entwurf_09.indd
 

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