Geschrieben am 8. Dezember 2018 von für Litmag, Specials, Verlust-Special 2018, Verlust-Special DUE

Hazel Rosenstrauch über Ulrike Heiders ’68er Erinnerungen

keineruheKeine Ruhe nach dem Sturm

Nicht immer, aber oft lasse ich Bücher zum Thema ’68 links oder rechts liegen, zumal wenn sie von selbstgewissen weißen alten zufriedenen Männern stammen. Dieses ist anders und, wenn ich richtig recherchiert habe, in der 3. Auflage erschienen. Wie der Name sagt, ist Ulrike Heider eine Frau, aber das alleine genügt bekanntlich nicht, um differenziert, genau beobachtend, farbig, aus der Distanz und trotzdem mit heißem Herzen zu schreiben. Vor allem: unideologisch, der genauen Beobachtung mächtig.

Sympathisch ist das Buch schon, weil Heider nicht für K-Gruppen, nicht für Idole und auch nicht für Verklärung oder obergscheite Postanalyse anfällig ist. Schade finde ich nur, dass sie die Frankfurter und nicht die Berliner Szene beschreibt, dann hätte ich nämlich die Namen gekannt und ihre Charakterisierungen von Mitbewohnern, Sponti-, Anarcho-, Hausbesetzer- und sonstigen Szenen einschätzen können. Am Anfang der Lektüre war ich irritiert über die Beschreibung der ungebrochenen wohlgenährten bürgerlichen Familien, zwischen denen sie aufwuchs. Mir war nicht klar, wie ungebrochen diese Kultur, auch in nicht-faschistischen Kreisen, sich in Deutschland erhalten hatte. Heider kommt aus gutem, kritischen, wenn auch nicht oppositionellen Haus und war in antiautoritären, spontanistischen, tendenziell anarchistischen Kreisen aktiv. Nach und zum Teil schon in den wilden Jahren hat sie sich theoretisch und studierend mit Anarchismus beschäftigt, Ende der 1980er Jahre ist sie nach New York gezogen, hat dort in WGs und verwahrlosten besetzten Häusern gewohnt, Anarchisten interviewt und die Gentrifizierung erlebt. Die Frankfurter Ereignisse (Besetzungen und Räumungen im Frankfurter Westend, Versuche, kriminelle und verwahrloste Jugendliche zu resozialisieren, Polizeieinsätze) wird mit den Interviews alter Anarchisten, Reflexionen und historischem Material aus den USA gegengeschnitten. Ob sie ein phantastisches Gedächtnis hat oder schon in den 60er/70er Jahren Notizen über Mitkämpfer, Mitbewohner und Gegner gemacht hat? Man sieht die Gestalten vor sich – Kleidung, Gesichtsausdruck, Stimme und hört die mehr und weniger verbohrten Ideologien im Dienste der jeweiligen Egozentrik. Und sie beschreibt die Konflikte, von denen sie zerrissen wird: „Kritik am Spontaneismus zu üben fiel mir lange schwer, weil ich mich noch immer als Anarchistin verstand. Spontaneität gehörte schließlich auch zu meiner Tradition, wie hätte ich dagegen sein können, ohne mich auf die Seite der K-Gruppen zu schlagen. … Nichts an den angeblich linksradikalen Genossen erinnerte an die Versammlung kritischer und engagierter Außenseiter, als die mir einst der SDS erschienen war.“

heider 2 81o5ZYI6PML

Erstausgabe von 2001

Es ist bei aller Kritik keine Abrechnung, sondern eine scharfe Beobachtung und faszinierende Beschreibung interessanter, mehr und weniger verrückter, mehr und weniger politischer oder drogensüchtiger Gestalten. Heider zeichnet die Gefühle von Aufbruch und Freiheitsgelüsten, Illusionen und Frustrationen so nach, dass sie im 21. Jahrhundert noch verständlich sind, ohne Sentimentalität, auch ohne Denunziation. Sie erinnert, wie brutal damals Jugendliche in Heimen behandelt wurden, wie gewalttätig manche Spontis waren, wie schon Anfang der 80er Jahre Ernst Jünger hofiert wurde und ehemalige Linke ihre Faszination für faschistische und antisemtische Helden entdeckten.

Der Text lebt durch eine in Deutschland eher ungewöhnliche Verschränkung eigener Erfahrungen, Geschichtskenntnis, Analyse und immer auch einem Hauch von Humor . Oder bilde ich mir das nur ein, weil ich Ähnliches erlebt habe, das wir damals überhaupt nicht komisch fanden?

Am Ende fliegt das Manuskript durch die Luft, das geerbte Geld, von dem sie eine schöne Wohnung kaufen wollte, verschwindet – die Geschichte nehme ich ihr nicht ab, aber unter literarischen Gesichtspunkten ist der Schluss gelungen.

Hazel Rosenstrauch


Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm. Bertz + Fischer, Berlin 2018. 308 Seiten, 6 Fotos, 18 Euro. Überarbeitete Neuauflage. Zuerst: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2001. Verlagsinformationen.

Hazel Rosenstrauch: 1945 in London geboren, schon lange in Berlin lebend, könnte die österreichische Kulturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Journalistin auf ein bewegtes publizistisches Leben oder einen Wikipedia-Eintrag zurückschauen, Faulenzen und Eitelkeiten aber sind ihre Sache nicht. CulturMag schätzt sich glücklich, ihr als Autorin gelegentlich Herberge geben zu dürfen. Ihre Texte bei uns hier. Zu ihrem Blog. Einer der letzten Beiträge dort, der alle zehn Jahre wiederkehrende Nostalgieblick auf 68. Eine Besprechung ihres Buches Karl Huß, der empfindsame Henker von Alf Mayer hier.
In Verlust UNO von ihr: Verlustanzeige einer Haltung: Über einen arg vermissten Menschenschlag – die Weltverbesserer der alten Art.

 

Tags : , , , , ,