Geschrieben am 1. August 2012 von für Litmag, Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Attilio Bertolucci

Assenza

Assenza,
più acuta presenza.
Vago pensier di te
vaghi ricordi
turbano l’ora calma
e il dolce sole.
Dolente il petto
ti porta,
come una pietra
leggera.

Abwesenheit

von  Attilio Bertolucci

Abwesenheit
brennender kann Gegenwärtigkeit nicht sein.
ein vages Gedenken an dich
ungenaue Erinnerungen
flirren durch diese ruhige
in milder Sonne daliegende Stunde.
Schwer und schmerzhaft das Herz,
das dich weiterträgt
wie einen leichten Stein.

Übersetzt von Carl Wilhelm Macke

 

In den Berichten über die im Mai von einem schweren Erdbeben erschütterte italienische Region Emilia (hier mehr bei CM), tauchte niemals der Name von Attilio Bertolucci auf. Dabei gibt es keinen zweiten Schrifteller, der dieser flachen, im Winter oft nebligen, im Sommer manchmal unerträglich schwülen Landschaft der Po-Ebene so viele Verse gewidmet hat wie der 1911 bei Parma geborene und im Jahr 2000 in Rom gestorbene Attilio Bertolucci. „La camera da letto“ (Das Schlafzimmer) ist ein großes, sich über viele Strophen hinziehendes Gedicht über die Emilia, über deren Menschen, deren Geschichten, deren Lebensgewohnheiten, deren Tagesrhythmus, deren Feste und Melancholien.

Wer von Italien mehr wissen will als die Anbaugebiete von erlesenen Weinen, Rezepte von guten Pastas und Adressen von Museen mit den besten Bildern aus Renaissance, der sollte „Camera da letto“ von Bertolucci gelesen haben. Nur leider gibt es dieses große Versepos nicht in deutscher Sprache und man muss schon sehr gut Italienisch verstehen, um die Gedichte von Bertolucci zu genießen.

Selbst die scheinbar einfachen kürzeren Gedichte wie das in Italien anlässlich von Nachrufen viel zitierte „Assenza“ ist mit seiner starken Emotionalität nur sehr schwer und immer unvollkommen ins härtere Deutsch zu übersetzen. Vielleicht findet sich ja doch noch einmal ein Verlag, der Attilio Bertolucci für das deutschsprachige Publikum entdeckt – endlich!

Carl Wilhelm Macke