Geschrieben am 22. Januar 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Michael Hamburger

HamburgerENVOI

Lebt wohl, Wörter.
Ich mochte euch nie,
der ich Dinge und Orte mag und
Leute am liebsten mit geschlossenem Mund.

Geht aus und verlauft euch in einer plappernden Welt, seid weniger als nichts, seid ein Vakuum, vor dem sich Wörter hüten, daß es sie nicht durch Saugen, seine einzige Kraft hineinzieht.

Das mag ich an euch, Wörter.
Selbstzerstört, selbstaufgelöst
werdet ihr getreu.
Welchem Sinn? Sagt mir das, Wörter.

Lauft, dann folge ich euch,
um euch nie einzuholen.
Kehrt um, dann laufe ich.
Also lebt wohl.

Michael Hamburger

Ein Übersetzer wird in dem Band, dem das Gedicht Envoi entnommen worden ist, nicht angegeben. Auch im Internet findet man keine englische Fassung des Gedichts. Man kann also davon ausgehen, daß der 1924 in Berlin geborene und ab 1933 in England lebende und dort auch 2007 verstorbene Michael Hamburger das Gedicht in deutscher Sprache verfasst hat.

Die übergroße Mehrheit seiner Gedichte schrieb Hamburger in englischer Sprache, aber der deutschen Kultur, Literatur und Sprache war er – trotz der schlimmen Erfahrungen seiner Familie in den Nazi-Jahren –  immer eng verbunden. Und wer die Gedichte von Hölderlin und Paul Celan in die englische Sprache übersetzt hat, muss das absolute Gehör für die Feinheiten der deutschen Sprache besitzen.

Michael Hamburger bin ich zum ersten Mal auf dem Lyrikertreffen 1991 in Münster begegnet. Mit großer Bescheidenheit saß da vorne auf der Bühne ein hagerer, schon etwas älterer Herr und las seine Gedichte, zuerst in englischer Sprache, dann in einer deutschen Übersetzung. Und als er dann Envoi vortrug, hat mich dieses Selbstgespräch des Dichters mit seinen Wörtern sprachlos gemacht, schier vom Hocker gerissen. Woher wusste Hamburger das von mir, der ich seit den Tagen als Mitarbeiter an einer Schülerzeitung immer und immer wieder diesen Kampf mit den Wörtern aufgenommen hatte?

„Lebt wohl, Wörter. Ich mochte euch nie.“ Haut ab, geht dorthin, wo der Pfeffer wächst und die Welt plappert, schwätzt und schwadroniert. Ich will euch nicht mehr sehen und hören und lesen… Aber vergesst mich nicht, so wie ich euch auch nicht vergesse. Ich mag euch ja, Wörter. Ohne Euch wäre die Welt sinnlos. Völlig verwirrt und hilflos entlässt das Gedicht von Hamburger dann den Dichter und den Leser. „ Lauft, dann folge ich euch, um euch nie einzuholen. Kehrt um, dann laufe ich. Also lebt wohl…“

Ein Gedicht“, so hat es Michael Hamburger einmal gesagt, „kann ein Monolog sein; aber es ist ein Monolog, der laut gesprochen wird.“ Bis zu der Begegnung mit Hamburger kannte ich nur lustig-putzige Geburtstagsreime oder, später dann, Gedichte, die mal mehr, mal weniger den Anspruch hatten, irgendwie die Welt zu verändern.

Die Lyrik von Hamburger hat mir dann die Fenster zu einem anderen, viel weiteren Verständnis von Lyrik geöffnet. „Gedichte“, um noch einmal Hamburger zu zitieren, „wollen und sollen in das sonst nicht Sagbare eindringen“.

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht wurde entnommen aus Michael Hamburger: Heimgekommen. Ausgewählte Gedichte. Hanser 1984. 112 Seiten. Eine Audiolesung von Hamburger finden Sie hier. Foto, Quelle. CulturMag-Nachruf zum Tod von Michael Hamburger.

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