Lobrede auf ein Kaninchen
Die „Reden und Einwürfe“ des Michael Krüger gegen die Schwatzflut unserer Tage. Von Carl Wilhelm Macke.
Schon bei der Lektüre des Titels kommt man ins Stolpern. Man erwartet Reden und Einwürfe des als klugen und ironischen öffentlichen Debattenredners bekannten Münchner Verlegers Michael Krüger. Aber von ihm sind doch schon Bände mit Reden, auch aus der jüngsten Zeit, auf dem Markt? Untertitel: „Gedichte“. Aber es soll sich doch um Reden und Einwürfe handeln, die man zwar in jeder erdenklichen Form halten kann, außer eben in lyrischer Verpackung. Und Gedichtbände sind von Krüger in den letzten Jahren auch bereits einige erschienen. Also beginnt man etwas irritiert das kleine feine Bändchen aus der Insel-Bibliothek aufzuschlagen. Und auch hier stößt man auf merkwürdige Titel. Eine „Rede des Immobilienmaklers“ oder eine „Rede des Urologen nach vierzigjähriger Praxis“, in der man einen langen, vielleicht auch launigen, mit vielen Anekdoten und Sticheleinen gegen die Krankenkassen gewürzten Lebensbericht erwarten würde. Und was schreibt Krüger? „Jetzt verstehe ich endlich/ Petrarcas Verhältnis zu Laura.“ Das war’s denn schon. Aber wer von den Hörern respektive Lesern dieser extrem minimalistischen Rede hat denn noch genau das hier angeführte Verhältnis präsent? Und wer kann es sofort in einen Bezug zur Tätigkeit eines Urologen bringen? Würde diese Rede in der von Krüger hier niedergeschrieben Form etwa vor einem Auditorium von Medizinern, Freunden und Angehörigen des ersten bis dritten Grades gehalten, würden sich alle Versammelten zunächst sprachlos anschauen und dann ihre noch vorhandenen – oder nicht mehr so schnell abrufbaren – Literaturkenntnisse zusammenkratzen, um sich nicht zu blamieren.
Der Untergang der Semmel
Oder nehmen wir die „Rede der Bäckersfrau“: „Früher/ hat uns der Inhalt/ viel bedeutet,/ besonders der Semmel, / heute die Form.“ Muss man mehr sagen über den rasanten Qualitätsverfall der früher mit handwerklicher Passion, heute mit industrialisiertem Massenstandard produzierten Semmel? Aber es sind nicht alle in diesem Band gesammelten „Reden“ so kurz und knapp „auf den Punkt“ gebracht. Die „Rede des Übersetzers“ etwa, die Krüger Friedhelm Kemp dem großen Übersetzer aus dem Französischen gewidmet hat. Hier kämpft ein Übersetzer um von einer Sprache in eine andere das Allerweltswort „Mond“ zu übertragen. „Mehr als hundert Mal habe ich/ den Mond übersetzt, den Freund/ der Dichter, ohne ihn zu verraten/ Ich habe ihn kursiv zerfließen lassen/ oder ihn halbfett ernährt,/ wenn er am Abnehmen war.“ Von anderen, längeren Reden in Form eines Gedichts oder Gedichten mit der Botschaft einer Rede können hier nur pars pro toto Titel aufgezählt werden: „Lobrede auf ein Kaninchen“ ( dem Verlegerfreund Wagenbach zugeeignet ), „Rede des evangelischen Pfarrers (über den verlorenen Gott), „Rede des Finanzbeamten“, „Rede des Postboten“, oder die „Rede des Betrunkenen“ („… Meine Hand zittert/ jetzt ist die Flasche leer. Ich werde/ nie mehr trinken …“).
Abgeschlossen wird dieser im Seitenumfang sehr bescheidene, an klugen, manchmal melancholischen, oft ironischen, immer widerspenstigen Gedanken so überreiche Band mit einem kurzen Nachwort des Autors. Jeden einzelnen Satz möchte man hier wiedergeben. Belassen wir es bei einer einzigen Beobachtung: „Einer, der schweigt, macht sich verdächtig, wahrscheinlich hat er etwas zu verbergen. Es gilt als Ausweis der Schwäche und Rückständigkeit, nicht überall seinen Senf dazuzugeben.“ Hier in diesem Band von Krüger fehlt dieser beklagte Senf in der Geschwätzigkeitssoße unserer Medien- und Aufmerksamkeitswelt vollkommen. Ein einziges Aufatmen – bevor man sich dann wieder die immer gleichen Reden von Politikern, Werbefritzen, Pressesprechern, Immobilienhaien, TV-Größen und Filmzwergen anhören muss. Dass man „gut aufgestellt sei“, alles „Sinn mache“, die „Chemie stimme“ und was sonst noch alles an rhetorischen Styropor-Floskeln so angeboten wird. Das Buch von Krüger ist nicht sehr viel größer als ein Handy. Man könnte es also immer bei sich haben als ein Buch der Ablenkung und des Trostes. Es geht auch anders …
Carl Wilhelm Macke
Michael Krüger: Reden und Einwürfe – Gedichte. Insel-Bücherei 1309. Suhrkamp Insel-Verlag 2008. 103 Seiten. 12,80 Euro.