Geschrieben am 19. August 2004 von für Musikmag

Archie Shepp & The New York Contemporary Five

Optimistische Energie

Übergangsphasen sind immer spannend. Deswegen begrüssen wir sehr die 24 bit remastered-Fassung der beiden alten Storyville-LPs des Konzerts, das Shepp & Co. am 15. November 1963 im Jazzhus Montmartre zu Kopenhagen eingespielt haben. Ornettes Coleman`s New Thing war das Paradigma dieser Jahre – und Colemans Geist schwebt auch hier über den Tönen. Und sein Intimus Don Cherry bildet die personelle Verbindung. John Tchicai ist am Altsaxophon zu hören, Don Moore am Bass und J.C. Moses am Schlagzeug. Shepps Tenorsaxophon passt noch perfekt in dieses Milieu (denn auch Colemans Musik war immer Blues-grundiert), und so machen sich die Fünf daran, an den Strukturen des Materials zu rütteln, ohne es beschädigen zu wollen. Freiheit sah man damals noch nicht in der De-Konstruktion, sondern im neugierigen Umbauen, im kreativen Erweitern, im Modifizieren.

Bei manchen Titeln, besonders gut bei Monks „Monk`s Mood“ zu hören, scheint die Nervosität des Bebop zurückgekehrt, die schnellen Läufe, die frappanten Wechsel. Bei „Emotions“ (ein Titel, den Komponist Coleman bis dato noch nicht selbst eingespielt hatte), befreien sich Tchicai, Shepp und Moses von der Standard-Chorusform, während Cherrys hohes Kornett über allem zu schweben scheint. Besonders bemerkenswert zwei Titel: Das Schielen der Formation auf die modale Konkurrenz von Miles Davis – „Trio“, ein Titel von Bill Dixon wartet mit einer kollektiven Improvisation auf (das wäre MD so, wie es sich hier anhört, zu weit gegangen), und „The Funeral“ von Archie Shepp, einem programmatisch-politischem Titel (der dem ermordeten NAACP-Funktionär Medgar Evers gewidmet ist) und in heftigem, emotionalen Schreien und Brüllen endet, das von Shepps sonorem Tenor kontrapunktiert wird.

Egal, welchen der insgesamt 10 Tracks wir genauer anschauen, jeder einzelne strahlt optimistische Energie, die Freude am Entdecken neuer Möglichkeiten, die Morgenröte von things to come aus. Und der spärlich-spröde Beifall des pp. Publikums signalisiert schon, dass sich der Jazz immer weiter vom breiten Publikum wegbewegte, je avancierter, ja, je besser er wurde. Die Dialektik der Kulturbewegung halt.

Thomas Wörtche

Archie Shepp & The New York Contemporary Five. Storyville 101 8385