Schmiegsame deutsche Sprache
– Wer „Matisse“ auf „Miles Davis“ so reimt, dass es auch noch hinhaut, der muss schon sehr entspannt sein, sehr souverän und humorbegabt auch. Also so, wie Céline Rudolph entspannt, souverän und humorbegabt ist. „Was meinen Sie“, fragt sie, „welche abenteuerlichen Reime ich mir verkniffen habe? Und selbst das kann man hören ….“. Was hier natürlich nicht verraten wird, nur so viel, dass tatsächlich mancher subtile Gag auf „Salvador“ dadurch entsteht, dass das Erwartbare eben nicht kommt, achten Sie mal auf „Pastis“.
Und darum geht es ja hier auch, um das nicht unbedingt so zu Erwartende: Um „Salvador“, die neue CD von Céline Rudolph, die sich nicht um ein südamerikanisches Land, sondern um die Musik des großen Henri Salvador dreht. „Aber wer der war“, sagte Céline Rudolph, „wissen in Deutschland nicht allzu viele Leute. Die Franzosen haben es auf unserem Musikmarkt schon immer schwer, wenn sie nicht gerade Patricia Kaas heißen und aus dem Elsass stammen.“
Kurzes Stichwort: Henri Salvador, 1917 – 2008; spanisch-karibisch-französisch; Django Reinhardt-Adept, später Co-Brain unter dem Pseudonym Henry Cording von Boris Vian. Chansonier, Jazzmusiker, Filmkomponist, TV-Star und vor allem ein großer Promotor brasilianischer Musik von Samba bis Bossa Nova, in dieser Eigenschaft von Kultusminister Gilberto Gil mit Orden und Ehren geschmückt, in Frankreich Mitglied der Ehrenlegion. Legende und eine ausgesprochen markante Persönlichkeit, mit elegantem Gesangsstil und eher virilem Charme. Paradoxerweise passt all das bestens zu Céline Rudolph – französisch-deutsch, mehrsprachig, dazu brasilianische Sozialisation. Studierte Philosophie und Rhetorik (!), dann doch lieber Musikerin in den verschiedensten Genres, Schülerin von David Friedman, Projekte mit Lauren Newton, Bobby McFerrin, Lee Konitz, Gary Peacock und anderen illustren Leuten.
Afrika und Südamerika gehören bei ihr genauso zu ihrem musikalischen Milieu wie Barock und Neue Musik, z. B. bei „Wide Unclasp“, dem „Liederzyklus für Frauenstimme und Jazz-Ensemble“ von Moritz Eggert oder Peter Fuldas – der auf „Salvador“ für die samtigen Streicher-Arrangements zuständig ist – Schönberg-Bearbeitungen. Fusion, Crossover, Genre-Hybride: an der musikalischen Biographie, an der Spannweite der Kreativität erweisen sich letztendlich Schubladen als nützliche Beschreibungen für die Darstellung des jeweils aktuellen Projekts, aber mehr auch nicht.
Kosmopolitischer Lebensentwurf und die stilistisch vielfältigen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten sorgen immer dafür, dass sich der eine Künstler im anderen erkennt, dass es zu Dialogen, Bearbeitungen, Übernahmen oder Hommagen kommt. Céline Rudolph und Henri Salvador sind so gesehen eine völlig logische und organische Kombination.
Die thematische Klammer heißt bei diesem Projekt natürlich Bossa Nova & Samba plus ….
Céline Rudolph hat sozusagen vor Ort gelernt, bei Rodolfo Stroeter in São Paolo, wo auch die meisten Tracks der aktuellen CD eingespielt worden sind, hauptsächlich mit brasilianischen Musikern. Und auch wenn der Ensembleklang deutlich Priorität hat, hört man doch manchmal ganz plötzlich und deutlich die Faser und Textur der Musik, so wie bei den manchmal glasklaren und transparenten Pianoeinwürfen von Helio Alves, um nur ein Beispiel zu nennen.
Aber für Puristen ist bei dem „Salvador“-Projekt wenig zu holen. Zu eng verwoben sind Chanson und Bossa Nova, Jazz und Samba, Song und scat. Wenig puristisch war ja schon die Idee von Salvador, südamerikanische Musik zu „französisieren“. Umso schöner die Idee, von Céline Rudolph, ihre Hommage an Brasilien und Henri Salvador nicht auf Portugiesisch (das sie beherrscht, wie wir spätestens seit „Metaflores“, ihre mit dem German Jazz Ward/ECHO Jazz ausgezeichneten 2010er-Produktion bei Enja, wissen) sondern auf Französisch und auf Deutsch einzuspielen; die französische Fassung von „Salvador“ erscheint übrigens gerade bei unseren Nachbarn. Die Übersetzung der Texte hat Céline Rudolph letztendlich selbst gemacht, nachdem andere Optionen irgendwie nicht gingen. Und musste sich dazu ganz schön als Sprach-Wizard betätigen.
Die schon oben angedeutete Humorbegabung hilft da doch erheblich, aber erstaunlich ist dennoch, wie biegsam und im besten Sinne schmiegsam die deutsche Sprache sein kann, wenn man klug und nicht unbedingt konventionell damit umgeht. Text und Melodie, Rhythmus und Aussage, Stimmung und Semantik, das muss ja alles zusammenlaufen, alles passen, alles sitzen. Vor allem da, wo´s inhaltliche sperrig wird, zum Beispiel bei „Die Eifersucht“ („La Jalousie“, bei Salvador), einem Text, an dem als einziger Ausnahme Marc Aschmann mit beteiligt war. Ein düster-bitteres Lied, musikalisch sehr minimalistisch angelegt (die Reduktion musikalischer Mittel ist hier ein Musterbeispiel von intelligentem Arrangement), das die Resignation der Aussage nicht in schwarzer Depression, sondern in eher fatalistischer Melancholie verortet.
Überhaupt Melancholie – keine Bossa Nova ohne tristeza, ohne saudade …, aber keine tristeza, keine saudade ohne dass diese Gefühlslagen sich nicht auch sexy anhören. Auch diese kleine Quadratur des Kreises, pas de problem…
Céline Rudolph schafft es, so natürlich und organisch zu phrasieren und zu klingen, als ob Deutsch eine völlig normale Sprache für Samba & Co. wäre. Damit sticht sie natürlich auch sehr heraus aus der Welle der neuen „Deutschheit“, die immer öfters zu eher grusligen und gequetschten Produktionen quer durch die Genres führen.
Die Musik auf „Salvador“, sagt Céline Rudolph in den liner notes zu der PR-Ausgabe der deutschen Fassung, „ist authentisch. Es ist für mich ganz natürlich, weil es französisch, brasilianisch, afrikanisch und deutsch auf einmal ist. Es ist so gewachsen, völlig organisch. Und auch wenn ich versuche, Bezüge zu Salvador und seiner Zeit, zu diesem Paris, in dem Juliette Greco und Miles Davis ein Traumpaar waren, herzustellen, ist es nie retro.“ Und was es auch sonst noch ist – Céline Rudolph, besteht massiv und sehr dezidiert darauf: „Ich bin Jazz-Sängerin. Das ist meine Basis, da komme ich her, diesen Grund verlasse ich nicht.“ Auch wenn sie neben Jazz- gleichzeitig Rock- und Popgesang als Professorin an der Dresdener Carl Maria von Weber Hochschule für Musik unterrichtet.
Bestens in die Jazz-Szene Berlins und Deutschlands ist sie sowieso eingebunden. Den Wechsel vom kleinen und feinen Enja-Label zur großen Universal Music Group, Abteilung „Verve“ sieht sie entspannt. „Reingeredet hat mir niemand, die Möglichkeiten sind natürlich anders“ – klar. Céline Rudolph wird zu Recht von allen Seiten gelobt und gefeiert; Erfolg und Anerkennung muss man nicht gleich mal sauertöpfisch als Hype abtun.
Thomas Wörtche
(Dieser Artikel beruht auf einem Gespräch, das TW im Mai mit Céline Rudolph geführt hat.)
Céline Rudolph: Salvador. Verve/UMG. Zur Homepage.