Standards, aufgebrochen
Solider, spannender und konzentrierter Kammer-Jazz, modal und/oder modern, nie postmodern, nie free, aber mit großer Freiheit gespielt, immer formgebunden. Von Thomas Wörtche
Vibraphon-und-Piano-Formationen, zumal auch noch als Quartett mit Bass und Schlagzeug, schleppen seit Lionel Hampton und Teddy Wilson, Milt Jackson und John Lewis oder Bobby Hutcherson und McCoy Tyner eine gewisse historische Last mit, weil es so viele wichtige Partnerschaften (verglichen etwa mit beliebigen Bläser-plus-Kombinationen) ja nicht gibt und gab.
Anyway, Pianist Ivo Neame, Vibraphonist Jim Hart, Bassist Jasper Hoiby und James Madden, allesamt junge Musiker mit Beachboy-Charme, zeigen sich von dieser Bürde erstaunlich unbeeindruckt. Das ist umso erstaunlicher und erfreulicher, als sie dennoch nicht auf die Idee kommen, das Rad neu erfinden zu müssen. Das heißt: Sie liefern auf Neames zweitem Leader-Album „Caught In The Light Of Day“ soliden, spannenden und konzentrierten Kammer-Jazz. Das ist modal und/oder modern, nie postmodern, nie free, aber mit großer Freiheit gespielt, immer formgebunden. Wunderbare Interaktionen, vertrackte Unisoni, kondensierte Soli, mit Ideen, die nicht nur kurz angerissen, sondern ausgelotet und ausgespielt werden.
Neo-konservativ
Neame und Co. machen im besten Sinn kompromisslose Musik – d. h. keine radikale Musik, aber solche, die nur ihrem eigenen Ideal und Idiom verpflichtet ist und sich nicht entlang irgendwelcher Trends bewegt. Man kann das schon fast wieder ’neo-konservativ‘ nennen, wenn damit nicht ein konservatives Verhältnis zu einer Tradition, sondern ein Beharren auf gewissen Musizierstandards gemeint ist. Und so brechen sie siebenmal auf, um zu schauen, was man mit Vibraphon, Klavier, Bass und Schlagzeug so alles machen kann.
PS: Ultracool sind die quietschblauen Espadrilles auf dem Coverfoto.
Thomas Wörtche
Ivo Neame: Caught In The Light Of Day. Edition Records (Vertrieb: Broken Silence).