Geschrieben am 2. April 2017 von für Musikmag, News

Jesus and Mary Chain: Damage and Joy

the-jesus-and-mary-chain-damage-and-joyÜber Jahre gewachsen

Neunzehn Jahre nach ihrem letzten Album sind Jesus and Mary Chain wieder da – und können sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen: Trotz der langen Abstinenz empfängt das Publikum die ergrauten, sonnenbebrillten Indie-Antihelden mit offenen Armen. Und warum? Weil The Jesus and Mary Chain (beinah) dasselbe machen wie immer.

Bei jeder anderen Band wäre das Prädikat „wie früher“ eine Umschreibung für Erstarrung und Einfallslosigkeit, nicht bei Jesus and Mary Chain: Die gute Nachricht zu Beginn ist nämlich, dass die notorisch verfeindeten Reid-Brüder zurzeit bestens zusammenarbeiten beziehungsweise, dass sie überhaupt zusammenarbeiten – zur Sicherheit holten sie sich allerdings zum ersten Mal einen Producer ins Studio: Niemand geringeres als Depeche-Mode-Produzent Martin Glover alias Youth bekam die Rolle des Schlichters und Impresarios zugewiesen. Youth führt mit Stringenz und Klarheit alle Fäden der Vergangenheit zusammen: Den 1985er-Trademark-Stil aus süßen Melodien im Feedbackrauschen, den William und Jim Reid aus der Trostlosigkeit von East Kilbride, Schottland in die Welt schickten, über den „sound of speed“ der Neunziger Jahre bis zum knochentrockenen Bluesrock, der die letzte Inkarnation von JAMC vor ihrem vorläufigen Split (das Album „Munki“ von 1998) auszeichnete.

Auch wenn die Band immer mal wieder anders klang, blieb das Jesus-And-Mary-Chain-Gefühl gleich: Weltekel, gepaart mit zutiefst romantischer Melancholie. Zigtausende Nachahmerbands mühen sich bis heute ab, an JAMC heranzureichen und müssen doch scheitern: Das neue Album unterstreicht das deutlich.

„Damage and Joy“ mag anno 2017 nicht mehr die revolutionäre, umwerfende Wirkung entwickeln wie einst „Psychocandy“, aber die Mischung aus jangelnden Gitarren, rauem Rock’n‘Roll und Jim Reids knurrigem, alterslosen Nicht-Gesang zum hellen Schellenkranz-Klingeln fasziniert sofort wieder. Die vorab veröffentlichten Singles „Amputation“ und „Always Sad“ klangen unverwechselbar nach JAMC, und die übrigen Stücke – bis auf das mit Streichern (!) ausgeschmückte „Los Feliz (Blues and Greens)“ – tun das auch. Jesus and Mary Chain zitieren sich genüßlich selbst, wobei das immer auch ein Beschwören der eigenen musikalischen Heroen wie Velvet Underground bedeutet.

Schwaden von Psychedelic-Rock im Geiste Hawkwinds wehen durch so manchen Song auf „Damage and Joy“, neben Garage-Elementen und genereller Sixties-Attitüde. JAMC sind so gestrig wie dein Opa (Lyrics über MTV und Kurt Cobain), aber auch zuweilen (mutmaßlich) selbstironisch, wenn der Mittfünfziger Jim Reid unerschütterlich über die „girls“ singt, die ihm begegnen. Apropos Girls: Ursprünglich war „Damage and Joy“ als Duett-Album geplant, auch das eine zärtliche Referenz an sich selbst, man denke an die 1994er-Single „Sometimes Always“ mit Hope Sandoval von Mazzy Star und den ersten Comeback-Auftritt beim Coachella-Festival 2007 mit Scarlett Johansson. Die Idee wurde immerhin in knapp der Hälfte der Songs mit den Gastsängerinnen Isobel Campbell, Sky Ferreira, Bernadette Denning und Reid-Schwester Linda Fox* verwirklicht: Jim Reid genießt die Rolle des grumpy old man mit Hang zur komplizierten oder gleich vergeblichen Beziehung offensichtlich, und besonders Ferreira gibt seinen kongenialen Gegenpart: „Black and Blues“ ist eins dieser Stücke, die sich auf immer in Herz und Hirn fräsen; räudig, creepy, unterschwellig sexy, großartig.

„Damage and Joy“ ist kein überstürztes Comeback-Album, sondern über Jahre gewachsen: Einige Songs wurden von Jim Reid bereits solo aufgenommen, das treibende, eingängige „All Things Must Pass“ beispielsweise war in der TV-Serie „Heroes“ zu hören. Ob dunkler Blue oder bittersüße Ballade: Auch in ihrer 2017er-Version kreiert die Band, zu der zurzeit Youth, Schlagzeuger Brian Yound und Bassist Phil King (Lush) gehören, diese unvergleichliche Atmosphäre, die dich gleichzeitig heulen und Fensterscheiben einwerfen lässt.
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Dass die Reid-Brüder laut eigener Aussage keine aktuelle Musik hören, glaubt man ihnen sofort: Sentimental und starrsinnig halten sie am eigenen Vermächtnis fest – und ehrlich gesagt hätte diesem Album nichts Besseres passieren können.

*Linda Reid-Fox veröffentlichte vor einigen Jahren als Sister Vanilla das Album „Little Pop Rock“
Video „Always Sad“:

Christina Mohr

Jesus and Mary Chain: Damage and Joy. Warner.
JAMC auf Tour in Deutschland:

20.4.17 Darmstadt, Centralstation
21.4.17 Hamburg, Fabrik
24.4.17 Berlin, Huxley’s
25.4.17 Köln, Music Hall
Lesetipp: In der Bloomsbury-Reihe “33/3” erläutert die New Yorker Autorin Paula Meija die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des epochalen JAMC-Albums „Psychocandy“ unter besonderer Berücksichtigung der Lebensumstände in East Kilbride. Sehr lesenswert.

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