Geschrieben am 27. April 2011 von für Musikmag

Live-Klassiker – Ramones: It’s Alive (1979)

In sehr loser Folge wollen wir an dieser Stelle an Live-Alben der Rock- und Popgeschichte erinnern, die zu Klassikern geworden sind. Und es geht gleich gut los:

Hey! Wir sind die Ramones, das hier ist „Rockaway Beach“!

1-2-3-4: 28 Absätze zu „It’s Alive“ von Matthias Penzel.

Anlegen will man sich mit Ramoniacs nicht. Aber man be­findet sich auf einigermaßen sicherem Terrain, be­hauptet man mal so: So richtig angekommen sind sie hier erst mit einem Auftritt im »Musikladen«.

It’s Alive“, aufgenommen Silvester ’77 in London. Das war der Ort, an dem man zu der Zeit zu sein hatte. Das war das Venue. Und das war der Sound: 28 Songs, vier Plat­tenseiten lang.

Nach weniger als einer Stunde ist alles vorbei.

Das mit dem »Musikladen«, das war 1978. Auch Kon­zert in der Hamburger Markthalle. Ist den Erin­ne­rungen eines Ber­liners zu trauen, dann leg­ten sie auf der Tour auch einen Stopp in Berlin ein. Im Neue Welt. Ja, ja, später Huxleys Neue Welt, zwischen Bowling-Center und Kebab-Stube. Davon er­zählte gerade neulich Alex Hacke. Von den Neubauten. Nicht zu verwechseln mit Axel Hacke, dem von der SZ, dem mit »Der weiße Neger Wum­ba­ba. Kleines Handbuch des Ver­hörens«.

Im Sommer ’74 gegründet, ein Jahr spä­ter von Rick Der­ringers Blue Sky Records zu ei­nem Vor­spieltermin ein­ge­laden, war im Sommer ’76 klar, wie die Ramones klangen, wie die Ramones klingen und wie die Ramones immer klingen sollten.

Andere machten Songs über Autos oder Girls. Wir, sagte einmal Johnny Ramone, konnten nicht darüber singen, weil wir keine hatten. Also machten die vier Ramones Songs über das, was sie kannten. Oder fürchteten. Oder zum Lachen fanden. Oder zum Kotzen. Klebstoff­schnüf­fe­lei, Hirnwäsche, Eier­köp­fe und so.

Lutscher hieß ein Typ, den ich damals kannte. Der hatte an die 400 Platten. Jeder von uns hatte so um die fünf­zig, höchstens hundert Platten. Lutscher hatte alles, Metal, Dictators, Stooges, Hardcore. Die meisten hatte er nie gehört. Keine von seinen Platten kannte Lutscher sonderlich gut. Nur die Sachen einer Band. Die erkannte er in Sekunden. Lutscher wusste, welcher Song, welches Album, welche Plattenseite. Manchmal er­kannte er einen Song schon am 1-2-3-4.

Die Ramones hatten alle denselben Nachnamen, waren kei­ne Brüder, behandelten sich aber wie welche: Sie rede­ten wenig miteinander. Viel spricht dafür, dass sie sich hassten. Der Sänger, der mit der Brille, der lange, Joey: starb 2001. Johnny, der Gitarrist, 2004. Dee Dee, der irgend­wann ausgestiegen war, starb 2002. Heroin. Es gab auch andere, die ausstiegen, verschwan­den und zurück­kamen. Drummer. Zählen nicht. Und CJ, Er­satz für Dee Dee.

Für den Vorspieltermin ’75 vermittelte Blue Sky Records der Band einen Gig im Vorprogramm von Johnny Win­ter. Vor 20.000 (Waterbury, Connecti­cut).

Joey hat in dem Film »Hard Core Logo« einen seiner letzten Auftritte. »Hard Core Logo« ist die Story einer Band, mehr Longpoem als Prosa. Den Au­tor, Michael Tur­ner, kennt man von »Das Ge­dicht des Pornographen«, mehr Roman als Gedicht. Zu „It’s Alive“ sagt er: „Hab ich im­mer noch. Wo ich sie mir jetzt noch mal angehört habe, fiel mir mehr dieses Schonungslose auf als die Songs selbst. Die Songs, wunderschön kompakt und simpel; ei­ner nach dem anderen, unterbrochen, meistens, nur vom 1-2-3-4 am Ende jedes Songs, und dann der nächste. Wer Kubricks »Shining« gesehen hat, weiß, was ich meine, wenn mich das an den kleinen Jungen erin­nert, der mit seinem Dreirad durch die Korridore des Overlook Hotels rast. Fußboden (laut), Tep­pich­boden (leise), Fußboden (laut), Teppichboden (leise). ‚It’s Alive‘ hat etwas von diesem seriellen Pattern; und irgendwo ist immer auch das da, was der Junge irgendwann am Ende des Gangs vor­findet: die Zwil­lingsschwestern, ermordet von ihrem Va­ter, die ihn fragen, ob er mitkommt, in den Tod, als Toter.“

Als sie im Sommer ’76 erstmals in London auf­traten, wa­ren sie fast Synonym mit CBGB, dem Schuppen auf der Bo­wery. Ein Name, ein Logo, ein Laden voller attitude: 1-2-3-4 Buchstaben, auf T-Shirts in aller Welt zu bestaunen: Bumm-Bumm-Bumm-Bumm! Bei dem Auftritt in London waren wenige Zuschauer, darunter The Clash, Damned, Johnny Rotten. Die machten danach einfach los, schrieben Geschichte. In den Toilet­ten back­stage teilten sich Dee Dee und Sid Vi­cious Betäubungs­mit­tel. Ins Klo griff nur Sid, wie in der Jugendver­schwen­der-Doku »Please Kill Me« nachzu­lesen.

Der beste Band-Bio-Comic in der Reihe »Hard Rock« („Un­authorized and proud of it“) ist der über die Ramones, Unter­titel: »The Birth Of Punk«.

The Ramones: The Birth of Punk, 1

The Ramones: The Birth of Punk

Ein paar Häuserblocks entfernt von CBGB, und doch Wel­ten von den Vororten Queens und Forest Hills, wurden die Ramones am 18. März 2002 im Waldorf Astoria Hotel in die Rock And Roll Hall Of Fame aufge­nom­men. Die Fest­rede hielt Eddie Vedder. In den USA ist bis heute nur ein einziges ihrer Alben ver­gol­det worden: „Ramones Mania“, 1994. Die erste Gold-Trophäe, die Johnny erhielt, schickten Skid Row, die erste für Joey kam von den Toten Hosen – beide wegen Ramones-Coverversionen.

Dee Dee kannte Johnny aus der Nachbarschaft. Dee Dee woll­te singen, Johnny hatte einen Bass. Johnny spielte mit Mickey Leigh in einer Band. Mickeys Bruder hieß Jeffrey und sang bei Sniper. Jeffrey nannte sich Joey – und sollte trommeln. Auf der Suche nach besseren Aus­sichten hingen Dee Dee und Johnny auf den Dä­chern der Häuserblocks rum. Rauch­ten und quas­sel­ten und schwiegen. Unten wollte eh kei­ner was mit ihnen zu tun haben. Schnüffelten Klebstoff. Joey war lang wie eine Bohnenstange, die Luft da oben ganz seine Welt. Er reagierte kaum, wenn man mit ihm sprach. Joey sah auch fast nix. In den Straßen und Hin­terhöfen der Kindheit gab es keine Blumen, auch keine Blumen­kin­der. Joeys Band Sniper spielte so Glam/Glit­ter-Zeug; trat im Coventry auf, einem Schuppen in Queens. Im Vil­lage verkaufte Joey in Acryl getränkte Plastikblumen, Bilder mit Gemüse drauf und so Zeugs. Johnny spielte in der Highschool bei Tangerine Puppets. Deren Gitarrist war Tommy. Guter Typ, konnte einwandfrei bis vier zäh­len. Danach machte Tommy was anderes. Er bekam ei­nen Job als Toningenieur. Bei Performance Studios. So eine Art Studio- und Proberaumkomplex, wo die Ramones erste Gigs spielten. Eintritt: $2,00. Außer Freunden kam so gut wie niemand. Dee Dee, der singen wollte, schrie sich schnell heiser, wechselte zum Bass, Johnny zur Gitarre, Joey ans Mikro, und der einzige Musiker wurde Trommler. Der lebt noch und stellt sich als Architekt der Ramones dar.

Dann kannte ich einen anderen Typen, der nannte sich Joey. Der fuhr für das Konzert in Hamburg 600 Kilo­me­ter. Den kann man heute noch anrufen, dann leiht er ei­nem „It’s Alive“ aus. Weil er ehrlich, straight, we­nig subtil ist, be­schmipft er einen vorher noch, dass man das Album nicht selbst hat. Einmal, backstage bei den Hosen, traf er Dee Dee. Er ging zu ihm hin und sagte, diese Rap-Sache, die Dee Dee nach seinem Split von the brudders vorgelegt hatte, war scheiße. Zu einem weite­ren Gedankenaustausch, so einer Art Ge­spräch zwi­schen Dee Dee King und Joey aus Heidelberg wollte es da­nach nicht mehr kom­men. So ist der Typ halt: ehrlich, straight, wenig subtil. Warum kenne ich nur Typen wie Lutscher und Joey? Weit und breit keine Sheena, keine Judy oder Headbanger Suzy…

So wie Dee Dee und Johnny kam Joey in der Schule mit niemandem klar und in der Nachbarschaft auch nicht. Er war von Geburt an krank, litt an manischem Verfolgungswahn und allen möglichen anderen Hang-ups. Dee Dee litt an schizophrenen Schüben und Auto-Aggression – typisch für einen mit Papa aus der Army, blauäugige Mama aus Berlin. Joey und Tommy sprachen fast nie darüber, dass sie aus jüdischen Elternhäusern kamen.

Der erste richtige Drummer (nach Proben mit Joey, der zum Sangesmikro wechselte) war also Tommy, geboren in Ungarn, Kind von Holocaust-Flüchtlingen. Dann kam Marky. Der hieß vorher Marc Bell, hatte mit Richard Hells Voidods „Blank Generation“ ein­ge­spielt. Davor, was nicht jeder weiß, zwei Alben mit Dust. Für ein Plattenlabel, Kama Sutra, dessen Teilhaber als Abzocker mehr berüch­tigt als berühmt wurden und deren Vertrieb Buddah in Mafiaprozessen Erwähnung fand.

Nach Marky kam Ritchie, dann El­vis, der am meisten ver­ges­sene Ramone. Man kannte sich. Von CBGB’s und der Szene da. Elvis Ramone half bei zwei Gigs aus (Ende Au­gust 1987 in Providence, Rhode Island, und Tren­ton, New Jersey). Abseits davon nannte er sich davor und danach Clem Burke – und trommelte u. a. bei Blondie.

Als „It’s Alive“ aufgenommen wurde, waren drei Alben er­schienen: „Ramones“, „Leave Home“ und „Rocket To Russia“. Dann „Road To Ruin“. Darauf war erstmals so eine Art Bal­la­de („Questioningly“). Und so eine Art Gitarrensolo („Go Men­tal“). Danach erschien „It’s Alive“.

Die Ramones spielten über 2.000 Auftritte. Un­ter den irr­sinngisten Bedingungen. Eins machten the brudders nie: fadderland US of A während der Baseball-Saison ver­­las­sen.

In dem Film »Bikini Bandits Go To Hell« mimt Dee Dee den Papst; gegenüber May­nard James Keenan als Teu­fel … und Jello Biafra als „Evil Porn Director“. Im sel­ben Jahr, 2002, spielte Johnny in dem Low-Budget-Sci-Fi-Streifen »Stranded: Náufragos« mit. Kommt einem spa­nisch vor? War es auch.

Johnny schämte sich für die Anti-Reagan-Mes­sage in „Bon­zo Goes To Bitburg“. Johnny, über­zeug­ter Repu­bli­ka­ner, beinharter Sammler von Base­ball­karten (auch Nazi-Devotionalien) und Yankees-Fan, war nach frühen Gigs der Ramones beleidigt, als Lou Reed riet, er solle sich eine richtige Gitarre besorgen. Johnny behielt seine Mosrite, ein Modell, das außerhalb der Countryszene kaum Beach­tung fand.

An den Auftritt im Savoy Tivoli, San Fran­cisco, im Au­gust 1976, erinnert sich V. Vale, Ma­cher von »Search & Destroy« und RE/Search-Heraus­geber: „Dreißig Leute wa­ren im Publikum, hinter mir ein wüster Haufen, seltsam gekleidete Mu­si­ker­typen, zu dunkel für Kalifornien – wie Abkömm­linge von Warhols Factory. Später erfuhr ich, dass das Mitglieder der Nuns waren, einer der ersten Punkbands in San Francisco. Das war Jahre vor MTV. Wenn damals im Fern­sehen Musik kam, dann so was wie ELP, wo ei­ner hoch oben in der Luft an einem Kon­zert­flügel Sal­tos machte. So was wie die Ramones hat­te ich nie zuvor gesehen.“

Am 13.11.1978 spielten sie im Vorprogramm von Black Sab­bath (und einer neuen Band aus L.A.: Van Ha­len) in Atlanta. Im De­zem­ber spielten sie bei den vorerst letz­ten Sab­bath-Shows mit Ozzy Osbour­ne (und ohne Van Halen in San Bernar­di­no, Long Beach, Phoenix).

Jeder hat seinen Lieblings-Beatle, jeder hat seinen Lieb­lings-Ramone. Der Taufpate der Ramones war ein Beatle. Paul Ramone nannte sich sonst Paul McCartney, und er war der Bassist. Das mochte ja noch angehen, aber dass Ramones-Bassist und Namensfinder Dee Dee sich selbst den Vornamen eines Mädchen gab, das fand Johnny unmöglich. Hasste er.

Richard Reinhardt nannte sich bei Velveteen Richie Beau. Am 13.2.1983 trommelte er das erste Mal für die Ra­mones. Als Ersatz für Marky. Be­fragt, was aus ihm ge­worden sei, sagten the brudders, er habe mehr Geld ge­wollt, werde sich jetzt wohl Led Zeppelin anschließen. Vier Jahre und 500 Konzerte später (am 12.8.1987) hatte Richie genug. Stieg aus. In dem Film »End of the Centu­ry: The Story of the Ramones« sieht er mit Krawatte und Hemd aus wie ein Banker. Dass er, so wie alle Ramones-Drummer überlebt hat, die anderen Drei nicht, dass das Ende so ist wie das Gegenteil von Spinal Tap: ärgert die besonders ernsthaften Ramones-Maniacs ungeheuer.

Joey und vielleicht auch Dee Dee waren das politisch gute, also linke Gewissen der Band. Joey der Beatnik. Tommy und Marky kaum auseinan­der­zuhalten, Drummer halt. Von seinen Fans wurde Johnny gern das Hirn genannt, also geschäftlich… Wie?!?! Ja, ja, also, rein geschäftlich. Johnny wählte nicht nur konserva­tiv, er war das auch. Keine Drogen, keine Ex­zes­se. Hätte er nicht die ganzen Gigs gebucht, wie sonst hätten sie je Kohle gemacht? Wie sonst hätte es Johnny geschafft, kein Footballmatch zu verpassen? Sie verdienten vor allem nach ihrem Tod sehr viel, vor allem mit dem Verkauf von Schlüsselanhängern, Handtäschchen und T-Shirts (auch im Angebot bei Tchibo, direkt neben den Motiven Rolling Stones und Beatles).

Matthias Penzel

The Ramones: It’s Alive. Sire Records Erschienen: 1979. Aufgenommen am 31. Dezember 1977 im Rainbow Theatre in Finsbury Park, London.

Besetzung: Johnny Ramone (Gitarre), Joey Ramone (Lead Ge­sang), Dee Dee Ramone (Bass), Tommy Ramone (Schlagzeug)

Songs:

1. Rockaway Beach

2. Teenage Lobotomy

3. Blitzkrieg Bop

4.I Wanna Be Well

5. Glad To See You Go

6. Gimme Gimme Shock Treatment

7.You’re Gonna Kill That Girl

8. I Don’t Care

9. Sheena Is A Punk Rocker

10. Havana Affair

11.Commando

12. Here Today, Gone Tomorrow

13. Surfin’ Bird

14.Cretin Hop

15. Listen To My Heart

16. California Sun

17. I Don’t Wanna Walk Around With You

18. Pinhead

19. Do You Wanna Dance?

20. Chainsaw

21. Today Your Love, Tomorrow The World

22. Now I Wanna Be A Good Boy

23. Judy Is A Punk

24. Suzy Is A Headbanger

25.Let’s Dance

26. Oh Oh I Love Her So

27. Now I Wanna Sniff Some Glue

28. We’re A Happy Family

THE RAMONES: IT’S ALIVE

Sire Records

Erschienen: 1979

Aufgenommen: Am 31. Dezember 1977 im Rainbow Theatre in Finsbury Park, London

Besetzung: Johnny Ramone (Gitarre), Joey Ramone (Lead Ge­sang), Dee Dee Ramone (Bass), Tommy Ramone (Schlagzeug)

Songs:

1.Rockaway Beach

2.Teenage Lobotomy

3.Blitzkrieg Bop

4.I Wanna Be Well

5.Glad To See You Go

6.Gimme Gimme Shock Treatment

7.You’re Gonna Kill That Girl

8.I Don’t Care

9.Sheena Is A Punk Rocker

10.Havana Affair

11.Commando

12.Here Today, Gone Tomorrow

13.Surfin’ Bird

14.Cretin Hop

15.Listen To My Heart

16.California Sun

17.I Don’t Wanna Walk Around With You

18.Pinhead

19.Do You Wanna Dance?

20.Chainsaw

21.Today Your Love, Tomorrow The World

22.Now I Wanna Be A Good Boy

23.Judy Is A Punk

24.Suzy Is A Headbanger

25.Let’s Dance

26.Oh Oh I Love Her So

27.Now I Wanna Sniff Some Glue

28.We’re A Happy Family

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