Nicht everybody`s darling
Jede Art von verbaler Deutlichkeit ist durch Nauras primäre künstlerische Arbeit gedeckt und last not least durch seine Qualitäten als bedeutender Pianist. Von Thomas Wörtche
Noch schnell bevor das Michael-Naura-Jubeljahr (75. Geburtstag) zu Ende ist, der auch durchaus als last minute-Geschenktipp für Jazzfreunde gemeinte Hinweis auf die „Naurabox“. Sechs CDs zu Ehren des großen Pianisten, Impressarios, Radio-Redakteurs, Spiritus Rectors, Jazz & Lyrik-Aktivisten und Kritikers Michael Naura, die versuchen, alle diese vielen, vielen Facetten aufscheinen zu lassen. Neben wunderbaren Radiofeatures und Kritiken (meine Lieblingsstücke sind u.a. eine Verteidigung von Diana Krall unter besonderer Berücksichtigung der Blondheit in Kulturgeschichte und Gegenwart gegen ihre maliziösen Kritiker, und ein Miles-Davis-Nachruf, der wirklich eine Hommage ist und kein blödes Geschwätz – als Kontrast lese man mal nur so aus Daffke das dumme Zeug von Jörg Laederach aus dem SPIEGEL von damals nach, um zu sehen, auf welchem Niveau sich dagegen Michael Naura bewegt …), die auf der CD „Naura Musikologisch“ zusammengefasst sind. Naura hat immer deutliche Worte gesprochen, hat die Kunstform der Polemik geliebt (und wie viele Polemiker darunter leiden müssen, dass viele schlichtgemütigen Menschen die Polemik nicht als Spiel- und Textform erkennen und sich sofort beleidigt, gekränkt und gebasht fühlen wollen) und ein paar unangenehme Wahrheiten formuliert, die ihn nicht unbedingt zu everybody´s darling gemacht haben.
Gedeckt allerdings ist jede Art von verbaler Deutlichkeit durch Nauras primäre künstlerische Arbeit – Jazz & Lyrik u.a. zusammen mit Peter Rühmkorf und mit eigenen Texten – und last not least durch seine Qualitäten als bedeutender Pianist. Anbetungswürdig präzise und genau im Duo mit dem Vibraphonisten Wolfgang Schlüter; genauso auf Weltniveau in größeren Formationen live und im Studio mit Größen wie Ack van Rooyen, Albert Mangelsdorff, Klaus Doldinger et al …
Alle CDs sind randvoll gepresst, dazu ein 64-seitiges, sehr liebevoll gestaltetes Booklet mit lustigen Fotos (so sah man also aus, damals) und feinen, kleinen Materialien wie Briefauszüge, Programmzettel, einer Menge Ambiente und Kontexte aus den Frühzeiten der bundsrepublikanischen und Hamburger Jazzszene etc. … Dazu jede Menge Zeichnungen von Naura selbst – witzig -, und einem kleinen Vierzeiler, der alles sagt:
Spießer Blues
Immer höflich
Immer leise
Nur im Innern
Piept die Meise.
Genau! Und die „Naurabox“ sollte man schon haben.
Thomas Wörtche
Michael Naura & div.: Naurabox. 6 CD-Set. Gateway4m.