Geschrieben am 24. August 2013 von für Bücher, Crimemag

Alf Mayers Blutige Ernte: Ava Lee

Ian_Hamilton_Die_wilden_Bestien_von_WuhanZweite Klasse

– Ava Lee: weiblich, ledig, weltgewandt. Alf Mayer porträtiert die Figur von Ian Hamilton, die nichts in der First Class zu tun hat.

Wir treffen sie am Anfang der „Wilden Bestien von Wuhan“ in Willemstad, der Hauptstadt von Curaçao, als sie gerade Luft schnappt von einer Familienkreuzfahrt. Es folgt ein wenig Sightseeing, das Kura-Hulanda-Museum mit einer bedeutenden Ausstellung zur Geschichte des Sklavenhandels, die Synagoge mit einem Sandboden aus der Wüste Sinai. Dann klingelt Ava Lees Handy, ihr Onkel aus Hongkong ruft an. Eigentlich stammt er aus Wuhan, das ist die Hauptstadt der Provinz Hubei. Onkel hat einen Auftrag vom Kaiser von Hubei. Wong Changxing will zwar nicht so genannt werden, aber er ist ein für Ava Lee interessanter Klient, also sagt sie zu, bricht ihre Kreuzfahrt ab, lässt sich zum Hato Airport von Curaçao fahren. Dort gibt es kein WLAN, aber Ava Lee wird ihre Mails eh noch öfter checken. Der Flug in der Business Class erweist sich als „halbwegs annehmbar“.

Realitätsbeweis per product placements

Der Einstieg ist symptomatisch. Als Leser wird man dauernd huckepack mit ins Taxi oder Flugzeug verfrachtet, kommt herum und liest Urteile über allerlei Dienstleistungen im Stil von Reisebewertungen. Das eigene Markenwissen wird bedient, abgefragt oder erweitert, je nachdem wie man solch dauerndes product placement wahrnehmen will. (Übrigens irritiert mich damit auch George P. Pelecanos in seinen jüngeren Romanen.)

Ian_Hamilton_Der_Jünger_von_LasVegasAva Lee ist Wirtschaftsprüferin, wohnt in Toronto und ist ständig rund um die Welt in Bewegung. Sie und ihr Onkel haben sich darauf spezialisiert, bei größeren Gaunereien mit unkonventionellen Methoden einzugreifen und verlorenes Gut oder Geld wiederzubeschaffen, gegen gutes Honorar versteht sich. „Ein Racheengel des Wirtschaftsverbrechens“ sei sie, so ihr Schöpfer, der Kanadier Ian Hamilton. (Nun, sie hat null Probleme damit, Schuldeingeständnisse per Folter zu erzwingen.) Hamilton war Journalist, bevor er für die kanadische Regierung arbeitete, was sich immer gut anhört, und dann als Geschäftsmann, etwa im Seafood-Business, gute 20 Jahre durch die ganze Welt und besonders durch Asien reiste.

Das bildet sich in den bisher fünf Ava-Lee-Romanen ab, jeder von ihnen führt um den Globus, meist auf Business- oder First-Class-Flügen. Insofern passen auch die handschmeichlerischen, mittelformatigen, mit Lesebändchen versehenen Hardcover-Ausgaben aus dem Verlag Kein & Aber. Mit ihnen kann man – und frau – sich auch in der Airport-Lounge sehen lassen.

Die Jet-Set-Heldin Ava Lee trägt Markenware; wie bei diesen unten laufenden Textbändern auf bestimmten TV-Stationen werden wir fortwährend darüber informiert, auch etwa darüber, dass Ava ihre Tank-Francaise-Uhr abnimmt, bevor sie in die Badewanne steigt. Bei High Heels für mehr als tausend US-Dollar zuckt sie zwar ein wenig mit der Wimper, aber denkt sich dann: Ach was, ich setze sie einfach aufs Spesenkonto. Hier ein Zitat:

„Ava kleidete sich schon seit Jahren fast ausschließlich bei Brooks Brothers ein. Die edle wie maßgeschneidert wirkende Kleidung passte zum Image der seriösen, professionellen Wirtschaftsprüferin, das sie nach außen hin verkörpern wollte. Bei 1,62 Meter Größe und fünfzig Kilo Gewicht hatten sie einen schlanken, straffen Körper, obwohl sie für eine Chinesin ungewöhnlich viel Oberweite hatte – sie gehörte zum kleinen Prozentsatz der Frauen, die auf einen Wonderbra verzichten konnten. Ihre Beine und Po waren dank Jogging und jahrelangem Bak-Mai-Unterricht durchtrainiert.“

Ian_Hamilton_Die_Wasserratte_von_WanchaiNein, Modesty Blaise ist sie nicht

Bak-Mai ist eine nicht uninteressante Kampftechnik, aber darüber erfahren wir ausgesprochen wenig. Ein weiteres Charakteristikum hält Ian Hamilton sich als Geniestreich zu Gute, „I had the brilliant idea to make her gay“, brüstete er sich in einem Interview. Ava Lee ist lesbisch und keine Kostverächterin, es gibt eine nette Diskussion über sie in der internationalen Gay Community. Die „Wilden Bestien“, die im letzten auf Deutsch erschienen Roman bearbeitet werden, sind übrigens die „Fauves“, eine Gruppe französischer Maler zu Beginn des 20. Jahrhunderts: André Derain, Georges Braque, Raoul Dufy, Maurice de Vlaminck und Edgar Monet. Es geht um Kunstfälschung im großen Stil. Beschrieben werden die Kunstwerke wie Börsenpapiere – es fehlt ein wenig Herzblut in den Ava-Lee-Büchern. Leicht verdauliche Reisekost eben.

Die Vergleiche mit Modesty Blaise können nur von jemandem stammen, der niemals Peter O’Donnell las, die Unterschiede liegen weiter auseinander als Economy und First.

Alf Mayer

Die Ava-Lee-Romane von Ian Hamilton, erschienen bei Kein & Aber:
Die Wasserratte von Wanchai (The Water Rat of Wanchai). Kein & Aber, Zürich 2011. Zur CULTurMAG-Rezension.
Der Jünger von Las Vegas (The Disciple of Las Vegas). Kein & Aber, Zürich 2012.
Die wilden Bestien von Wuhan (The Wild Beasts of Wuhan). Kein & Aber, Zürich 2013.
The Red Pole of Macau. Toronto, 2012. The Scottish Banker of Surabay. Toronto, 2013.
Die drei bisher auf Deutsch vorliegenden Romane wurden von Simone Jakob übersetzt.
Zur Homepage von Ian Hamilton.

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