Geschrieben am 19. September 2009 von für Bücher, Crimemag

Allan Guthrie: Hard Man

Ein dreibeiniger Hund und Jesus

Es gibt Bücher, die man mit größtmöglichem Wohlwollen in die Hand nimmt. Was nicht dasselbe ist wie hohe Erwartungen, überhaupt nicht. Hohe Erwartungen hat man an, sagen wir, Ian Rankin. Nein, ganz einfach nur die Sorte Wohlwollen, die einen über mittelmäßige Witzen lachen und schlechte Episoden der Lieblingsfernsehserie durchwinken lässt. Bücher, denen man mit diesem Wohlwollen begegnet, sollten leichtes Spiel haben und müssten sich schon sehr anstrengen, um es zu versemmeln. Also war Henrike Heiland wohlwollend, als sie Allan Guthries Hard Man zur Hand genommen hat. Das hat sich dann hurtig geändert.

Tartan Noir und Edinburgh sind zum Beispiel wohlwollenauslösende Schlagworte. Etwas, auf das man sich freuen will. Allan Guthrie wird außerdem als Geheimtipp und Besonderheit gehandelt, was dem Wohlwollen noch so eine Art weiche Decke unterschiebt. Aber Hard Man strapaziert den guten Willen gleich mehrfach.

Zum Beispiel fackelt der Autor eine unglaublich dünne Story ab: Der alte Baxter will seine 16-jährige, verheiratete und schwangere Tochter May vor deren zehn Jahre älteren Ehemann Wallace schützen. Das Kind, das sie erwartet, ist nämlich wohl nicht von Wallace, und Wallace hat dazu noch eine, sagen wir mal, interessante Beziehung zu Gewalt. Die beiden total dämlichen Söhne Baxters sind zwar willens, aber absolut unfähig, ihre Schwester zu schützen. Damit May aber wirklich nichts zustößt, soll Pearce engagiert werden. Pearce, eigentlich eine echt harte Sau, zuckt zwar schon mit den Fingern bei dem vielen Geld, das er bekommen soll, wenn er sich ein bisschen um Wallace „kümmert“, aber dann sagt er doch ab. Bis es persönlich wird: Sein Hund, die dreibeinige Hilda, verschwindet, und Mays Brüder überzeugen ihn, dass es nur der fiese Wallace gewesen ein kann, der den Hund entwendet, wohl sogar umgebracht hat. Schwangere 16-Jährige interessieren Pearce vielleicht nicht so richtig. Aber bei Hilda hört für ihn der Spaß auf. Er wird sich Wallace vorknöpfen. Nun haben Mays Brüder und ihr Vater Pearce da, wo sie ihn haben wollten: in Wallace’ Haus. Und das geht gar nicht schön aus. Großes Blutbad, ein Jesus wird im Keller ans Kreuz genagelt, etc.

Das ist die Story. Backstory und Nebenhandlungen gibt es keine, die über drei Zeilen im Buch hinausgingen. Es gibt noch zwei Figuren, die später wichtig werden, und mal ehrlich, wenn es möglich ist, über 300 Seiten erschöpfend – nicht destilliert – in wenigen Worten wiederzugeben, dann ist die Story fadenscheinig.

Profillos und blutleer …

Und den Figuren fehlt Profil. Von Tiefe mag man gar nicht reden, Tiefe wäre hier gänzlich falsch, da würde man etwas wollen, das hier nicht hingehört. Aber Profil wäre ja mal schön gewesen. Die Handlungsträger stolpern unüberlegt und reichlich dämlich, dafür aber höchst gewaltbereit durch die dürre Handlung und müssen es sich vom Autor gefallen lassen, für Dinge in den Ring zu steigen, die selbst mit größtem Wohlwollen einfach nur schmächtig sind. Pearce, der so etwas wie die Hauptfigur ist, soll offenbar sympathisch für den Leser wirken, weil er sich um seinen dreibeinigen Hund sorgt, ihn nach Muttern benannt hat und gerne mal Zwiegespräche mit der toten Mama führt, wobei ihr Tod die tiefe Wunde seiner Vergangenheit ist, die er noch nicht schließen konnte. Leider schafft es der Autor nicht, das Ganze wirklich noir rüberzubringen, und solche Konstellationen kippen dann gerne ins Lächerliche. Der Dummheit der anderen zuzusehen, reißt es auch nicht wirklich raus. Einzig die 16-jährige May entwickelt sich ganz erstaunlich, und am Ende hat man das Gefühl, wenn es einen „Hard Man“ in dem Buch gab, dann wohl dieses Mädchen, aber sicher keiner der anderen.

Was nun weiter höchst irritiert, ist der Aufbau. Die ersten gut hundert Seiten geht es darum, ob Pearce nun den Auftrag, May vor Wallace zu schützen, annimmt oder nicht, und das zieht sich unangenehm in die Länge. Danach kommt, na ja, Action, jeder prügelt sich der Reihe nach mit jedem, schießt, sticht ein, reißt an Gliedmaßen, lässt Blut spritzen, wird überwältigt, nichts läuft nach Plan. Die unfreiwillige Komik geht somit weiter, wenn man sich vorstellt, dass all diese nicht sehr intelligenten Figuren blutverschmiert und halbtot durch Edinburgh kurven. Wenn ein abgestochener Wallace dann zum gefühlt zwanzigsten Mal doch noch zuckt, aufsteht und Auto fährt, obwohl er geschätzte 40 Liter Blut verloren hat, blättert man verwundert zum Anfang, um nachzuschauen, ob man sich in einer Zombiepersiflage verirrt hat.

Kult-Kitsch

Auch Gewaltorgien brauchen ihre Grundlage, auch gewissenlose Prügelfreaks haben ihre Biografie. Guthrie zerrt für jedes neue Kapitel eine Überschrift hervor, die auf einen kultigen Gewalt-Blut-Gangsterfilm verweist und versucht wohl so, eine weitere Dimension in diesen Roman zu bringen, dabei dürfte doch klar sein, dass eine Geschichte nicht dadurch besser wird, weil sie sich mit Zitaten der Großen schmückt. Dass Guthrie viele Filme gesehen hat, erklärt er auch ständig anhand seiner Figuren, indem er ihnen Namen gibt, die sich auf ebensolche Filme beziehen, was auch hier ins Leere geht. (Oder vielleicht auch, man will ihm ja nicht Unrecht tun, Dimensionen eröffnet, die so groß sind, dass man den Wald vor lauter Bäumen usw.)

Hard Man ist kein Einblick in gesellschaftliches Elend und zeigt auch keine Realität, vor der man gerne die Augen verschlossen hätte. Hard Man ist auch nicht „hard-boiled“. Und um die schwarze Seele Edinburghs auszuloten, braucht es mehr als Messer und Pistolen und Blut, überhaupt ist es total egal, wo dieses Buch spielt, weil atmosphärisch gar nichts passiert. Ian Rankin, und da ist man jetzt bei den hohen Erwartungen, Ian Rankin soll über Guthrie gesagt haben: „Lesen Sie ihn. Sie werden es nicht bereuen.“ So steht es auf dem Buch. Er muss das irgendwie anders gemeint haben, dieser Rankin. Vielleicht meinte er, bereuen sei doch ein zu hartes Wort, und so gesehen hat er recht. Bereuen würde dem Ganzen noch zu viel Ehre erweisen. Bei allem Wohlwollen.

Henrike Heiland

Allan Guthrie: Hard Man. (Hard Man, 2008). Roman.
Deutsch von Gerold Hens.
Berlin: Rotbuch 2009. 320 Seiten. 16,90 Euro.